Biogemüse aus dem Alpakaland

Zwei Vegetarier aus der Uckermark beliefern Berlin mit tierisch guten Möhren

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Landwirt Daniel Riesener packt auf seinem Gemüseacker im uckermärkischen Wilhelmshayn ein paar Möhren und zieht sie aus dem Boden. Normalerweise hat er für die Ernte eine Maschine, aber die steht gerade ein paar Schritte weiter auf einem Schlag mit Pastinaken. Seit 2015 pflanzt Riesener mit seinem Geschäftspartner Daniel Götze und drei Saisonkräften auf 10 Hektar Biogemüse für den Berliner Markt an. 16 Hektar Land bewirtschaften sie, 15 davon liegen direkt hinter der alten Scheune, in der das Gemüse maschinell gereinigt wird. Die 15 Hektar Acker und Moorland haben Daniel Rieseners Vorfahren nach dem Zweiten Weltkrieg als Neubauern bei der Bodenreform erhalten. Sie waren dann später bis zur Wende Genossenschaftsbauern und durften ihr Land behalten.

Was fängt man mit relativ wenig Acker an? Üblicherweise säen Landwirte in der Uckermark Getreide und Mais. Gemüse ziehen sie höchstens nebenher in einem kleinen Bauerngarten für den eigenen Bedarf. »Wir wurden belächelt«, berichtet Riesener, wie Nachbarn reagierten, als er und Götze es mit Möhren, Pastinaken, Kohlrüben und anderem Wurzelgemüse versuchten.

Dabei ist die Idee naheliegend. Auf einem Hektar Land können acht Tonnen Getreide geerntet werden, aber bis zu 100 Tonnen Gemüse. Riesener und Götze schaffen 70 bis 90 Tonnen. Der Boden ist für Brandenburger Verhältnisse fruchtbar, allerdings hügelig und steinig, was die Bearbeitung erschwert, wo Gemüse doch an sich schon arbeitsintensiv ist. Auf 10 000 Euro belaufen sich allein die Lohnkosten fürs Jäten des Unkrauts, rechnet Riesener vor. Mit dem Anfang Oktober auf zwölf Euro erhöhten Mindestlohn wird sich die Summe noch vergrößern. Wenn er sich seinen eigenen Stundenlohn ausrechne, komme er auf einen Bruchteil des Mindestlohns, sagt Riesener. Seit 2015 hat er keinen Tag Urlaub gemacht. Warum er sich das antut? »Wir sind Bauern aus Leidenschaft.«

Dazu begeistert er sich für modernste Landtechnik. 30 Maschinen haben die beiden Chefs angeschafft, und jede davon wird gebraucht, wie Riesener versichert. Ein polnischer Landmaschinenhersteller, der seine Produkte gern auch an deutsche Agrarbetriebe liefern möchte, stellt seine Neuentwicklungen für Vorführungen in Wilhelmshayn zur Verfügung. Auch den Prototyp eines deutschen Herstellers präsentiert Riesener stolz. Diese Maschine, noch ein Unikat, zieht Rillen in den Acker und sorgt dafür, dass der Dünger direkt unter die Pflanzen kommt, wo er hingehört, und nicht wahllos über den Acker verstreut wird. 30 Prozent Dünger lassen sich damit einsparen, erzählt Riesener. Dieses Jahr habe es noch nicht optimal geklappt. Die Maschine müsse wohl besser schon im Herbst eingesetzt werden und nicht erst im Frühjahr, wenn schon viel Unkraut auf dem Acker stört. Für solche Tüfteleien ist der Landwirt zu haben. Er nutzt jede Gelegenheit, den Anbau zu optimieren.

Der Hof in Wilhelmshayn trägt den Namen Bio-Alpakaland. Alpakas gibt es hier seit diesem Jahr allerdings nicht mehr. Die Tiere sind oft krank geworden, und der Tierarzt konnte nicht sagen, woran es liegt. Da haben Riesener und Götze die Haltung aufgegeben und stattdessen drei Esel angeschafft. Tiere, die zum Verzehr geschlachtet werden, wollen sie nicht haben. »Wir sind beide Vegetarier«, sagt Riesener.

Im August 2020 gründete das Bio-Alpakaland mit dem Bauernhof Erz, der Biogärtnerei Watzkendorf, dem Ökodorf Brodowin und dem Biohof Kepos die Frisches Gemüse Brandenburg GmbH (FBB). Mitgesellschafter ist mit Klaus Bauer der Chef der Havita Frischgemüse Berlin GmbH. Sein 1991 an der Lindenberger Straße 85 im Bezirk Lichtenberg an den Start gegangenes Unternehmen verarbeitet jetzt die Erzeugnisse der fünf Biobetriebe beispielsweise zu Möhren-, Gurken- und Kartoffelsalat. Kunden können diesen Salat eingeschweißt vom Großhändler Terra Naturkost beziehen oder etwa in den Filialen der Kette Bio Company kaufen.

Der Vorteil: Hier werden die Bauern Über- und Untergrößen des Gemüses los. Die Europäische Union ist zwar mittlerweile nicht mehr so streng. »Die Gurke darf wieder krumm sein, aber im Laden ist sie die letzte Gurke, die gekauft wird«, weiß Sabine Kabath von der Biogärtnerei Watzkendorf, »obwohl es im Geschmack und in der Qualität keinen Unterschied gibt.«

Kleingeschnippelt im abgepackten Salat sieht jedoch niemand, dass es eine krumme Gurke war. In der Produktionshalle der Havita wird das Gemüse von Maschinen regelrecht gehäckselt. Die Gurkenscheiben landen in Körben und werden dann von Hand in Metallwannen mit anderen Zutaten vermischt. »Putzen, schneiden, waschen, zentrifugieren, packen – das sind die Arbeitsschritte«, erklärt Geschäftsführer Klaus Bauer bei einer Betriebsbesichtigung. Arbeiterinnen schnippeln an Brokkoli und Äpfeln, legen den Salat in Plasteschälchen, die dann eine Maschine mit Folie verschweißt.

Begonnen hat die Havita einst mit Fast Food und Erzeugnissen der konventionellen Landwirtschaft. Nun ist die Firma zusätzlich ins Biogeschäft eingestiegen. Am Freitag fährt ein Lkw der Biogärtnerei Watzkendorf vor und bringt Paletten mit Gemüse. In einem Kühlhaus werden die Paletten gelagert, bis das Biogemüse am Samstag in die Verarbeitung geht. Denn am Freitag ist konventionelles Gemüse dran.

Was die FBB mit ihrem Dienstleister Havita aufgebaut hat, ist eine regionale Wertschöpfungskette. Davon wünscht sich Brandenburgs Agrarminister Axel Vogel (Grüne) noch viel mehr. 1,9 Millionen Euro Fördermittel stellt sein Ressort dafür zur Verfügung. 16 Anträge mit einem Gesamtvolumen von 4,2 Millionen Euro sind eingegangen. Das Förderprogramm ist also überzeichnet, und das Ministerium muss eine Auswahl der vielversprechendsten Projekte treffen.

Nächstens gibt es mit EU-Mitteln 2,5 Millionen Euro für den Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten, die nicht unbedingt auf dem ökologischen Landbau basieren müssen. Aber gerade im Biosegment werden sie gebraucht. Denn es ist »ausgesprochen unsinnig«, Biogemüse aus Spanien und Italien nach Berlin zu schaffen, wie es gegenwärtig noch in großem Umfang geschieht, findet Agrarminister Vogel. Klimaschutz sieht anders aus.

Allerdings sind die Bedingungen für den Gemüseanbau in Brandenburg auch nicht die allerbesten. Zumal dann, wenn die Gemüsebauern auf Gewächshäuser verzichten und allein auf das Freiland setzen. »Eine Saison ist in der Rheinebene mal eben drei Monate länger als hier«, erläutert FBB-Vizechefin Kabath. Das schlägt sich in höheren Preisen nieder, bedauert sie. Kabath betont zugleich, dass es nur leicht höhere Preise seien, da die FBB in der Kalkulation den Kunden entgegenkomme und die Havita ihre Dienste sehr günstig anbiete. Was die dennoch verbleibende Preisdifferenz zu Gemüse von anderswo betrifft, kann Kabath nur an die Verbraucher appellieren, aus Verantwortung für die Umwelt regionale Produkte zu kaufen. Denn das vermeidet CO2-Emmissionen beim Transport.

An regionalen Lebensmitteln sehr interessiert ist Georg Kaiser, Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender der Bio Company. »Kaffee und Bananen werden auch in Zukunft nicht aus Brandenburg kommen können«, macht er sich nichts vor. Doch 60 Prozent der Waren in den Filialen seiner Handelskette könnten durchaus aus der Region stammen. Tatsächlich sind davon derzeit etwa die Hälfte von hier, bei der Frischmilch seien es schon 100 Prozent, beim Fleisch 80 Prozent.

Um die Quoten zu erhöhen, wo es möglich ist, hat Brandenburg ein neues Regionalsiegel eingeführt. Es soll die Verbraucher anregen, im Regal speziell nach diesen Waren zu greifen. Es gibt eine konventionelle und eine Bio-Variante dieses Regionalsiegels. Die Gemüsebauern Riesener und Götze wollen sich das Bio-Regionalsiegel nun holen.

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