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Ohne Mittelbau läuft nichts

Unbefristete Stellen an den Hochschulen sind Mangelware, Forschende wandern bereits ab, Institute drohen auszubluten

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 7 Min.
Jakob Birken ist promovierter Kulturhistoriker und Medientheoretiker. Sein Lebenslauf ist typisch für einen Akademiker: insgesamt elf Verträge an vier Hochschulen in drei Bundesländern.
Jakob Birken ist promovierter Kulturhistoriker und Medientheoretiker. Sein Lebenslauf ist typisch für einen Akademiker: insgesamt elf Verträge an vier Hochschulen in drei Bundesländern.

»Am Ende gelangen wir in die absurde Situation, in der wissenschaftliches Arbeiten nur noch als Hobby neben dem Brotjob möglich wäre. Das sagt einiges über diese Gesellschaft aus«, meint Jakob Birken. Der promovierte Kulturhistoriker und Medientheoretiker hat den »typischen Lebenslauf« eines Akademikers in Deutschland: insgesamt elf Verträge an vier Hochschulen in drei Bundesländern.

Seine düstere Prognose bezieht sich aktuell auf den im Juli von der Hochschulrektor*innenkonferenz (HRK), also den Arbeitgeber*innen des Universitätsbetriebs, veröffentlichten Vorschlag zur Reform des Zeitvertragsgesetzes in der Wissenschaft. Ein Kernelement dieses »Diskussionsvorschlags«, wie die Rektor*innen ihn bezeichnen, ist ein maximaler Qualifizierungszeitraum von zehn Jahren.»Spätestens danach«, heißt es in dem Papier, »folgen planbare Karrierewege entweder auf einer Juniorprofessur, einer Dauerstelle neben der Professur oder – was der weitaus häufigste Fall ist – außerhalb der Wissenschaft«.

Von den genannten zehn Jahren dürfen nach dem Willen der HRK maximal sechs zum Abschluss der Promotion dienen. Für die sogenannte Postdoc-Phase bliebe noch ein Zeitraum von mindestens vier Jahren mit vielen Unsicherheiten. Die HRK nennt es »Flexibilität«, die den unterschiedlichen Fachkulturen und individuellen Bedarfen Rechnung trage.

Der Vorschlag lässt allerdings das Problem außen vor, dass es viel zu wenige unbefristete Stellen im universitären Mittelbau gibt und auch die Professuren rar sind. »Insofern finde ich die Aussage der HRK, dass mit der kürzeren Qualifikationsphase die ›Karriereentscheidung‹ vorverlegt werde, unfassbar zynisch«, sagt Birken. Eigentlich möchte er gerne weiter an der Universität arbeiten, nicht zuletzt, weil er gerne lehre. Aber er glaubt nicht daran, »diese Arbeit auch langfristig ausüben zu können«. Damit bringt er das Schicksal Hunderter wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen auf den Punkt.

Birken klingt resigniert, wenn er sich über den genannten Vorschlag der HRK äußert: »Die Gesamtdauer der sogenannten Qualifikationsphase noch weiter zu reduzieren, unterwirft die universitäre Arbeit nur weiter einer neoliberalen Leistungsideologie.« Es werde zwar von »planbaren Karrierewegen« gesprochen, als Ziel aber weiterhin nur die Professur oder die Arbeit außerhalb der Hochschule vorgestellt. »Das Verständnis vom Mittelbau beschränkt sich bei diesen Leuten darauf, eine Stufe der Karriereleiter zu steigen oder der Durchlauferhitzer für die Wirtschaft zu sein. Sie blenden völlig aus, dass es gerade im Mittelbau auf die Nachhaltigkeit von Lehre und Forschung ankommt und reduzieren die Hochschularbeit auf einen Wettbewerb um einige wenige Professuren, der kontinuierliches Arbeiten mit Studierenden und an Forschungsprojekten unmöglich macht«, so Birken.

Dieselbe Kritik an der herrschenden Befristungspraxis kommt auch von vielen Professor*innen. »Wenn wir wissenschaftliche Mitarbeiter*innen länger behalten könnten, würde nicht zuletzt auch der administrative Aufwand unserer Arbeit reduziert. Und überhaupt können erfahrene Leute auf Dauerstellen Professor*innen viel besser entlasten«, sagt Christoph Schöch. Der 45-Jährige hat 2017 seinen Ruf erhalten und ist seitdem Professor für Digital Humanities an der Universität Trier. Er schätzt, dass er etwa ein Drittel seiner Arbeitszeit nur für Verwaltungsaufgaben benötigt, inklusive eben der Rekrutierung von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, was immer mehr zu einem »Riesenaufwand« werde.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert seit langem eine Gesetzesreform, »die Dauerstellen für Daueraufgaben und verlässliche Karriereperspektiven nach der Promotion bringt«, so deren stellvertretender Vorsitzender Andreas Keller. Die kürzlich von der HRK veröffentlichten Vorschläge hält er für eine »Verschlimmbesserung«.Die Gewerkschaft wolle daher den Druck für eine wirkliche Reform weiter erhöhen.

Die Arbeitsverhältnisse der Promovierenden und Postdocs werden überwiegend nach dem Zeitvertragsgesetz geregelt. Dieses ist 2007 in Kraft getreten und 2016 schon einmal novelliert worden. Allerdings ohne große Wirkung: »Eine Trendwende hin zu mehr Dauerstellen ist über die Jahre gänzlich ausgeblieben«, sagt Keller. »Und auch die Laufzeiten der Zeitverträge haben sich nicht nachhaltig verlängert.« Vor allem die Instrumente zum Nachteilsausgleich bei Kinderbetreuung, Behinderung oder chronischer Erkrankung sowie zu pandemiebedingten Beeinträchtigungen würden kaum berücksichtigt werden.

»84 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Universitäten werden nach wie vor mit einem Zeitvertrag abgespeist, über 40 Prozent von ihnen mit einer Vertragslaufzeit, die kürzer ist als ein Jahr«, rechnet Keller vor. Bei einer Konferenz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Ende Juni forderte er Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) auf, rasch einen Gesetzentwurf für eine wirkliche Reform des Gesetzes vorzulegen.

Auch Amrei Bahr, Juniorprofessorin an der Universität Stuttgart und Mitinitiatorin von der Initiative »Ich bin Hanna«, kritisiert die HRK scharf. »Durch eine Verkürzung der Höchstbefristungsdauer würde der Druck auf Wissenschaftler*innen nur noch weiter steigen. Sie müssten in kürzerer Zeit das leisten, was für eine dauerhafte Beschäftigung in der Wissenschaft gefordert ist«, sagt sie. Wie die GEW fordert auch sie eine Zunahme von Dauerstellen. »Das Gesetz sollte auf die Promotion beschränkt werden und dafür Mindeststandards festlegen«, erklärt sie. Die Promotion sei eine fertige Ausbildung und ein Postdoc keine Qualifizierungsphase mehr, meint Bahr.

Bereits im Vorfeld dieser aktuellen Diskussion hatten verschiedene Gewerkschaften und Initiativen an den Hochschulen Alarm geschlagen. »Die Wissenschaft in Deutschland ist in einer Krise und merkt es nicht«, hieß es in einem gemeinsamen Aufruf. Ein Jahr, nachdem die drei Wissenschaftler*innen Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon die Kampagne »Ich bin Hanna« lostraten, habe sich nichts an der katastrophalen Situation von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen an den deutschen Hochschulen geändert.

Ein Erklärvideo des Forschungsministeriums, in dem anhand des fiktiven Charakters Hanna die bis heute gängige Befristungspraxis im universitären Mittelbau gepriesen wird, hatte den Anstoß zur Kampagne und einer daraufhin breit geführten Debatte über prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft gegeben.

Diese beschränkt sich längst nicht mehr nur auf die Situation an den Hochschulen, da auch in der außeruniversitären Forschung teils unzumutbare Zustände herrschen. »Allein für die Promotion zähle ich inzwischen acht Arbeitsverträge mit Laufzeiten zwischen zwei Monaten und zwei Jahren«, erzählt Kai Fritzler. Seinen richtigen Namen will er nicht nennen, weil er Nachteile für seine Karriere fürchtet. »Meine Promotion werde ich auf Arbeitslosengeld I beenden. Das ist so verbreitet, dass inzwischen vom Stipendium der Agentur für Arbeit bzw. des Jobcenters gesprochen wird.«

Der 36-jährige Molekulargenetiker hat als wissenschaftliche Hilfskraft und Doktorand auf Basis zahlreicher befristeter Verträge in außeruniversitären Forschungseinrichtungen gearbeitet. Auch dort würden die Verträge nicht ausreichend lang laufen, um die Promotion oder Projekte abzuschließen, sagt er. Wichtige Experimente müssten beispielsweise bis zu einer Deadline interessante Ergebnisse liefern. Wenn die, wie in der Wissenschaft nicht unüblich, zunächst keine oder nur unklare Ergebnisse liefern, die nächste Verlängerung des Vertrags aber unsicher ist, habe man ein Problem. Diese Unsicherheit, ob es zur nächsten Verlängerung kommt, bedeutet auch, viele Überstunden zu machen, um in der kurzen Zeit die nötigen Daten sammeln und analysieren zu können. »Durchgearbeitete Wochenenden, lange Tage im Labor und zu Hause sind zur Normalität geworden«, erläutert er.

In der Wissenschaft gilt bekanntlich das Prinzip »publish or perish« (»veröffentlichen oder untergehen«). Gut bewertete Studien, die in wissenschaftlichen Top-Journalen und -Verlagen veröffentlicht werden, gelten als Eintrittskarten für den Wettbewerb um Drittmittel. Nur wer viele beachtete Publikationen vorweist und Drittmittel im großen Umfang eingeworben hat, kann sich im Wettbewerb um eine Professur durchsetzen. Nebenbei haben natürlich noch Stallgeruch, Beziehungen und Auslandsaufenthalte an prestigeträchtigen Institutionen – mit sehr hohen Lebenskosten vor Ort – einen wichtigen Einfluss auf die Chancen im Wettbewerb um eine Professur.

Wer in Deutschland nicht in einer gewissen Zeit eine unbefristete Professur ergattern kann, hat kaum mehr nennenswerte Chancen auf eine Anstellung in der akademischen Forschung. »Als Wissenschaftler sehe ich für mich keine Perspektive in Deutschland«, meint Fritzler. Viele seiner Kolleg*innen und Bekannten seien bereits ins Ausland gegangen und wollten auch nicht zurückkehren. Der Wissenschaftsstandort Deutschland ist mit seinen prekären Arbeitsbedingungen offenbar alles andere als attraktiv und scheint derzeit einen regelrechten Brain Drain zu erleben. Viele Forschende wandern ab.

Das Ergebnis dieser Entwicklung hat Christian Schöch von der Universität Trier bereits beschrieben: Die Professor*innen haben mittlerweile immense Schwierigkeiten, promoviertes wissenschaftliches Personal zu finden. Und diese Berichte mehren sich inzwischen auch in Disziplinen, in denen es bisher ein deutliches Überangebot an Bewerber*innen gab. Der Molekulargenetiker Fritzler sagt schließlich: »Aus dem Konzept der ›Bestenauslese‹ bis zur Professur ist inzwischen eine ›Verbliebenenauslese‹ geworden« – unter jenen, die den Absprung ins Ausland verpasst haben.

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