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  • Berlin
  • KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen

Antifaschistische Baustellen

Lehrlinge aus Bremen und Hennigsdorf sanieren Teile der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Berufsschullehrer Mario Hoffmann klappt am Donnerstag die Kippleiter nach unten. Jetzt könnte hier der Schornsteinfeger bequem auf das Dach der alten Wäscherei steigen. Aber zuweilen klettern unvorsichtige Besucher der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen für ein Fotomotiv nach oben. Der Wachschutz beobachtete das immer wieder und fragte, ob Hoffmann und seine Metallbaulehrlinge da nicht etwas tun könnten.

Sie können. Hoffmann klappt das extra angefertigte neue Leitersegment wieder hoch. Er schiebt provisorisch eine Schraube in die Löcher für das Vorhängeschloss, das künftig vor unbefugter Benutzung schützen soll. Zuletzt hängt er eine Metallplatte vor die Leitersprossen, um den Aufstieg unmöglich zu machen. Lehrlinge packen das Stromkabel zum Elektroschweißgerät in eine Schubkarre. Diese Baustelle ist fertig. Aber es gibt noch etliche andere auf dem Gelände. Etwa eine neue Rampe für Rollstuhlfahrer an den einstigen Krankenrevierbaracken des nationalsozialistischen Konzentrationslagers.

Schon seit 1993 kommen Lehrlinge des Schulzentrums an der Alwin-Lonke-Straße in Bremen Jahr für Jahr eine Woche nach Sachsenhausen und reparieren, was es in der Gedenkstätte zu reparieren gibt. 1998 stießen Lehrlinge des Eduard-Maurer-Oberstufenzentrums im brandenburgischen Hennigsdorf dazu. 2020 und 2021 verhinderten die Corona-Bestimmungen die Anreise aus Bremen. Die Hennigsdorfer gingen in dieser Zeit allein ans Werk. Jetzt sind die Bremer wieder dabei.

Ihre Berufsschullehrerin Katrin Graf hatte die Qual der Wahl. 50 Schüler wollten mit, für 27 ist nur Platz in der Jugendherberge von Sachsenhausen. »Das Interesse ist groß«, berichtet Graf. Dabei müssen die Berufsschüler für Anreise und Unterkunft 140 Euro aus eigener Tasche zahlen. Das ist für sie kein Pappenstiel. Um alle Kosten zu decken, müssten es sogar 300 Euro sein, rechnet Graf vor. Aber eine solche Summe könne sie den Jugendlichen nicht zumuten. Mehrmals hat das Projekt »Lernen und Arbeiten im ehemaligen KZ Sachsenhausen« Preise gewonnen. Die Preisgelder dienen der Finanzierung. Doch die Reserve sei bald aufgebraucht, bedauert Graf. »Für nächstes Jahr reicht es noch. Dann müssen wir sehen.«

Dieses Jahr fiel ein Lehrling wegen einer Corona-Infektion aus. Ein Mädchen musste noch eine Grippe auskurieren und kam nach. 26 Lehrlinge sind also da aus Bremen, plus 15 aus Hennigsdorf. Die Maurer setzen einen Kellerzugang auf dem ehemaligen Industriehof des Konzentrationslagers instand. Eigentlich sollte der Aufgang nur frisch verputzt werden. Aber das oben angebrachte Geländer wackelte im losen Gemäuer. Zwei Reihen Steine mussten neu gesetzt werden. Um das in einer Woche zu schaffen, wurden Arbeitskräfte an der historischen Lagermauer abgezogen. Diese auszubessern ist sowieso eine Daueraufgabe. Im Februar stürzte die brüchige Mauer bei zwei Stürmen kurz nacheinander dann sogar auf einer Länge von 220 Metern ein. Die vier Abschnitte sind jetzt mit Zäunen gesichert.

Könnten die Lehrlinge die Mauern nun nicht wieder aufrichten? Zunächst einmal sind dort archäologische Untersuchungen erforderlich, erklärt Horst Seferens, warum das nicht geht. Seferens ist Sprecher der Stiftung brandenburgische Gedenkstätten und erläutert, dass bei Grabungen geklärt werden soll, inwieweit die Lagermauer noch so original ist, wie man sie von Fotos aus der Nazizeit kennt, oder ob sie bei der Einrichtung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte im Jahr 1961 vielleicht schon verändert wurde. Die Gelegenheit, das herauszufinden, soll genutzt werden.

Denkmalgerecht ist es auf jeden Fall, beim Aufarbeiten von sieben Fenstern und zwei Glastüren an der alten Wäscherei wie in den 30er und 40er Jahren Fensterkitt zu verwenden und nicht Silikon, wie es heute üblich ist. Mit Silikon gehe es schneller und sei daher billiger, mit Kitt sei es »altes Handwerk«, weiß Glaserlehrling Gerôme Karagök. Er streicht den Kitt mit einem speziellen Pinsel glatt. »Das muss man langsamer machen«, ermahnt ihn seine Mitschülerin Nele Ströhemann. »Wenn man es kann, geht es auch schnell«, kontert Karagök trocken.

Ob er alles richtig macht, kontrolliert später seine Lehrerin. Von ihr, aber auch voneinander lernen die Lehrlinge. So schaute sich Nele Ströhemann von den Tischlerlehrlingen ab, mit welchen Werkzeugen und Kniffen sich die Holzkanten der Fensterrahmen glätten lassen. Ihrerseits zeigt sie den angehenden Tischlern, wie man die alten Glasscheiben ersetzt, die ausgetauscht werden müssen, weil sie schon Risse hatten.

Glaserlehrlinge sind das allerste Mal bei dem Projekt dabei. Früher haben sich die Tischler allein um die Fenster gekümmert. »Das sieht man«, sagt Ströhemann und grinst. Es sei nicht alles fachmännisch gelungen. Aber nun seien ja die Glaser hier. Das Projektmotto »Lernen und Arbeiten« bezieht sich aber nicht nur auf Handwerkstechniken. Die jungen Leute erfahren auch etwas über die Geschichte des Ortes, sprechen mit Zeitzeugen, sehen sich die Ausstellungen an.

»Es ist zwar spannend, aber auch echt schlimm, was hier passiert ist«, sagt Nele Ströhemann. Die 22-Jährige ist noch nie hier gewesen und nur einmal als kleines Kind in einer anderen KZ-Gedenkstätte in der Nähe ihres Heimatsortes. Daran erinnert sie sich nur noch dunkel. Es könnte Esterwegen gewesen sein, sicher ist sie sich nicht. »Es ist gut, dass wir hier arbeiten und die Gedenkstätte für kommende Generationen erhalten dürfen. Das ist sehr wichtig«, sagt Ströhemann.

»Es gibt immer etwas zu tun auf dem Gelände. Die Arbeit wird nie ausgehen«, versichert Sprecher Seferens. Die Stiftung stellt das Material und freut sich über die Hilfe. Am Holzrahmen eines Fensters waren Teile verfault und mussten ersetzt werden. Tischlerlehrlinge haben die Stücke akkurat nachgebaut und mit den Originalteilen verleimt. Jetzt tragen sie den Rahmen aus ihrer provisorischen Werkstatt im Industriehof zur alten Wäscherei, um zu sehen, ob er passt. Stiftungsdirektor Axel Drecoll hält sie an und begutachtet die präzise Arbeit. Wieder und wieder lobt er die jungen Leute: »Das habt ihr sehr gut gemacht.« Auch die Wissbegier der Lehrlinge imponiert ihm. Das zeigt Drecoll, dass es ein in jeder Beziehung wertvolles Projekt ist.

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