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Notfall Gesundheit in der Autonomieregion

Dem maroden Gesundheitssystem in Nordostsyrien fehlen Infrastruktur und Medikamente

  • Christopher Wimmer
  • Lesedauer: 4 Min.

Covid-19 oder Affenpocken? In Nordostsyrien spielen diese Krankheiten kaum eine Rolle. Niemand trägt Maske, es gibt wenig sonstige Schutzmaßnahmen oder Beatmungsgeräte, und die Impfquote liegt bei nur 15 Prozent. Jedoch ist die Pandemie auch hier nicht vorbei, und es gibt noch andere schwere Gesundheitsprobleme. Die Luftverschmutzung, bedingt durch die mangelhafte Öl-Produktion, führt zu Gesundheitsschäden der Menschen nahe den Ölfeldern. Vom Klimawandel verursachte Dürren lassen die Weizenfelder in der ehemaligen »Kornkammer« Syriens vertrocknen, während die Türkei den Wasserfluss des Euphrats beschränkt und daher im Sommer letzten Jahres teilweise die gesamte Region Heseke von der Wasserzufuhr abgeschnitten war.

Hinzu kommt die Zerstörung der Wasserinfrastruktur nach mehr als einem Jahrzehnt Krieg in Syrien. Ein Großteil der Bevölkerung ist auf unsichere Wasserquellen angewiesen, die Wasserversorgung ist in einem katastrophalem Zustand. Insbesondere die Wasserqualität des Euphrats hat in den letzten Jahren unter der Reduzierung des Zuflusses durch die Türkei gelitten. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation breitet sich derzeit die Cholera rasant in Nordostsyrien aus: Rund rund 13 000 Verdachtsfälle wurden gemeldet, mindestens 60 Todesopfer sind zu beklagen. Cholera ist eine akute Durchfallerkrankung, die durch die Aufnahme von kontaminierten Lebensmitteln oder Wasser verursacht wird.

Angesichts dieser Probleme organisierte die Vertretung der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien, wie Rojava offiziell heißt, eine Konferenz in Berlin. »Unter dem Krieg in Nordostsyrien leidet vor allem die Gesundheit. Aktuell machen Corona und Cholera Sorgen. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute über die Unterstützung der medizinischen Versorgung sprechen«, sagte Khaled Davrisch, Vertreter der Selbstverwaltung in Deutschland. Seiner Einladung folgten rund 60 Menschen. Die meisten von ihnen waren im Gesundheitswesen aktiv, und so kam es zu produktiven Diskussionen zwischen deutschen und kurdischen Praktiker*innen.

Aus Nordostsyrien zugeschaltet war Dr. Cewan Mustafa, der Vorsitzende des Gesundheitsrats der Selbstverwaltung – vergleichbar einem Gesundheitsminister. Er machte auf die desolate Lage vor Ort aufmerksam. Das ohnehin prekäre Gesundheitssystem wurde durch den syrischen Bürgerkrieg weiter beeinträchtigt: 55 Prozent der Gesundheitsinfrastruktur in Nordostsyrien wurden beschädigt oder zerstört – und sind nur zum Teil wiederaufgebaut. Neben der Zerstörung von Krankenhausgebäuden und -ausrüstung sind Strom, Medikamente und Vorräte knapp. Viele Ärzt*innen und Pflegepersonal kamen ums Leben oder sind geflohen. Dazu verhindert ein Embargo gegen Nordostsyrien internationale Unterstützung. Dr. Mustafa fasste daher unmissverständlich zusammen: »Es gibt keine gesundheitliche Versorgung in Nordostsyrien. Es gibt eine Notversorgung, wir verhindern nur, dass Leute sterben. So etwas wie reguläre Arztbesuche sind nicht möglich.«

Allen Schwierigkeiten zum Trotz versucht die lokale Selbstverwaltung ein öffentliches Gesundheitssystem aufzubauen, an dem alle teilhaben können. Während große Teile des Systems unter der Herrschaft des syrischen Diktators Baschar Al-Assad privatisiert wurden, ist das System der Selbstverwaltung demokratisch organisiert. In den sieben Regionen in Nord- und Ostsyrien, vergleichbar mit Bundesländern, gibt es jeweils eine aus Ärzt*innen, Pflegepersonal oder Apotheker*innen zusammengesetzte Gesundheitskommission. Diese wird demokratisch gewählt und ist als Hauptakteur des Systems für die Versorgung der Krankenhäuser, Gesundheitszentren sowie für Gehälter und Verträge zuständig. Diese Kommissionen arbeiten vor Ort recht eigenständig. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die von ihnen verwalteten Einrichtungen organisiert – Ausdruck des dezentralisierten Systems in Nord- und Ostsyrien.

Doch fehlen der Selbstverwaltung die finanziellen Mittel, ihren basisdemokratischen Anspruch weiter umzusetzen. Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft gibt es kaum. Hilfsgelder der Geberkonferenzen von EU und UN kommen nicht in Nordostsyrien an, da die Selbstverwaltung international nicht anerkannt ist. Einigkeit herrschte auf der Konferenz, dass eine solche Anerkennung und eine direkte Zusammenarbeit der Selbstverwaltung mit anderen Ländern einen zielgerichteten Geldfluss ermöglichen würde. Dadurch könnte langfristig gewährleistet werden, das basisdemokratische System in Nordostsyrien zu unterstützen und den Menschen vor Ort eine gute medizinische Versorgung zu ermöglichen.

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