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  • Regierungskrise in Großbritannien

Tories suchen Retter

Im Rekordtempo soll in Großbritannien ein neuer Regierungschef her. Boris Johnson wittert seine Chance

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenige Stunden nachdem Liz Truss ihren Rücktritt bekannt gegeben hatte, berichteten die britischen Medien, dass Boris Johnson eben in ein Flugzeug gestiegen sei. Der Ex-Premier weilte charakteristischerweise gerade in den Ferien in der Karibik. Aber jetzt, inmitten der Turbulenzen in Westminster, zog es ihn nach Hause. Er wittert offenbar eine einmalige Chance. Nur sechs Wochen, nachdem er die Downing Street räumen musste, könnte er sich erneut zur Wahl stellen – und mit ein bisschen Glück gewinnen. Johnson als Retter der Tory-Partei: In dieser Rolle würde er sich gefallen. Es wäre ein Comeback, wie es die britische Politik noch nicht gesehen hat.

Noch hat sich Johnson nicht öffentlich zu einer möglichen Kandidatur geäußert, aber er zählt schon jetzt zu den aussichtsreichsten Kandidaten. Lange werden die Briten nicht warten müssen, bis sie einen neuen Regierungschef haben: Das Wahlverfahren wird im Rekordtempo durchgezogen, spätestens am 28. Oktober wird es abgeschlossen sein.

Demnach braucht jeder Kandidat und jede Kandidatin 100 Nominierungen von Fraktionsmitgliedern, um zur Wahl antreten zu können. »Das ist eine hohe Hürde, aber eine, die machbar sein sollte für seriöse Kandidaten, die realistische Aussichten auf Erfolg haben«, sagte Graham Brady, der Vorsitzende des 1922-Komitees, das die Regeln festgelegt hat. Die Nominierungen müssen bis Montag um 14 Uhr stehen. Wenn drei Kandidaten durchkommen, wird die Fraktion abstimmen und einen von ihnen eliminieren. Die Tory-Basis, etwa 160 000 Leute, wird danach in einer Urwahl den nächsten Premierminister bestimmen.

Aber das Komitee hat noch einen weiteren Schritt zwischengeschoben: Die Fraktion wird zunächst eine »indikative« Abstimmung abhalten, die der Basis zeigen soll, wen die Tory-Abgeordneten bevorzugen würden. Denn das war eines der Probleme von Truss: Sie kam zwar bei der Basis gut an, aber im Unterhaus fehlte ihr die Unterstützung; ihre Kollegen auf den grünen Bänken hätten lieber ihren damaligen Rivalen Rishi Sunak gehabt. Die indikative Abstimmung soll eine Art ein Wink mit dem Zaunpfahl sein, der den Parteimitgliedern klar signalisiert, wen sie wählen sollten.

Zu den Favoriten für die Nachfolge von Truss zählen bislang Rishi Sunak, Penny Mordaunt und Boris Johnson. Alle haben bereits mehrere Dutzend Anhänger für sich gewinnen können. Wenig verwunderlich sorgt die mögliche Rückkehr von Johnson, der im Sommer mit Schimpf und Schande aus der Downing Street vertrieben wurde, für die meisten Schlagzeilen. Beobachter und Parteikollegen rechnen dem Ex-Premier gute Chancen aus, die 100 Nominierungen zusammenzubekommen.

Die Kampagne »Bring Back Boris« läuft bereits auf Hochtouren. Kabinettsminister Jacob Rees-Mogg hat sich am Freitag als einer der ersten für Johnson ausgesprochen, wenig später kam auch Verteidigungsminister Ben Wallace hinzu. In den sozialen Medien macht der Slogan »Boris or Bust« die Runde – Boris oder Pleite. Johnson hängt noch immer der Ruf eines Wahlgewinners an – ein Stück weit zu Recht. Immerhin hat er seine Partei vor knapp zwei Jahren zu einem Erdrutschsieg geführt. Das dürfte auch in den kommenden Tagen sein Versprechen an die Partei sein: Mit mir werdet ihr Wahlen gewinnen.

Aber so einfach ist es nicht. Wie der Politologe Rob Ford am Freitag schrieb, verdankt sich der Wahlsieg von 2019 nicht zuletzt den Tatsachen, dass der Oppositionschef Jeremy Corbyn als »toxisch« galt und der Brexit das entscheidende Thema war. Beides gilt heute nicht mehr. Dazu kommt, dass Johnsons Regierungszeit »vom Anfang bis zum Ende durch Chaos, Skandal, selbstverschuldete Patzer und quietschende Kehrtwenden« charakterisiert war. Die Johnson-Unterstützer haben das offensichtlich vergessen – nicht aber die Wähler, sagt Ford. Zudem läuft noch immer eine Untersuchung, ob Johnson den Ministerialkodex gebrochen hat.

Und schließlich ist da noch die Frage, ob es Johnson schaffen würde, die zutiefst gespaltenen Tories zu einen. Spätestens seit dem Brexit-Votum ist die Partei immer mehr in einem gehässigen Hickhack zwischen den verschiedenen Fraktionen versunken. Trotz des Wahlsiegs von 2019 ist die Partei in der Dauerkrise.

Der Aufstieg des Rechtspopulismus unter Johnson; die antidemokratischen Manöver während seiner Regierungszeit; die Brexit-Obsession des rechten Flügels; der wirtschaftspolitische Rechtsschwenk unter Liz Truss, der eben auf spektakuläre Weise gescheitert ist – alles sind Symptome eines Niedergangs. Sollte Boris Johnson tatsächlich die Unterstützung seiner Parteikollegen finden und zurück an die Macht kommen, würde das vielen als weiteres Indiz gelten, dass den Tories schlichtweg die Ideen ausgegangen sind.

Viele Tory-Abgeordnete wissen nur allzu gut, wie eine erneute Amtszeit Johnsons aussehen würde – nicht nur zu Hause, sondern auch auf der internationalen Bühne, wo Großbritannien endgültig zur Lachnummer zu werden droht. Er werde das Handtuch schmeißen, wenn Johnson erneut Premierminister würde, sagte etwa der altgediente MP Roger Gale. Andere Tories sind genauso entsetzt, dass der Blondschopf ein Comeback hinlegen könnte. Es wäre eine »absolute Katastrophe«, sagte der Abgeordnete Jesse Norman. Nichtsdestotrotz hatten ihm bis Freitagnachmittag bereits drei Dutzend Kollegen ihre Unterstützung zugesagt.

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