- Politik
- Lula in Brasilien
Wahlkrimi mit Happy End
Linkspolitiker Lula da Silva siegt in der zweiten Wahlrunde und wird zum dritten Mal Präsident Brasiliens
Als das Wahlergebnis auf der Pressekonferenz die Runde macht, können viele Mitarbeiter*innen der Arbeiterpartei PT die Tränen nicht mehr zurückhalten – es sind Freudentränen. Denn in diesem Moment ist klar: Luiz Inácio »Lula« da Silva hat die Stichwahl um die brasilianische Präsidentschaft gewonnen. Und vielleicht noch wichtiger: Der rechtsextreme Amtsinhaber Jair Bolsonaro wird das größte Land Südamerikas keine vier weiteren Jahre regieren.
Die PT hatte am Sonntag in ein schickes Hotel im Zentrum São Paulos geladen. Neben der internationalen Presse waren auch prominente Gäste anwesend. »Für die Umwelt und Brasiliens Rolle in der Welt war Bolsonaro furchtbar«, sagte der ehemalige britische Labour-Chef Jeremy Corbyn dem »nd«. »Außerdem hat er die Lebensgrundlage der Ärmsten zerstört.«
156 Millionen Brasilianer*innen waren am Sonntag zur Wahl aufgerufen. Medien schrieben im Vorfeld von »der wichtigsten Wahl in der Geschichte Brasiliens.« Denn mit Bolsonaro und Lula standen sich die wahrscheinlich wichtigsten Protagonisten in Brasiliens Politik der letzten Jahrzehnte im direkten Duell gegenüber. Am Ende war es ein denkbar knappes Wahlergebnis: Lula kam auf 50,90 Prozent der Stimmen, Bolsonaro auf 49,10 Prozent. Etwas mehr als zwei Millionen Stimmen trennten die beiden Kandidaten voneinander.
Im Laufe des Tages hatten sich besorgniserregende Berichte gemehrt: Die Autobahnpolizei soll Menschen die Anfahrt zur Wahl erschwert haben. Zahlreiche Busse wurden angehalten, angeblich, um Verbrecher aufzuhalten. Laut Lula-Anhänger*innen soll es sich um eine orchestrierte Aktion gehandelt haben. Die Autobahnpolizei steht Bolsonaro nahe, ihr Chef hatte noch am Sonntag bei Instagram zur Wahl des Rechtsradikalen aufgerufen. Besonders auffällig: Die Aktionen fanden überproportional im Nordosten statt, wo die Mehrheit der Bevölkerung Lula unterstützt. Medien berichteten, dass die Polizeiaktionen bei einem Treffen im Präsidentenpalast geplant worden sein sollen. Trotz der mutmaßlichen Wahlbehinderungen gewann Lula die Wahl.
Um 20:44 Uhr betritt der ehemalige Gewerkschaftsführer unter Jubel die Bühne im Hotel in São Paulo. Fäuste werden in die Luft gereckt, im Chor schallt es: »Olé, olé, olé, olá, Lula, Lula.« Umringt von Politiker*innen und Aktivist*innen dankt Lula in seiner ersten Rede als frisch gewählter Präsident Gott. Danach hält er eine versöhnliche Rede. Er wolle Präsident aller Brasilianer*innen sein – nicht nur für die, die für ihn stimmten. »Es gibt nicht zwei Brasilien«, betont der gewählte Präsident. Zugleich betont Lula die Fortsetzung des Kampfes gegen Rassismus und andere Diskriminierungen. Die »Seele dieses Landes« möchte er nach seinem Amtsantritt am 1. Januar wieder herstellen. Zur obersten Priorität seiner Regierung erklärt Lula die Bekämpfung der extremen Armut und den Sieg über den Hunger. Der Schutz des Amazonas soll mit einer nachhaltigen Entwicklung der Region verbunden werden: »Wir kämpfen für null Entwaldung!« International soll Brasilien wieder Glaubwürdigkeit gewinnen.
Frieden, Liebe, Hoffnung: Lula verspricht nichts weniger, als das tief gespaltene Land wieder zusammenzubringen. Doch einfach wird das nicht. Bolsonaro lag zwar hinter Lula, erzielte aber ein hohes Wahlergebnis. Mit dem Bolsonarismus hat der amtierende Präsident eine überaus aktive Bewegung hinter sich. Außerdem schafften etliche Bolsonaro-nahe Kandidat*innen den Einzug in die Parlamente. In der Megametropole São Paulo setzte sich ebenfalls am Sonntag der Bolsonaro-Kandidat Tarsício Freitas klar gegen den PT-Politiker Fernando Haddad durch. Damit werden die drei größten Bundesstaaten Brasiliens – São Paulo, Rio de Janeiro und Minas Gerais – künftig von Bolsonaro-Verbündeten regiert.
Eine Frau im roten Blazer steht neben Lula auf der Bühne: Es ist Dilma Rousseff, Brasiliens Ex-Präsidentin. »Dieser Sieg bedeutet viel für Brasilien«, sagt Rousseff dem »nd«, die 2016 durch ein juristisch fragwürdiges Amtsenthebungsverfahren ihren Posten als Präsidentin verlor. »Heute haben wir gezeigt, dass wir zurück sind.«
Das wollen nicht alle akzeptieren. In einigen Städten blockierten Bolsonaro-Fans Autobahnen und erklärten, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen. Die gefürchteten größeren Ausschreitungen blieben allerdings aus. Bolsonaro selbst meldete sich zunächst nicht zu Wort. Doch viele prominente Verbündete des Präsidenten erkannten den Wahlsieg Lulas an.
Viel war im Vorfeld über Gewalt diskutiert worden, einige hielten sogar einen Putschversuch für möglich. Denn Bolsonaro hatte seit Monaten Lügen über das elektronische Wahlsystem verbreitet und erklärt: Nur Gott könne ihm die Präsidentschaft entziehen. Doch für einen offenen Bruch mit der Verfassung dürfte es ihm an der nötigen Rückendeckung fehlen. Es gibt eine aktive Zivilgesellschaft in Brasilien, kritische Medien, und die demokratischen Institutionen funktionieren immer noch. Auch im Ausland setzen viele auf die Abwahl Bolsonaros. US-Präsident Joe Biden zählte am Sonntag zu den ersten Gratulanten Lulas.
Wenige hundert Meter vom Hotel entfernt versammelten sich zehntausende Anhänger*innen Lulas zu einer Siegesfeier. Es war ein euphorisches Fest bis tief in die Nacht. »Ich verspüre eine große Erleichterung«, sagte der Lehrer Adriel Fernandes, 39, der zusammen mit seinen zwei Kindern zur Wahlfeier gekommen war. »Hoffentlich können wir jetzt zurück zur Normalität.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.