Leben und Tod des Hans von Dohnanyi

Wie die Nazis den Hitler-Gegner wenige Tage vor der Befreiung des KZ Sachsenhausen ermordeten

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 22. April 1945 befreiten sowjetische und polnische Soldaten 3000 kranke Häftlinge aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen. Für den kranken Hans von Dohnanyi, der zum Kreis der Verschwörer des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 gehörte, kam diese Rettung 14 Tage zu spät. In der Kommandantur von Sachsenhausen verurteilte ihn ein Standgericht zum Tode. Der Angeklagte lag dabei nach Misshandlungen und mit Diphtherie infiziert auf einer Bahre. Einen Verteidiger hatte er nicht an seiner Seite. Ob der mit Beruhigungsmitteln betäubte Dohnanyi von dem Prozess etwas mitbekommen hat, ist fraglich. Fakt ist: Ein Standgericht der SS war für ihn nicht zuständig, nach den offiziellen Bestimmungen hätte es ohnehin nur für einen akuten Fall zusammentreten dürfen. Die Vorwürfe gegen Dohnanyi bezogen sich aber auf Tatbestände, die mehr als ein Jahr zurücklagen.

Das alles interessierte Adolf Hitler aber nicht. Er wollte, bevor er sich selbst das Leben nahm, noch die Männer umbringen lassen, die versucht hatten, den Naziverbrechen ein schnelleres Ende zu bereiten. Das Standgerichtsverfahren diente, wenn es überhaupt so stattgefunden hat, wie von den Tätern später behauptet, lediglich dazu, dem Mord an Dohnanyi einen Anstrich als legale Hinrichtung zu geben. So schildert es Christoph U. Schminck-Gustavus in seinem Buch »Der Tod auf steilem Berge«. Es ist den Prozessen gegen Hans von Dohnanyi im KZ Sachsenhausen und gegen Dietrich Bonhoeffer und anderen im KZ Flossenbürg gewidmet und den späteren Verfahren gegen ihre Mörder in der Bundesrepublik. Diese endeten mit Freisprüchen oder geringen Strafen, wobei die Verurteilten vorzeitig aus der Haft entlassen wurden.

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Die Todesstrafe wurde 1949 in Westdeutschland abgeschafft – nicht zuletzt, um Kriegsverbrecher davor zu bewahren. Hans von Dohnanyi jedoch musste sterben. Seine Henker ermordeten ihn ohne Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand. Im Erschießungsgraben, der heute in der Gedenkstätte Sachsenhausen besichtigt werden kann, wurde Dohnanyi von seiner Bahre an einem Strick hochgezogen und erdrosselt. In einer damaligen Baracke des Krankenreviers wird in einer Dauerausstellung an sein Schicksal erinnert.

Verhaftet wurde Hans von Dohnanyi, dessen Sohn Klaus von 1981 bis 1988 Erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg war, bereits im April 1943, also noch weit vor dem 20. Juli 1944. Ihm wurde vorgeworfen, die Flucht von Juden in die Schweiz bewerkstelligt zu haben. Der Jurist in den Diensten des Amtes Ausland/Abwehr beim Oberkommando der Wehrmacht verteidigte sich aber geschickt, die Juden hätten im Ausland für Hitlerdeutschland spionieren sollen. Doch dann wurden in einem Panzerschrank in Zossen Dokumente gefunden, die ihn schwer belasteten. Eigentlich hätten die Schriftstücke vernichtet werden sollen. Doch sie blieben erhalten, weil damit für die Geschichtsschreibung nachgewiesen werden sollte, dass der militärische Widerstand bereits 1938 und 1939 zuschlagen wollte und nicht erst 1944, als sich die deutsche Niederlage deutlich abzeichnete.

Autor Schminck-Gustavus dokumentiert und kommentiert die Skandalurteile der 1950er Jahre gegen SS-Standartenführer Walter Huppenkothen, der bei dem Schmierentheater in Sachsenhausen und Flossenbürg den Ankläger spielte, und SS-Sturmbannführer Otto Thorbeck, der in Flossenbürg in dem angeblich ordnungsgemäßen Standgerichtsverfahren den dienstbeflissenen Richter mimte. Dass es ja doch irgendwie Hochverrat an der Heimat gewesen sei und insofern rechtens, diejenigen zum Tode verurteilt zu haben, die sich gegen Hitlers Terrorregime auflehnten – diese Einschätzung der von Nazis durchsetzten bundesdeutschen Nachkriegsjustiz überrascht mit dem Wissen von heute nicht mehr. Es erschüttert dennoch, dies im Detail zu lesen. Huppenkothen lebte bis 1979, Thorbeck bis 1976, was ihren Opfern nicht vergönnt war. Erst 1998 wurde ein Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile erlassen.

In einem Epilog schildert Schminck-Gustavus seine Besuche in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg zum 50., 60. und 70. Jahrestag der Ermordung von Hans von Dohnanyis Schwager Dietrich Bonhoeffer. Beim 50. Jahrestag trifft er dort Uwe, den erstgeborenen Sohn des SS-Richters Otto Thorbeck, der »Gerechtigkeit« für seinen Vater einfordert, der doch »gar nicht anders gekonnt habe«.

Beim 70. Jahrestag begegnet er dann dessen Bruder Hartmut. »Ich kannte Hartmut Thorbeck bereits aus einer Fernsehdokumentation, in der er über sein leidvolles Erwachsenwerden als Sohn eines SS-Chefrichters erzählt hat und über die Konflikte mit seinem Vater, der sich niemals von seiner NS-Vergangenheit distanziert, geschweige denn Reue gezeigt oder eine Bitte um Vergebung geäußert hat.«

Zum Schluss schildert der Autor, der Rechtshistoriker ist und sich bis dahin an die Fakten hält, ganz poetisch eine Erscheinung. Er sieht nachts in Flossenbürg: Eine Menge mit Kerzen, die der Opfer gedenkt, drängt zwei Herren in grauen Anzügen in eine Arrestzelle. Am Morgen öffnet Schminck-Gustavus diese Zelle. Sie ist leer.

Christoph U. Schminck-Gustavus: Der Tod auf steilem Berge. Die »Standgerichtsprozesse« gegen Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi und die Freisprechung ihrer Mörder. Donat-Verlag, 384 S., geb., 29,80 €.

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