Böller und Pflugscharen

Wie sich die Montagsdemonstrationen in Leipzig nach dem großen Auftritt der Linken entwickeln

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 5 Min.

Marcus Fuchs weiß, wie er sein Publikum emotional erreichen kann. Der Chef der Dresdner »Querdenken«-Bewegung trat am Montagabend als Redner in Leipzig auf und wandte sich, kurz bevor die Montagsdemonstration ihre Runde über den Leipziger Ring zog, direkt an sein Publikum: Wie viele der Teilnehmer*innen denn bereits im Jahre 1989 auf der Straße gewesen seien, fragte er. Einige Hände gingen nach oben, aber längst nicht alle. Auch der Redner selbst meldete sich nicht. Er sei damals noch zu jung gewesen, gab er freimütig zu – was ihn, wie auch die anderen Akteure der rechtsgerichteten Leipziger Montagsdemo, aber nicht daran hindert, die Motive, Symboliken und vermeintlichen Gefühle des damaligen Herbstes aufzugreifen und auf die heutigen Herbstproteste zu übertragen: »Seid ihr dafür ’89 auf die Straße gegangen?«, fragte Fuchs mit Blick auf die gegenwärtigen politischen Zustände. »Nein!«, riefen nun mutmaßlich auch jene, die sich zuvor gar nicht gemeldet hatten.

Erneut beteiligten sich in Leipzig mehr als 1000 Menschen an der rechten Montagsdemonstration – dabei wollten eigentlich Linke wie der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann die Montagsdemos mit Sozialprotesten wieder aufleben lassen. Doch gut einen Monat, nachdem die Partei mit großem Auftritt und allerhand Prominenz, allen voran der Ikone Gregor Gysi, den »heißen Herbst« ausgerufen hatte, ist von diesem Vorhaben nicht mehr viel übrig. Ihre Fahnen sind längst wieder eingerollt, nun bestimmen die Rechten das Demonstrationsgeschehen an den Montagen.

Anlässlich der Energiekrise und des Ukraine-Krieges inszenieren sie sich als Kümmerer und Friedensfreunde und garnieren ihre Botschaften mit einem ordentlichen Schuss Wenderhetorik. So war auf dem Fronttransparent des Demo-Zuges die Parole »Schwerter zu Pflugscharen« zu lesen, die in der DDR vor allem von Kirchenkreisen in Opposition zur Einführung des Wehrunterrichtes verbreitet worden war. Auch sonst waren immer wieder Bezüge zum Osten und zur Wendezeit zu vernehmen: »Das System ist am Ende, wir sind die Wende!«, skandierten die Demonstrant*innen, und: »Frieden schaffen ohne Waffen!« In der DDR geprägt worden war diese Forderung von den Regimekritikern Robert Havemann und Rainer Eppelmann, die 1982 in ihrem »Berliner Appell« vor einem Atomkrieg warnten und zur Abrüstung in Ost und West aufriefen. Auch der Fußball-Schlachtruf »Ost-Ost-Ostdeutschland!« war zu hören.

Die wahre Gesinnung dieser Demonstration versteckte sich weiter hinten, wo die Fahnen der Freie Sachsen wehten. Die rechtsextreme Kleinstpartei war schon bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen in Sachsen als maßgeblicher Akteur in Erscheinung getreten. Und es gab auch ein Banner der AfD mit der Aufschrift »Unser Land zuerst«. Interessant: Die Freien Sachsen stehen auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD.

Hunderte Antifaschist*innen beteiligten sich an einer Gegendemonstration des Aktionsnetzwerks »Leipzig nimmt Platz«. Sie waren klar in der Unterzahl, anders als noch Anfang September, als Gysi und Co. in der Stadt waren. Und anders als 2015, als in Leipzig 30 000 gegen Legida demonstrierten. Von solchen Zahlen ist man derzeit weit entfernt. Die Antifaschist*innen begleiteten den Demo-Zug durch Zurufe, hier und da kam es zu Auseinandersetzungen. Ein älterer Mann versuchte, mit einem Liegerad auf die Route der Rechten zu gelangen, er wurde von der Polizei rüde abgedrängt. Später kam es zu einer Sitzblockade von Antifaschist*innen, allerdings blieb den Rechten noch eine Fahrbahn, um ihren Marsch fortzusetzen. Eine weitere Blockade hielt den Zug für wenige Minuten auf. Außerdem waren mehrfach Knallkörper zu hören, laut Berichten sei ein Böller von der selbsternannten Friedensdemo in den Gegenprotest geworfen worden.

»Hier braut sich ein nationalistisches, autoritäres, faktenleugnendes Gemisch zusammen«, twitterte die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel. Die Antwort darauf müsse »mehr sein als ›gegen rechts‹«, es brauche »soziale Kämpfe, die grundsätzlich und internationalistisch sind«, so die Linke-Politikerin. Das neue Leipziger Bündnis »Jetzt reicht’s«, das von mehr als 40 Vereinen, Organisationen und Initiativen der Stadt – beispielsweise Fridays for Future Leipzig, Verdi Leipzig-Nordsachsen und »Leipzig nimmt Platz« – getragen wird und am vergangenen Samstag nach eigenen Angaben mit 3500 Teilnehmer*innen auf die Straße gegangen war, darf als Versuch in die Richtung gewertet werden. Auch Die Linke beteiligt sich daran. Es gibt also weiterhin breit angelegte Sozialproteste in Leipzig, wenn auch nicht montags. Allerdings bleiben die linken Veranstaltungen in vielen Städten bislang eher schwach besucht.

Und wie entwickeln sich die rechten Demos? Einerseits geht die Teilnehmer*innenzahl auch in Leipzig wieder leicht zurück, andererseits warnte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) mit Blick auf die Gesamtsituation vor einer neuen »faschistischen Bewegung«. Auch an diesem Montag war die Aggressivität und Radikalität der rechten Demo wieder zu spüren. Die Gewerkschaft Verdi berichtete von einem Angriff auf einen Gewerkschaftssekretär aus dem rechten Aufzug. Sebastian Viecenz, Geschäftsführer von Verdi Leipzig/
Nordsachsen, teilte mit: »Wir fordern von Polizei und Versammlungsbehörde die Gefahr für unsere Gesellschaft, aber auch für Leib und Leben, die von diesen Aufzügen ausgeht, endlich
ernst zu nehmen.«

Auch in anderen Städten in Sachsen ist die Polizei mit der Aufarbeitung der Montagsdemos beschäftigt. In Wurzen sei es aus einem nicht angezeigten Aufzug heraus zu tätlichen Angriffen in Richtung von Medienschaffenden gekommen. Die Polizei hat vor Ort eine Anzeige wegen des Verdachts einer Körperverletzung aufgenommen. Zugleich habe ein Teilnehmer eine Anzeige gegen den Begleitschutz einer anwesenden Journalistin wegen des Einsatzes von Reizstoffen erstattet. Auch die Polizeidirektion Zwickau ermittelt, nachdem sich in einigen Gemeinden unangekündigte Versammlungen und Aufzüge formiert hatten.

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