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»Wir versuchen, Feuerwehr zu sein, wo wir nur können«

Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) über Krisenbewältigung, Wahlkampf und selbstzerstörerische Diskurse in seiner Partei

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 9 Min.
»Selbstzerstörerische Diskurse können wir uns als Linke in Berlin nicht leisten«: Kultursenator Klaus Lederer
»Selbstzerstörerische Diskurse können wir uns als Linke in Berlin nicht leisten«: Kultursenator Klaus Lederer

Herr Lederer, reden wir über Krisen: Steffen Zillich, der Haushaltsexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, hat mit Blick auf den Nachtragshaushalt erklärt, mit den angedachten bis zu 1,5Milliarden Euro kommen wir nicht weit, wir brauchen mindestens 2Milliarden. Müssen wir es in Berlin also richtig »wummsen« lassen?

Interview

Klaus Lederer ist seit 2016 Berliner Kultur- und Europasenator sowie Vizesenatschef. Zuvor war der Linke-Politiker über ein Jahrzehnt Berliner Landesvorsitzender seiner Partei. Der 48-jährige Jurist wuchs in Frankfurt (Oder) und Ostberlin auf. Lederer trat bereits 1992 der PDS bei und wird dem sogenannten Reformerflügel der Linken zugerechnet.

Wir sind uns alle miteinander darüber im Klaren, dass das, was vor uns liegt, im Umfang noch gar nicht bezifferbar ist. Insofern ist es aus meiner Sicht komplett alternativlos – und das Wort benutze ich als Linker sehr, sehr selten –, im Jahr 2023 die Schuldenbremse wieder auszusetzen. Wir wissen nicht, welche Konsequenzen die Ankündigungen des Bundes für uns haben. Ob Energiepreisdeckel, Krankenhausrettung oder vergünstigte Tickets für den bundesweiten Nahverkehr: Da ist noch ganz viel unklar.

Also 2Milliarden Euro Minimum?

Die Frage ist doch nicht so sehr: Wer bietet mehr? Wer fordert mehr? Es ist unsere Aufgabe, eher mit einem größeren Handlungsbedarf zu kalkulieren, um am Ende sicher zu sein, dass wir unseren Anspruch auch wirklich einlösen können: Wir wollen niemanden zurückzulassen! Möglicherweise werden wir später feststellen, dass wir mit weniger klargekommen sind. Es wäre mit Sicherheit aber völlig falsch, jetzt einen sehr eng geschnittenen Nachtragshaushalt zu verabschieden, um dann möglicherweise in zwei, drei, fünf oder sieben Monaten festzustellen: Wir können nicht intervenieren. Insofern sage ich, wir versuchen uns gleich auf alle Eventualitäten vorzubereiten und gehen lieber großzügiger in die Kreditaufnahme.

Viel Zeit bleibt Ihnen nicht für die Verhandlungen zum Nachtragshaushalt. Schließlich steht eine Wahlwiederholung vor der Tür. Hat jetzt auch Die Linke in den Wahlkampfmodus geschaltet?

Vorab: Das Landesverfassungsgericht wird am 16. November über eine Wahlwiederholung entscheiden. Erst danach wissen wir wirklich, wie es weitergeht. Nichtsdestotrotz sind bereits ein Wahlstab und ein Landeswahlbüro eingerichtet worden. Natürlich bereiten wir uns als Landesverband auf eine Wahlkampfsituation vor. Und auch das ist klar: Sollte es zu einer Wiederholungswahl kommen, werden wir alles dafür geben, ein gutes Ergebnis rauszuholen. Da werden alle, und zwar nicht nur die, die 2021 auf dem Wahlzettel standen, sondern alle, die jetzt mit an Bord sind, um jede Stimme kämpfen.

Der letzte Wahlkampf liegt erst gut ein Jahr zurück, nun geht es schon wieder los. Was überwiegt: Lust oder Frust?

Natürlich werden wir das auch mit Lust tun. Allerdings eingeschränkt durch die Tatsache, dass vielen Menschen im Augenblick die Lust vergeht, weil wir uns nach zweieinhalb Jahren Corona-Pandemie in einer multiplen Krisensituation befinden. Insofern haben wir im Augenblick nur begrenzt Zeit und Kraft, uns für eine Wahlkampagne flottzumachen. Denn: Wir haben jeden Tag ganz reale Probleme zu lösen. Wir müssen jeden Tag sehen, wie wir das, was wir vor einem knappen Jahr mit dem Koalitionsvertrag begonnen haben, solide weiterführen. Weder Sozialsenatorin Katja Kipping noch Justizsenatorin Lena Kreck noch ich werden sagen können: Die Probleme, die schieben wir jetzt mal auf die Zeit nach dem Februar, in der Zwischenzeit gehen wir in eine Wahlkampfauseinandersetzung.

Was heißt das genau für Ihren Bereich, den Kulturbereich?

Was das heißt? Wir haben die vor zweieinhalb Jahren aufgesetzten Corona-Hilfen im Kulturbereich bis in den Sommer laufen lassen. Jetzt sind die Anschlussprogramme am Start, die dafür sorgen, dass private Kulturbetriebe, aber auch die freie Szene noch mal direkt bezuschusst und unterstützt werden. Wir haben über einen langen Zeitraum die Liquidität gesichert, sorgen nun dafür, dass ein Neustart möglich ist. Das alles machen wir doch nicht mit dem Ziel, die Kultur jetzt in der Energiekrise krachen gehen zu lassen. Für die Kultureinrichtungen werden wir über den Nachtragshaushalt mit Blick auf entsprechende Zusatzkosten eine gewisse Vorsorge treffen.

Das entlässt Kulturbetriebe nicht aus der Verantwortung, selbst zu schauen, an welchen Stellen sie tatsächlich Energiekosten reduzieren können – dabei unterstützen und beraten wir sie auch. Wir haben die Kultur gut durch die Pandemie bekommen, und ich sage ganz deutlich, wir stehen weiter in der Pflicht, das mit ganzer Kraft zu tun! Natürlich spüre aber auch ich überall einen Ermüdungs-, Auszehrungseffekt, einfach ein Ausgebranntsein. Da hilft es, deutlich zu machen: Wir sind solidarisch, wir stehen bereit, wir sind auch empathisch für die Probleme, und wir versuchen, Feuerwehr zu sein, wo wir nur können.

Also: Sacharbeit first, Wahlkampf second? Die Linke wird doch nicht ernsthaft sagen: Sorry, es gibt Wichtigeres, wir holen einfach die Wahlplakate vom vergangenen Jahr wieder hervor

Nein, das würde nicht funktionieren, die Situation ist ja mittlerweile eine komplett andere. Das zentrale Thema wird sein, dass niemand in der Stadt zurückgelassen wird. Richtig ist: Die soziale Frage war immer das Kernthema der Linken, und sie wird auch in diesem Wahlkampf das zentrale Thema sein. Dies umso mehr, als die Sicherung der sozialen Infrastruktur und die Entlastung der Berlinerinnen und Berliner in dieser Krisensituation ganz manifest darauf zurückgeht, dass wir im Senat in der letzten und in dieser Legislaturperiode soziale Mehrheiten dafür gewinnen konnten.

Derweil sucht die CDU zum Beispiel die große Showbühne mit Knallbonbon, indem sie sich als neue Mieterschutzpartei inszeniert. Ob glaubwürdig oder nicht, die Aufmerksamkeit ist gesichert. Und Sie wollen sich im Wahlkampf ganz konservativ vor allem auf das Erreichte konzentrieren?

Ich bin überzeugt, dass die Berlinerinnen und Berliner ein Gefühl dafür haben, wer tatsächlich substanziell und mit großem Engagement, mit großer Ernsthaftigkeit Probleme angeht und abarbeitet – und wer lediglich versucht, ein paar schnelle Punkte zu machen, wie die Spaßpartei CDU mit dem Thema Mieterschutz. Nur zur Erinnerung: In der Vergangenheit hatte die Mietenpolitik der CDU für Mieterinnen und Mieter alles andere als lustige Konsequenzen. Uns geht es darum, um soziale Mehrheiten in der Stadt zu kämpfen. Und ohne uns wird das keiner verfolgen.

Umfragen zufolge steht Die Linke in Berlin trotz des genannten Engagements für das Soziale nur bei zwölfProzent. Das ist zwar deutlich über dem Bundesschnitt, aber eben auch zwei Punkte unter dem Ergebnis von 2021. Woran liegt’s?

Es ist nicht verwunderlich, dass wir in einer Situation, in der die Bundespartei in einer existenziellen Krise steckend wahrgenommen wird, gegen einen Trend ankämpfen müssen. Das bleibt auch Berlinerinnen und Berlinern nicht verborgen. Unabhängig davon ist es aber so, dass wir als Berliner Linke mit Themen, Personal und vor allem auch mit einem praktischen Gestaltungsanspruch punkten können. Und deswegen müssen wir uns auf unsere Stärken besinnen – die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen, die Existenzsorgen vieler Menschen in den Mittelpunkt stellen. Das scheint mir nach wie vor das geeignetere Rezept zu sein, um den Gebrauchswert, den eigenen Stellenwert der Partei nach vorn zu stellen. Und das tut Die Linke hier in Berlin.

Angesichts der jüngsten Aussagen von Sahra Wagenknecht zu den vermeintlich so gefährlichen Grünen: Fürchten Sie nicht, dass die Auseinandersetzungen in der Bundespartei mit den in Teilen rechtsoffenen Positionen des Wagenknecht-Flügels den Wahlkampf der Linken in Berlin überschatten könnten?

Da ich es nicht in der Hand habe, was auf Bundesebene passiert, werde ich mich auf das konzentrieren, was ich, was wir hier in der Hand haben. Und ich glaube, in diesem Wahlkampf werden die Themen der Bundestagsfraktion nicht ernsthaft verhandelt. Aber ganz klar ist, dass ein wie auch immer gearteter Neuaufguss einer Sozialfaschismus-These mit meinem Verständnis von linkem Denken nichts zu tun hat. Dass ich weiß, wo die Gefahr im Bundestag tatsächlich sitzt. Nämlich bei einer Partei, die die Demokratie zersetzt und die für Menschen, die nicht der gängigen Norm entsprechen, tatsächlich zur Lebensgefahr wird. Dazu: Bestimmte selbstzerstörerische Diskurse, bis hin zum Versuch, Wählerinnen und Wähler anderer Parteien durch Nachplappern der Parolen für sich zurückmobilisieren zu wollen, können wir uns als Linke in Berlin nicht leisten. Wir haben hier jeden Tag konkrete Arbeit zu machen.

Wenn wir bereits bei atmosphärischen Spannungen sind: Für Außenstehende wirkt es bisweilen so, als wäre auch bei Rot-Grün-Rot in Berlin der Anfang des Jahres beschworene Zauber des Neustarts schon wieder verflogen. Ist dem so?

Wir sind jetzt seit zehn Monaten als Koalition im Amt und vom ersten Tag an im Krisenmodus. Die Geflüchteten-Situation, die steigenden Lebensmittel-, Lebenshaltungs- und Energiekosten, die Nachwehen der Corona-Pandemie: Wir sind permanent damit konfrontiert, Probleme zu lösen. Jetzt, wo eine Wiederholungswahl nicht mehr auszuschließen ist, ist natürlich der Druck bei Einzelnen in der Koalition besonders groß, gegebenenfalls noch mal eine Revanche für das vielleicht nicht ganz so erwünschte Ergebnis aus dem Herbst 2021 herbeizuführen. Das erzeugt Spannungen, das ist nicht untypisch. Aber ich sage auch: Um überhaupt vom Fleck zu kommen, sind wir in dieser multiplen Krisensituation zur Kooperation verdammt. Und ich habe auch den Eindruck, dass das im Großen und Ganzen ganz gut gelingt.

Da würden manche widersprechen.

Sicher gibt es hier und da auch ganz handfeste Differenzen. Die muss man dann, finde ich, auch transparent machen. Das ist aber auch kein Drama. Und damit ist nicht jedes Mal die Koalition sofort infrage gestellt, sondern das hat damit zu tun, dass drei unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Prioritäten miteinander Politik machen. Die Frage, in welchem Stil man das miteinander tut, ist noch mal eine andere. Aber erst mal ist das ein völlig normaler Vorgang.

Ich gehe davon aus, dass Sie für eine Fortsetzung der Koalition kämpfen werden?

Die Koalitionsvereinbarung, die SPD, Grüne und Linke 2021 miteinander geschlossen haben, war für einen Zeitraum von fünf Jahren abgeschlossen, wobei wir durchaus schon das eine oder andere abgearbeitet haben. Aber es ist noch viel zu tun. Und ich würde an der Stelle immer sagen: Unabhängig von der Tatsache, dass eine mögliche Wahlwiederholung ihre Schatten vorauswirft, einige sich jetzt auch in besonderer Weise bemüßigt fühlen, stärker auf den PR- und den Kraftmeiermodus zu setzen – unser Ziel muss sein, in dieser Stadt für soziale Mehrheiten weiterzuarbeiten und zu kämpfen. Und da sehe ich in der Tat keine anderen Konstellationen als die jetzige. Trotzdem kämpfe ich zuallererst für eine starke Linke innerhalb dieser Konstellation. Denn klar ist: Sowohl der Stil, den wir versuchen in dieser Koalition zu prägen, als auch die Inhalte können wir besser durchsetzen, wenn eine mögliche Wahlwiederholung uns stärkt oder zumindest auf dem Status der letzten Wahl ins Parlament bringt.

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