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Doppelter Drahtseilakt in Frankfurt
Die Eintracht hofft gegen Marseille auf einen Sieg und friedliche Stimmung
Wie das berühmte Lauffeuer verbreitet sich gerade in sozialen Netzwerken das Interview von Michael Brehl, das er den Vereinsmedien von Eintracht Frankfurt vor dem Heimspiel an diesem Mittwoch in der Champions League gegen Olympique Marseille gegeben hat. Noch immer liegt der Frankfurter Fan aus Friedrichsdorf im Krankenhaus, nachdem er beim Hinspiel in Marseille nur knapp dem Tode entkam, als sich eine Leuchtrakete in seinen Körper gebohrt hatte. Mehrere Operationen hat der 65-Jährige hinter sich, psychologische Hilfe holte er sich auch. Der mutmaßliche Täter ist inzwischen wegen Mordes angeklagt, aber noch auf freiem Fuß.
Die Ereignisse machen deutlich, wie gefährlich Pyrotechnik sein kann. »Der Einschlag am Hals ging so schnell, selbst die hochgerissene Hand hat nicht geholfen. Im Fallen habe ich schon gemerkt, dass ich halbseitig gelähmt bin«, erzählt Brehl. Wäre, wie zunächst vermutet, die Halsschlagader betroffen gewesen, hätte er kaum überlebt. Von »bürgerkriegsähnlichen Zuständen« sprach an jenem 13. September der wie viele geschockte Eintracht-Präsident Peter Fischer.
Der gegenseitige Beschuss mit Raketen und Böllern, von beiden Fanlagern ausgiebig bejubelt, konterkarierte alles, was Fankultur ausmacht. Unentschuldbar war auch, dass zudem aus Eintracht-Reihen ein Hitlergruß gezeigt wurde. Mit Djibril Sow fand einer der Frankfurter Wortführer am Dienstag deutliche Worte: »Das war für alle Spieler ein Schock. Da waren Kriminelle auf beiden Seiten am Werk, das möchte ich nicht mehr erleben«, sagte der Schweizer Nationalspieler, der nun auf eine »elektrisierende Stimmung« hofft, die ohne Grenzüberschreitungen auskommt.
Erstaunlich ist, dass überhaupt vor vollen Rängen im Stadtwald gespielt wird. Die Uefa verzichtete erneut auf eine Bestrafung des Europa-League-Siegers, der eigentlich nach dem Platzsturm im Halbfinale gegen West Ham United auf Bewährung spielt. Bei der nächsten Verfehlung aber sind Geisterspiele unvermeidlich. So wird das Rückspiel gegen den französischen Vizemeister zum doppelten Drahtseilakt: Wollen die Hessen im Europapokal überwintern, sollten sie gewinnen.
Die Form stimmt, wie der Sieg in der Bundesliga am vergangenen Wochenende bei Borussia Mönchengladbach zeigte. Vor allem die »vier Musketiere« machen viel Spaß. Die durchsetzungsstarke Entdeckung Randal Kolo Muani, der neuerdings so abschlussstarke Irrwisch Jesper Lindström, der feine Einfädler Daichi Kamada und der noch leise auf die WM-Teilnahme hoffende Edeltechniker Mario Götze garantieren in der Offensive gute Unterhaltung. Trainer Oliver Glasner sieht drüber hinweg, dass es ohne den verletzten Altmeister Makoto Hasebe bisweilen arg wackelt in der Abwehr, die auch ohne den gesperrten Tuta auskommen muss. »Dass wir hinten umbauen müssen, sind wir gewohnt«, versicherte Glasner. Mit einem Erfolg hätte es sein Team im letzten Gruppenspiel bei Sporting Lissabon noch in der eigenen Hand, ins Achtelfinale einzuziehen.
Aber wichtiger für weitere stimmungsvolle Europapokal-Nächte wäre es, dass jetzt in Frankfurt alles friedlich abläuft. Verbale Abrüstung kann da im Vorlauf nur helfen. Der vermutlich für sein weiteres Leben beeinträchtigte Brehl spielt dabei eine Schlüsselrolle, wenn er öffentlich versichert: »Ich habe keinen Zorn oder Wut auf irgendjemand. Eintracht Frankfurt hat eine Haltung: Wir verzeihen, wir sind tolerant, wir haben keine Revanchegelüste.« Hilft sein Appell? Die tonangebenden Ultra-Gruppierungen haben bislang nichts verlautbart. Fanexperten wie Michael Gabriel äußerten sich zuletzt besorgt, da unter den Ultras generell die Gewaltschwelle gesunken sei.
Aufsichtsratschef Philip Holzer vertraut bei den konkreten Sicherheitsmaßnahmen auf die Arbeit der Exekutive. »Ich bin sicher, alle handelnden Personen werden das Notwendige unternehmen, um entsprechend vorbereitet zu sein.« Für ihn war erschreckend, dass sich die Behörden in Marseille offenbar vor der gewaltbereiten Fanszene, geprägt von vielen desillusionierten Jugendlichen mit nordafrikanischen Wurzeln, ergeben haben. »Für mich hat sich da einmal mehr erkennen lassen, dass insbesondere der französische Staat in Bereichen Teile seiner Gesellschaft abgeschrieben hat«, sagte Holzer. »Gnade uns Gott, dass wir dieselbe Entwicklung in Deutschland nicht erleben.«
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