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Im Sarg zurück in die Heimat

Das Schicksal des nepalesischen Arbeiters Rupchandra Rumba ist ein erschütterndes Beispiel für das tödliche System auf den Baustellen der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar

  • Anne-Sophie Galli, Kathmandu
  • Lesedauer: 6 Min.

Denkt Nirmala Pakhrin an die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar, wird sie traurig. Ihr Mann Rupchandra Rumba war Gerüstbauer auf der Baustelle des unter der heißen Sonne schimmernden Education City Stadions unweit der Hauptstadt Doha. Per Videoanruf habe er es ihr immer wieder gezeigt. »Er sagte mir, dass Leute aus der ganzen Welt in dem Stadion spielen würden«, erzählt Nirmala der Deutschen Presse-Agentur in Nepal. »Er musste auf hohe Gerüststangen klettern, und er sagte, dass ihm das manchmal Angst machte.« Am 23. Juni 2019 starb Rupchandra Rumba – an einem Herzinfarkt.

Der Nepalese steht in jener vom WM-Organisationskomitee veröffentlichten Statistik der »Non-Work-Related Deaths«, der Todesfälle, die laut diesen Angaben nicht unmittelbar im Zusammenhang mit der Arbeit auf den Stadionbaustellen stünden. 37 Namen sind auf dieser Liste zu finden. Das Emirat weist Kritik und Berichte über Tausende Tote auf den Baustellen Katars seit Jahren vehement zurück. Der britische »Guardian« hatte in einem viel beachteten Bericht von 6500 Toten auf allen Baustellen in Katar im vergangenen Jahrzehnt seit der Vergabe gesprochen. Das Organisationskomitee kritisiert eine demnach undifferenzierte und verkürzte Darstellung der Todesfälle.

Nirmala sagt, dass es ihrem Mann noch kurz vor seinem Tod gesundheitlich gut zu gehen schien. Doch dann starb er plötzlich in der Nacht in seinem Stockbett in einer einfachen Unterkunft für Baustellenarbeiter. Die Zimmernachbarn hätten ihr die traurige Nachricht am Telefon überbracht. Ein »natürlicher Tod« im Alter von 27 Jahren steht auf dem Totenschein. Nirmala sagt, ihr Mann sei nur 24 Jahre alt geworden. Er habe bei der Ausstellung seiner Ausweispapiere geschummelt und ein höheres Alter angegeben, um früher ins Ausland zu können.

Wie Rupchandra reisen jeden Monat Tausende Nepalesen und wenige Nepalesinnen zur Arbeit in den Mittleren Osten. Dort sind die Löhne vergleichsweise hoch – und versprechen in einigen Jahren ein besseres Leben in der Heimat. Rupchandra sei in Katar ein Monatslohn von 1200 Riyal (329 Euro) plus Überstundenbezahlung versprochen worden, etwa dreimal so viel wie ein Nepalese durchschnittlich in seiner Heimat im Himalaja verdient. Zudem ist es für Nepalesen und andere Menschen mit wenig Reisefreiheit in Katar einfacher zu arbeiten. Im WM-Gastgeberland leben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge rund zwei Millionen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter.

Rupchandra wollte in Katar genügend Geld verdienen, um seiner Familie ein Stück Land und ein Häuschen zu kaufen sowie um Schulden abzubezahlen, wie Nirmala sagt. In ihrem letzten Gespräch am Abend vor seinem Tod habe er ihr gesagt, dass er in zwei Jahren zurückkehren wolle und sie gut für ihren Sohn sorgen solle.

Die Geldrücksendungen aus Katar machen für Nepal einen wichtigen Teil des Bruttoinlandsprodukts aus. Die Nepalesen arbeiten oft auf dem Bau, als Wachleute oder in Hotels. Ihre Arbeitszeiten sind lang, die Arbeit hart, und immer wieder werden sie wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Sie leben oft jahrelang in Fernbeziehungen, ihre Familien dürfen sie als Gastarbeiter nicht mitnehmen. Auch Nirmala und Rupchandra verbrachten die meiste Zeit ihrer Ehe getrennt. »Er musste zuerst im Straßenbau arbeiten, und es war so hart, dass er nach Hause kommen wollte«, erzählt Nirmala. Vermittelt wurde ihr Mann von einer Personalfirma, die viel versprach, aber wenig davon einhielt. Das WM-Organisationskomitee urteilte im Bericht zum Tod Rupchandras, diese Firma sei nur »kurzzeitig« von einem Subunternehmer beauftragt gewesen, und das ohne Genehmigung.

Das sogenannte »Kafala«-System, das ausländische Arbeitnehmer an einen Arbeitgeber bindet und ihnen praktisch alle Rechte nimmt, ist offiziell abgeschafft. Menschenrechtsorganisationen bemängeln aber die Umsetzung der Reformen. Gastarbeiter aus armen Ländern in Asien und Afrika haben weiter geringe Anreize zu kündigen, da sie in der Regel durch Arbeitsvermittlungsagenturen nach Katar kommen und oft Schulden aufnehmen, um deren Vermittlungsgebühren zahlen zu können. Rupchandra durfte schließlich auf die WM-Baustelle wechseln. Genug Geld, um seine Schulden für die Arbeitsvermittlungsagentur abzubezahlen, habe er in seinen acht Monaten in Katar trotzdem nicht verdient, sagt Nirmala.

Die Vermittlungsgebühr für Nepalesinnen und Nepalesen liegt oftmals um ein Vielfaches höher als die von ihrer Regierung erlaubten 10 000 Rupien (78 Euro), wie Indra Lal Gole Tamang von der Hilfsorganisation Foreign Employees Rescue Nepal sagt, die sich um nepalesische Arbeiter im Ausland in Not kümmert. Rupchandra habe seiner Agentin rund 80 000 bis 90 000 Rupien (620 bis 698 Euro) zahlen müssen und sich dieses Geld mit hohen Zinsen von einem Geldverleiher geliehen, sagt Nirmala. Nach Hause kam ihr Mann in einem schlichten Metallsarg.

Menschenrechtsorganisationen und zuletzt auch der Deutsche Fußball-Bund fordern inzwischen die Einrichtung von Entschädigungsfonds für die Hinterbliebenen der gestorbenen WM-Arbeiter. Der Weltverband Fifa und Katar nehmen mit dem WM-Turnier vom 20. November bis 18. Dezember eine Milliardensumme ein. Amnesty fordert unter dem Motto »Fußball ja. Ausbeutung nein« Zahlungen in Höhe von mindestens 440 Millionen US-Dollar (ca. 446 Millionen Euro). Die Fifa stehe hier klar in der Verantwortung, hatte DFB-Präsident Bernd Neuendorf gesagt.

Mit dem Tod ihres Mannes begann Nirmala den Kampf um eine Entschädigung, die sein Arbeitgeber zunächst nicht zahlen wollte. »Sie sagten mir, dass ich Entschädigung erhalten hätte, wenn er bei der Arbeit gestorben wäre. Aber nun qualifiziere ich mich nicht dafür, weil er im Schlaf starb«, sagt sie. Schließlich habe sie nach Rupchandras Tod 1500 Riyal (rund 414 Euro) erhalten. Später, nachdem das WM-Organisationskomitee interveniert hatte, seien noch weitere 7000 Riyal (1914 Euro) dazugekommen. »Bitte gestatten Sie mir, Ihnen nach dem schmerzlichen Verlust Ihres Mannes mein tiefstes Beileid auszusprechen«, schrieb WM-Organisationschef Hassan al-Thawadi in einem Brief an die Witwe im März 2020, der der dpa vorliegt. »Zu erfahren, dass jemand in Verbindung mit meiner Organisation und diesem Projekt gestorben ist, erfüllt mich mit tiefem Bedauern.«

Von nepalesischer Seite gab es schließlich noch 700 000 Rupien (5588 Euro) aus einem Fonds für Arbeiterinnen und Arbeiter im Ausland und 1,5 Millionen Rupien (11 745 Euro) für eine Lebensversicherung. Von diesem Geld habe sie sich ein Stück Land gekauft, sagt Nirmala. Sie vermisst ihren Mann sehr – und das tut auch ihr zehnjähriger Sohn. Er wisse, dass sein Vater tot sei, er habe seinen Körper nach buddhistischer Tradition zur Einäscherung in Brand gesteckt, erklärt Nirmala. Er verstehe aber den Zusammenhang zwischen dem Tod seines Vaters und der WM nicht. Er möchte die WM-Spiele auf Youtube schauen, er mag Cristiano Ronaldo besonders gerne, wie er sagt. Nirmala hofft, dass er mal einen weniger gefährlichen Job haben wird als sein Papa – Arzt zum Beispiel. Aber das Medizinstudium sei teuer. Sie hofft auf eine bessere Zukunft. Was sie den WM-Fans gerne sagen möchte? Nirmala schweigt.

Doch Indra Lal Gole Tamang von der Hilfsorganisation für nepalesische Arbeiter im Ausland sieht bei der WM eine Chance: »Arbeiterinnen und Arbeiter bekommen ihre Honorare nicht, bleiben gestrandet und werden ignoriert, wenn Firmen bankrottgehen. Ich hoffe, dass die Gäste und Politikerinnen und Politiker, die Katar während der WM besuchen werden, Druck auf Katar ausüben, um das Land auf die richtige Bahn zu bringen.« dpa/nd

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