- Politik
- Linkspartei
Wie heiß soll’s sein?
Bei einer Demonstration der Linkspartei in Suhl wollte der Funke nicht überspringen
Es gibt zwei Momente, in denen Gregor Gysi an diesem Dienstagabend verhältnismäßig viel Beifall bekommt. Immer gemessen daran, dass hier gerade etwa 100 bis 200 Menschen in der Innenstadt von Suhl stehen. Ob das viele Menschen sind? Die Antwort hängt von der Erwartungshaltung ab.
Wenn man berücksichtigt, dass die ehemalige DDR-Bezirksstadt im Süden Thüringens heute eine statistisch stark überalterte Kleinstadt ist, ist das keine ganz schlechte Zahl. Erinnert man aber daran, dass die Linke-Bundestagsfraktion diese Kundgebung, auf der Gysi nun spricht, als »die erste von unseren Herbstkundgebungen« angekündigt hat, dann ist das eine ziemlich schlechte Zahl. Besonders, weil Die Linke in den vergangenen Wochen und Monaten nicht müde geworden ist, der Ampel-Koalition Totalversagen vorzuwerfen, und sich vorgenommen hatte, den Protest gegen deren Politik auf die Straße zu bringen.
Was diese Kundgebung deshalb vielmehr zeigt, ist zum Beispiel, welche Risse auch durch das linke Milieu gehen, betrachtet man die Inhalte hinter diesem Protest. Denn es ist eben kein Zufall, dass fast alle der anwesenden, oft nicht mehr jungen Menschen ihre Hände zusammenschlagen, als Gysi – der als außenpolitischer Sprecher der Linke-Bundestagsfraktion angekündigt wird – auf den Ukraine-Krieg zu sprechen kommt.
Die Nato und die EU hätten seit dem Ende des Kalten Krieges im Umgang mit Russland alles falsch gemacht, was sie hätten falsch machen können, sagt Gysi – und wird von Beifall unterbrochen. Dann setzt Gysi nach: »Aber es war kein Fehler dabei, der einen Angriffskrieg gerechtfertigt hätte.« Diese Einschätzung gefällt offensichtlich nicht allen eben noch Begeisterten. Jedenfalls wird der 74-Jährige zwar auch dafür beklatscht, aber nicht so sehr wie für seinen Satz zuvor.
Deutlicher könnte kaum werden, wie schwer sich viele im linken Lager noch immer damit tun, den Überfall Russlands auf die Ukraine klar als solchen zu benennen und zu verurteilen – ganz ohne jede direkte oder indirekte Relativierung.
Ähnlich viel Applaus bekommt Gysi nur noch einmal, als er auf den Zustand seiner eigenen Partei eingeht, die er auffordert, damit aufzuhören, »sich so zickig zu streiten«. Das sei überhaupt nicht die Aufgabe der Linken, die sich vielmehr um den Osten kümmern müsse, sagt er. »Wir dürfen den Osten nicht der AfD überlassen.« Stattdessen müsse seine Partei den sozialen Protest organisieren, beispielsweise gegen die unsoziale Politik der Bundesregierung.
Und der Rest, der eigentlich im Zentrum des angekündigten heißen Herbstes stehen sollte? Das, worüber neben dem ewigen Vorzeige-Linken zum Beispiel auch die Thüringer Landesvorsitzende der Partei, Ulrike Grosse-Röthig, und ein lokaler Gewerkschafter schimpfen? Hohe Energiepreise. Entlastungen mit der Gießkanne, die an vielen Menschen vorbeigehen?
Über all das wird auf dieser Kundgebung natürlich auch gesprochen, ziemlich ausführlich sogar. Grosse-Röthig spottet zum Beispiel über »die Segnungen der Ampel« und – mit einem bitteren Unterton – über Aufforderungen an die Menschen vor allem im Osten, doch bitte Energie zu sparen. »Hier gibt es nichts mehr einzusparen«, sagt sie.
Der Gewerkschafter schmettert von der kleinen Bühne Sätze, die so oder so ähnlich auf linken Kundgebungen immer zu hören sind. Zum Beispiel: »Wir müssen gesellschaftlich neu umverteilen.« Oder: »Der Einkommensmillionär mit drei Porsches in der Garage braucht keinen Tankrabatt und kein 9-Euro-Ticket.«
Zudem widmet auch Gysi – ganz Generalpolitiker – sich diesem Themenbereich. Die Ampel, moniert er, vergesse bei ihren Hilfspaketen stets bestimmte Bevölkerungsgruppen. Unter anderem habe sie bei ihren ersten Entlastungen die Rentner vergessen, die nun immerhin und bekanntermaßen einen 300-Euro-Zuschuss erhalten sollen. Für ihn sei das alles in allem ein Ausweis dafür, dass die Bundesregierung die aktuelle Vielzahl der Krisen nicht beherrsche. »Sie ist schlicht und einfach überfordert.«
Bloß: So richtig zündet all diese Kritik – egal, wer sie an diesem Abend vorbringt – nicht. Es gibt höflichen Applaus von den Umstehenden. Mal mehr, mal weniger. Aber heiß ist all das nicht, eher lauwarm, was freilich – und da schließt sich der Kreis – auch daran liegen mag, dass Suhl in seinem aktuellen Zustand nun nicht der erste Ort ist, den man sich aussuchen sollte, um eine soziale Revolution zu beginnen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.