Langzeitmieter oder Schwiegermutter

Bündnis protestiert gegen die Zwangsräumung eines 64-Jährigen aus seiner Wohnung in Steglitz

  • Lola Zeller
  • Lesedauer: 4 Min.
Aktivist*innen gegen Zwangsräumungen mobilisieren seit Wochen regelmäßig vor der Firmenzentrale von MyBudapester.
Aktivist*innen gegen Zwangsräumungen mobilisieren seit Wochen regelmäßig vor der Firmenzentrale von MyBudapester.

Der Kurfürstendamm ist nicht zuletzt für Tourist*innen ein beliebtes Ziel, um an teuren Einkaufsläden und Luxusboutiquen entlang zu flanieren. Soziale Proteste zieht der Boulevard in Charlottenburg-Wilmersdorf hingegen weniger an – und doch gibt es sie auch hier. Seit einigen Wochen steht dabei ein Wohnungseigentümer im Fokus einer Gruppe gegen Zwangsräumungen in der Stadt: Jeden Donnerstag protestieren sie vor den Büros der Internetfirma MyBudapester.com am Kurfürstendamm 43 gegen die Eigenbedarfskündigung, mit der zwei der Geschäftsführer einen 64-Jährigen aus seiner Wohnung in Steglitz rauskanten wollen.

Micha, der betroffene Mieter, lebt seit 40 Jahren in der Wohnung, sagt ein Aktivist des Bündnisses Zwangsräumung verhindern, der sich David Schuster nennt. »Er hat nichts falsch gemacht. Er wollte dort alt werden. Und nun soll er ausziehen, weil andere mehr Geld haben?«, so Schuster zu »nd«. Das Bündnis unterstützt Micha im Kampf um seine Wohnung und organisiert die wöchentlichen Mahnwachen am Kurfürstendamm, um die Öffentlichkeit über die Vorgänge zu informieren. Micha selbst möchte weder seinen ganzen Namen noch seine Adresse öffentlich machen.

Seine Wohnung wurde 2018 von den beiden MyBudapester-Geschäftsführern Tomasz Rotecki und Matthias Nebus gekauft. Daraufhin wurde Eigenbedarf für Roteckis Schwiegermutter angemeldet. Ob sich Michas Zwangsräumung mit Unterstützung der Aktivist*innen noch abwenden lässt, ist fraglich. Der Eigenbedarfsklage der Eigentümer ist in erster und zweiter Instanz stattgegeben worden. »Vor Gericht haben die Eigentümer gewonnen und dürfen Micha aus der Wohnung räumen«, sagt Schuster.

Es sei ein ganz grundsätzliches Problem, dass man Eigenbedarfskündigungen vor Gericht so einfach durchziehen könne, findet Schuster. »Die Leute, die in der Wohnung leben, haben ein Recht darauf, in ihrem Zuhause bleiben zu dürfen – auch wenn andere mehr Geld haben und deshalb die Wohnung für sich selbst kaufen können«, sagt der Räumungsgegner. In der Arbeit von Zwangsräumung verhindern seien die Zahl der Fälle in diesem Bereich in den vergangenen Jahren stark gestiegen.

»Eigenbedarf bietet auch ein Schlupfloch für Vermieter*innen, um langjährige Mieter*innen aus den Wohnungen zu kriegen«, so Schuster. Zumal der Klagegrund recht breit auf das Umfeld der Eigentümer*innen angewandt werden könne. Und wenn die Eigenbedarfsklage einmal durch sei, werde später nicht überprüft, ob die ursprünglich benannten Personen tatsächlich einziehen. »Dann ist der günstige Altmietvertrag trotzdem gekündigt und die Vermieter*innen können die Wohnung teuer neu vermieten«, erklärt Schuster.

Eigentümer Tomasz Rotecki will sich nicht vorwerfen lassen, er schiebe seine Schwiegermutter vor, um den Mieter loszuwerden. »Wir haben meine Schwiegermutter vor sieben Jahren zu uns nach Berlin geholt, weil wir Unterstützung bei der Pflege unserer kranken Tochter brauchten«, sagt er zu »nd«. Drei Jahre später seien notwendige Operationen durchgeführt worden, die Schwiegermutter würde seither nicht mehr mit Roteckis Familie zusammenwohnen müssen. »Wir wollten sie nach der ganzen Hilfe, die sie für uns geleistet hat, nicht einfach rausschmeißen. Deshalb haben wir Micha gekündigt, damit meine Schwiegermutter dort einziehen kann.«

Seit vier Jahren liege man nun schon im Rechtsstreit mit Micha, die Eigentümer haben gewonnen. Mit Micha habe man versucht, eine einvernehmliche Lösung zu finden, sagt Rotecki. »Das Gericht hatte den Vorschlag gemacht, dass wir eine Entschädigung von 10 000 Euro zahlen und Micha bei der Wohnungssuche unterstützen. Dazu waren wir bereit, aber Micha hat abgelehnt.« Nun gebe es keine andere Lösung, als ihn vor die Tür zu setzen. »Die Auszugsfrist ist Ende November. Wenn Micha bis dahin nicht ausgezogen ist, müssen wir die Zwangsräumung veranlassen«, so Rotecki.

Das Bündnis Zwangsräumung verhindern verweist in ihren Statements auf den Umsatz von MyBudapester, der nach deren eigenen Angaben im Jahr 2019 bei 16 Millionen Euro gelegen habe. »Natürlich wissen wir schlussendlich nicht, ob die Schwiegermutter tatsächlich dort einziehen wird oder nicht. Aber die Eigentümer haben genug Geld, um etwas anderes zu finden. Für Micha sieht das ganz anders aus«, sagt Aktivist David Schuster. Die Zwangsräumung des Mieters drohe nach Ende der Auszugsfrist, im Dezember oder im Januar, schätzt er.

»Selbst wenn wir die Räumung nicht verhindern können, wollen wir sie für die Eigentümer so schwierig wie möglich machen«, sagt Schuster. Der kontinuierliche Protest von Räumungsgegner*innen könne auch dazu führen, dass andere Eigentümer*innen es sich zweimal überlegen, ob sie wirklich räumen lassen wollen. Unterstützt von Aktivist*innen von Deutsche Wohnen & Co enteignen ruft das Bündnis deshalb auch an diesem Donnerstagnachmittag wieder zu einer Kundgebung vor den MyBudapester-Büros am Kurfürstendamm auf. Die klare Ansage von Schuster: »Wir zeigen: Wenn ihr zwangsräumt, dann gibt es dagegen Proteste.«

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