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Schmutzige Propaganda-Bombe?
Moskau beschuldigt Kiew vehement, eine nukleare Provokation vorzubereiten
Die Ukraine will eine »schmutzige Bombe« einsetzen. In die Pläne verwickelt könnten auch westliche Staaten sein, meinte der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja und sprach am Mittwoch von »Nuklearterrorismus«. Am selben Tag nahm der Staatschef Wladimir Putin an einer Übung seiner »strategischen Abschreckungskräfte« teil. Die sind darauf trainiert, im Falle einer Bedrohung Russlands atomar zu reagieren. Auch Putin warnte Kiew vor dem Einsatz einer »schmutzigen Bombe«. Es gebe eine »ernsthafte Bedrohung« – darauf beharrte der Vizebotschafter Dmitri Poljanski, nachdem sich der UN-Sicherheitsrat hinter verschlossenen Türen mit Russlands Anschuldigungen befasste. Laut Poljanski habe der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor, mit Hilfe der »schmutzigen Bombe« einen direkten Zusammenstoß zwischen Russland und der Nato zu provozieren. Parallel dazu verlangte die Sprecherin des Moskauer Außenministeriums, Maria Sacharowa, »eine Barriere« gegen Kiews Pläne zu errichten.
Kein Rauch ohne Feuer, warnen westliche Geheimdienstanalysten. Die Uno schickt Spezialisten der Internationalen Atomenergiebehörde zu Nachforschungen aus und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg meint, allein die schiere Menge solcher Botschaften sei »höchst besorgniserregend«. Insbesondere wenn man bedenke, dass es keine Beweise und keine Logik gibt, um eine solche Behauptung zu stützen.
Auch ohne die entsprechende Nukleartechnologie zu beherrschen, lässt sich atomarer Schaden anrichten. »Schmutzige Bomben«, auch »Atomwaffen für Arme« genannt, sind zwar bislang noch nie eingesetzt worden, doch traute man das Terrororganisationen wie Al Qaida oder Islamischer Staat jederzeit zu. Das Wirkprinzip ist simpel. Man nimmt Artilleriegranaten, Raketensprengköpfe oder andere mit konventionellem Sprengstoff versehene Vorrichtungen und mischt ihnen radioaktive Stoffe bei. Bei der Explosion oder Detonation werden sie frei und kontaminieren möglichst große Flächen. Vor wenigen Jahren noch meinte das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz, dass die psychologischen Folgen eines solchen Anschlages gewiss groß seien, doch die radiologischen Gefahren einer »schmutzigen Bombe« würden oft überschätzt. Selbst dann, wenn größere Mengen Cäsium 137 freigesetzt würden. Etwas gefährlicher sei freilich Plutonium 239. Doch diese Bewertung hatte keinen Krieg zwischen Russland und der halben westlichen Welt als Hintergrund.
Der Wahrheitsgehalt der Moskauer Anschuldigungen ist schwer zu überprüfen. Dazu sind auch die Darstellungen von Generalleutnant Igor Kirillow zu vage und widersprüchlich. Der Kommandeur der russischen Spezialtruppen zur Abwehr atomarer, biologischer und chemischer Angriffe behauptet, man wissen eben, dass Kiew eine solch abscheuliche Provokation mit hochangereichertem Uran plane. Ausländische Messstationen würden nach der Zündung der Bombe eine unnatürliche Zunahme von der Radioaktivität registrieren. Danach könne Kiew behaupten, Moskau habe auf dem Schlachtfeld eine taktische Nuklearbombe eingesetzt.
Damit hatten diverse russische Scharfmacher ja bereits mehrfach gedroht. Was General Kirillow nicht erwähnte. Wohl aber behauptete er: Die Ukraine habe die notwendige Produktionsbasis, um so eine »schmutzige Bombe« zu bauen. Die Materialien könne man leicht aus den laufenden Atomkraftwerken oder der Nuklearruine bei Tschernobyl abzweigen. Auch in den Entsorgungsbetrieben »Vektor«, »Burjakowka«, »Podlesny«, »Rossocha« sowie im Chemiewerk Prydniprowsk gebe es genügend radioaktiven Müll. Die wissenschaftliche Basis sei gegeben. Immerhin hätten Wissenschaftler des Charkower Instituts für Physik und Technologie am sowjetischen Atomprogramm teilgenommen. Einige amtliche Kommentatoren in Moskau »wussten«, Selenskyi habe Getreue angewiesen, geheime Gespräche mit Partnern in Großbritannien zu führen. Thema: Transfer von Atomwaffenkomponenten. Beim Überbieten der Spekulationen verweisen russische Medien zugleich auf das Kiewer Institut für Kernforschung und kramten aus Archiven hervor, dass der ukrainische Präsident bereits im Februar mit dem Rückzug aus dem sogenannten Budapester Abkommen gedroht habe. In dem hatte die Ex-Sowjetrepublik nach dem Zusammenbruch der UdSSR ihren Verzicht auf Atomwaffen erklärt.
Das alles klingt nicht nach einem homogenen Beweis. Dennoch telefonierte der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow mit seinen Partnern in London und Washington. Nachdem Verteidigungsminister Sergej Schoigu bereits mit seinen Ministerkollegen in London, Washington und Ankara gesprochen hatte. Glauben fanden beide nicht, weshalb Putins Sprecher Dmitri Peskow nachschob: Die Nato möge den Informationen misstrauen, die Bedrohung gebe es dennoch.
Das Misstrauen ist begründet. Im Frühjahr hatte Moskau eine ähnliche Kampagne losgetreten. Damals hieß es, Kiew entwickle mit US-Hilfe biologische Waffen. Sogleich kam im Westen der Verdacht auf, Russland bereite so eine Operation unter »falscher Flagge« vor, wolle also selbst einen Anschlag verüben und ihn der ukrainischen Regierung und ihren westlichen Helfern anlasten. Nun erneut auf die Möglichkeit angesprochen, reagierte ein Pentagon-Sprecher ausweichend: »Wir haben keine Informationen, die darauf hindeuten, dass die Russen eine Entscheidung getroffen haben, Atomwaffen einzusetzen.«
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