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Der Krise solidarisch entgegentreten
24 000 Menschen demonstrierten in sechs Städten für soziale Sicherheit
Düsseldorf, Samstagmittag, der »Ton Steine Scherben«-Klassiker »Die letzte Schlacht gewinnen wir« hallt durch die Friedrich-Ebert-Straße. Etwa 5000 Menschen ziehen hier gerade los, um für eine solidarische Krisenpolitik zu demonstrieren. Die Demo ist Teil des bundesweiten Bündnisses für einen solidarischen Herbst, der für Samstag zu Protesten in sechs deutschen Städten aufgerufen hatte.
An der Spitze der Demonstration in Düsseldorf laufen Hunderte Mitglieder der Gewerkschaft Verdi. Vielen gefällt das Motto des Protests in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt. »Inflationsmonster« sollen gestoppt werden. Das sei jetzt genau richtig, sagt ein Mann. Er arbeite in einem Baumarkt im Ruhrgebiet und merke in diesem Jahr jeden Monat früher, wie das Geld »knapp wird«. Die Politik müsse etwas gegen die Inflation tun. Manche Maßnahmen gingen ja in die richtige Richtung, kämen aber zu spät. Etwas, was ihn besonders ärgert? »Das Auslaufen des Neun-Euro-Tickets war eine Schweinerei.« Das günstige Ticket habe im Sommer wirklich geholfen. Den Nachfolger für 49 Euro findet er zwar eigentlich zu teuer, aber »besser als nichts«, nur hätte das Ticket seiner Meinung nach direkt im September kommen müssen und nicht wie jetzt angekündigt zum Jahreswechsel. Nicht ausreichend und zu spät, das sei der rote Faden der Entlastungspolitik der Bundesregierung.
Von vielen Demonstrant*innen ist ähnliches zu hören. Bei der Abschlusskundgebung vor dem nordrhein-westfälischen Landtag gibt es eine Gesprächsrunde mit Beschäftigten aus verschiedenen Branchen. Sie alle beklagen, dass Inflation und gestiegene Energiepreise ihr Einkommen auffressen. Einer fasst es so zusammen: »Wir müssen täglich rechnen mit jedem Euro und jedem Cent.«
Nicht nur die Inflation treibt die Menschen auf die Straße. Bei der Düsseldorfer Demonstration gibt es auch einen großen Block von Fridays for Future und den Umweltorganisationen BUND und Greenpeace. Sie kritisieren die geplante Abbaggerung des Dorfes Lützerath für den Braunkohletagebau Garzweiler II. Eine junge Demonstrantin zeigt auf ihrem Handy Bilder von einem Windrad in der Nähe des Kohlelochs, dessen Demontage in der vergangenen Woche begonnen hat. »Das kann doch nicht sein!«, sagt sie empört. RWE baue Windräder ab, um mehr Kohle verfeuern zu können. Das habe mit einer konsequenten Energiewende doch nichts mehr zu tun und sei »einfach falsch«. Andere, eher ältere Demonstrant*innen im Umweltblock treibt der Streckbetrieb der deutschen Atomkraftwerke um. Sie befürchten, er sei ein Einfallstor für eine generelle Laufzeitverlängerung. Sie sind wütend, dass die Grünen sich in der Frage nicht durchsetzen konnten.
In einer Mitteilung der neun Organisationen, die sich zum Bündnis für einen solidarischen Herbst zusammengeschlossen haben, heißt es zum Thema Energiewende: »Statt Investitionen aufzuschieben, müssen wir jetzt unabhängig von fossilen Energien werden.«
Die Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen sehen die Proteste vom Samstag als ein »starkes Zeichen an die Bundesregierung für eine sozial gerechte und nachhaltige Politik«. Nach ihren Angaben sind insgesamt 24 000 Menschen auf die Straße gegangen. Die größten Demonstrationen fanden in Berlin, Düsseldorf und Frankfurt am Main statt.
In der hessischen Metropole war das globalisierungskritische Netzwerk Attac besonders stark vertreten, da es seinen Herbstratschlag veranstaltete. Carmen Junge vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis forderte einen »effektiven Schutz vor den existenzbedrohenden Folgen der Inflation«. Der »lebenswichtige« Grundbedarf an Energie müsse für alle gesichert werden. Luxuskonsum hingegen müsse verteuert und klimaschädliche Produktion gedrosselt werden. Für die Attac-Aktivistin ist klar: »Die Lasten hierfür müssen die Reichen tragen!«
Linke Gruppen aus verschiedenen Orten kritisierten das Bündnis für einen solidarischen Herbst als zu zahm. Die Forderungen an die Ampel-Koalition gingen nicht weit genug, auch der Appell, die Gesellschaft dürfe nicht gespalten werden, sei analytisch falsch. Die Gesellschaft sei längst gespalten zwischen denjenigen, die die Interessen des Kapitals vertreten, und denjenigen, die nur ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben. Das bundesweite Bündnis traue sich nicht, das klar auszusprechen, weil die Gewerkschaften zu eng mit den Sozialdemokraten und die Umweltverbände zu eng mit den Grünen verwoben seien. Kritisiert wurde auch, dass der solidarische Herbst inhaltlich zu sehr auf Abgrenzung bestehe. Im Vorfeld hatten die Organisator*innen erklärt, dass sie für die Russland-Sanktionen seien und Forderungen nach deren Aufhebung auf den Demonstrationen nicht erwünscht seien.
Funktioniert hat das nicht immer. In Düsseldorf waren teilweise Transparente zu sehen, die Deutschland als »politische Prostituierte der USA« bezeichneten. Auch ein Ende der Sanktionen wurde teilweise gefordert. Das Gesamtbild der Demonstration bestimmten solche Forderungen allerdings nicht. Bei der Abschlusskundgebung sprach sich die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis klar gegen Putin-Fans aus. Man unterstütze die Sanktionen gegen Russland, das sei der Unterschied zu allen, die »rechts außen« stehen und »Hass und Hetze« verbreiten. Man stehe für die Demokratie ein und überlasse den Rechten nicht die Straße.
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