Die iberische Ausnahme

Spanien und Portugal haben bereits Mitte Juni einen wirksamen Strompreisdeckel eingeführt

  • Ralf Streck, San Sebastian
  • Lesedauer: 4 Min.

Spanien hat ein Problem, das manche andere europäische Länder gerne hätten: Die Erdgaslager sind voll, und dazu ankern mehr als zehn Flüssiggastanker allein vor der Küste im andalusischen Cadiz. Die LNG-Transporter warten dort auf ihre langwierige Entladung und Regasifizierung. Die »NFE Grand«, die vor fast zwei Wochen den Golf von Mexiko verlassen hatte, wurde sogar abgewiesen. Nun lautet für den Gastanker wieder die Devise: »For Orders«. Das neue Ziel bestimmt der, der den höchsten Preis bietet.

»Das Gas läuft uns aus den Ohren«, titeln spanische Zeitungen schon. Sie zitieren Experten, die darauf verweisen, dass die Versorgungslage auch die Gaspreise stark drückt. Der Referenzpreis für Kraftwerke lag am Donnerstag bei knapp 32 Euro pro Megawattstunde (MWh). Damit liegt der Preis erstmals seit der Einführung eines Gaspreisdeckels in Spanien wieder unter dessen Marke. Als »iberische Ausnahme« wird das Modell bezeichnet, das in Spanien und Portugal, die einen gemeinsamen Strommarkt unterhalten, bereits seit dem 15. Juni genutzt wird. Der Großmarktpreis für Gas, das von den Kraftwerksbetreibern zur Stromerzeugung benutzt wird, ist per Gesetz auf 40 Euro (im Tagesdurchschnitt auf 48,80 Euro) gedeckelt. In den letzten Monaten wurden zeitweise mehr als 300 Euro pro MWh bezahlt. Bis zum 15. Dezember bleibt die Obergrenze stabil und steigt dann monatlich um fünf Euro. Wenn die Maßnahme nach einem Jahr auslaufen soll, liegt der Deckel bei 70 Euro.

Über das Modell wird an dem Marktsystem gerüttelt, über das in der EU die Strompreise bestimmt werden. Demnach werden zuerst Kraftwerke mit den niedrigsten Grenzkosten eingesetzt. Dann werden weitere Erzeugungsarten mit immer höheren Kosten zugeschaltet, bis die Nachfrage gedeckt ist. Die zuletzt zugeschaltete Erzeugungsart bestimmt nach dem Merit-Order-System den Strompreis für alle Erzeugungsarten, egal zu welchem Preis die geliefert werden können. Wenn am Ende Gaskraftwerke uzugeschaltet werden müssen, schießt der Strompreis durch die Decke, und andere Kraftwerksbetreiber streichen wegen der hohen Gaspreise enorme »Windfall Profits« (zufällige Gewinne) ein. Billige Formen zur Stromerzeugung – insbesondere Windkraft – können den Preis für die Verbraucher wegen des Preissystems nicht senken.

In Spanien und Portugal wollte man das Verfahren schon sehr zeitig ändern, doch die EU-Kommission sträubte sich lange, die Ausnahme zu erlauben. Dies geschah letztlich mit der Argumentation, dass die iberische Halbinsel kaum an das europäische Gasnetz angebunden ist. Dennoch wurde mit der Genehmigung das Tor für gesamteuropäische Veränderungenaufgestoßen. Gut die Hälfte der EU-Mitgliedsländer plädiert dafür, das iberische Modell auf die gesamte EU auszuweiten.

Dass auch die Marktpreise durch die Maßnahme sinken, zeigte sich schon am Tag nach der Einführung: Der Durchschnittspreis pro Megawattstunde sank gegenüber dem Vortag deutlich von 214 auf 165 Euro. Erstmals war Strom damit in Spanien wieder billiger als in Frankreich oder Deutschland.

»Wir sind Pioniere in Europa«, erklärt der sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sánchez nun stolz. Die Strompreise für Haushalte seien im Durchschnitt um 15 Prozent oder um 17 Euro monatlich gesunken, rechnet er vor. Gemeint sind damit die zehn Millionen Haushalte (37 Prozent) in Spanien, die Strom nach dem »reguliertem PVPC‑Tarif« für Kleinverbraucher beziehen, der direkt an den Tagespreis an der Strombörse gekoppelt ist und daher oft unberechenbar schwankt. Daran orientiert sich aber auch der Tarif für etwa 70 Prozent der industriellen Stromkunden, die von der Preissenkung damit auch profitieren. Die Autoren einer Studie von EsadeEcPol, einem unabhängigen Thinktank, rechnen vor, dass ohne den Deckel die Strompreise zwischen 19 und 30 Prozent teurer gewesen wären. So aber habe der durchschnittliche Haushalt bis Ende September 69 Euro. Einbezogen sind hier auch die reduzierten Durchleitungsgebühren und die Mehrwertsteuer auf Erdgas, die von 21 auf 5 Prozent abgesenkt wurde.

Anders als Kritiker behaupten, hat das iberische Modell die Staatsverschuldung nicht erhöht, anders als zum Beispiel die Subventionen in Frankreich. Zwar schätzt die EU-Kommission schätzt, dass es Kosten von 8,4 Milliarden Euro erzeugt, die zum Teil aus den Einnahmen finanziert werden, die sich im Stromhandel zwischen Spanien und Frankreich ergeben. Der Rest wird zwar auf die Endverbraucher umgelegt. Aber da Gas aber nur einen Teil der Stromproduktion ausmacht, ist der Strom trotz der Umlage immer noch deutlich billiger für die Verbraucher.

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