- Sport
- 1. FC Union Berlin
Ohne Fans, aber mit neuer Kraft zum Ziel in der Europa League
Die Fußballer aus Köpenick spielen in Belgien um das Weiterkommen
Wenn man Urs Fischer reizen will, fragt man ihn nach der Meisterschaft. Ob es dumme Fragen gibt, sei dahingestellt. Der Trainer des 1. FC Union Berlin jedenfalls lässt darauf seit sieben Wochen die immergleiche logische Antwort folgen. Das Saisonziel bleibe der Klassenerhalt. Und solang die dafür kalkulierte Richtzahl von 40 Punkten nicht erreicht sei, werde daran nichts geändert. Mit dieser Strategie kommt der Schweizer sicher ins neue Jahr. Sollten die Spitzenreiter aus Köpenick die drei noch vor der WM-Pause ausstehenden Partien in der Bundesliga gewinnen, wären sie weiterhin Tabellenführer, hätten aber erst 35 Punkte erspielt.
Urs Fischer ist bekennender Realist. Wer es mit diesem Typus böse meint, schreibt ihm gern negative Eigenschaften zu: keine großen Ziele, selbst gesteckte Grenzen. Auf den Fußballlehrer trifft das nicht zu. »Wir wollen in der Europa League überwintern«, lautet Fischers selbstbewusste Marschroute vor dem letzten Gruppenspiel an diesem Donnerstag bei Tabellenführer Royale Union Saint-Gilloise.
Für den 1. FC Union führen zwei Wege im kommenden Jahr nach Europa. Der Trainer will den bestmöglichen. Die Zwischenrunde der drittklassigen Conference League haben die Berliner schon sicher, dafür genügt Platz drei in der Gruppe D. Diesen Abstieg aber wollen sie in Leuven verhindern. Mit einem Sieg würden sie den hart erkämpften zweiten Rang selbst verteidigen und in die Zwischenrunde der Europa League einziehen. Sollten die Portugiesen vom SC Braga ihr Heimspiel gegen Malmö FF nicht gewinnen, brauchen die Berliner keine Punkte gegen die schon als Gruppensieger feststehenden Belgier.
Die Reise nach Flandern tritt die Köpenicker Delegation gestärkt an. »Es kann Kräfte freisetzen«, freute sich Fischer am vergangenen Sonntag. Gejubelt wurde in der Alten Försterei nach dem 2:1-Erfolg gegen Borussia Mönchengladbach etwas lauter als sonst. Weil die Dramatik des Spiels die Emotionen nach dem Siegtreffer in der siebten Minute der Nachspielzeit explodieren ließ. Surreal sei die aktuelle Tabelle, sagte – ganz im Geiste seines Trainers – Rani Khedira danach. Wie der Mittelfeldspieler empfindet wohl jeder Unioner das Gefühl, Spitzenreiter der Bundesliga zu sein. Nicht jeder Außenstehende hingegen hört die Ironie in den Fangesängen von der deutschen Meisterschaft.
Unwirkliches werden die Berliner auch in Belgien erleben. Im Stadion Den Dreef, wo Royale Union Saint-Gilloise seine europäischen Heimspiele austrägt, müssen die Fußballer des 1. FC Union ohne die Unterstützung ihrer Anhänger auskommen. Nach den Ausschreitungen beim Auswärtsspiel in Malmö hatte die Uefa den Verkauf von Karten an Gästefans verboten. Der Verein hat die Strafe akzeptiert – und arbeitet zusammen mit der Fanszene die Vorfälle immer noch auf.
Dirk Zingler war einer der ersten, der die Bilder von fliegender Leuchtmunition öffentlich kritisiert hatte. Mit einem anderen Verbot will sich Unions Präsident aber nicht abfinden. Weil allein die Anwesenheit »deutscher Fans« die »öffentliche Ordnung stören könnte«, gilt ein Betretungsverbot für die Stadt Leuven. »Ich halte diese Maßnahme der belgischen Behörden für unverhältnismäßig und falsch«, sagte Zingler am Mittwoch und kritisierte die »Kollektivstrafe«, die mal wieder nicht die Täter, sondern viele friedliche Fußballfans treffen würde.
Zingler steht gleichzeitig für die Ambitionen des 1. FC Union. Schon vor dem ersten Anpfiff in der Europa League hatte er gesagt, dass er sich ein »Überwintern« in diesem Wettbewerb wünsche. Die Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit genießt er. Und er will auch weiterhin »Grenzen verschieben«. Die Erfolge weiß der Präsident aber – und da ist er sich mit dem Fußballfachmann Fischer einig – auch genau einzuordnen. »Wir bringen die Konstruktion zum Einstürzen!« Dieser Satz war gefallen, nachdem sich die finanziell vergleichsweise schwachen Berliner in der vergangenen Saison mit Platz fünf für den zweitwichtigsten europäischen Wettbewerb qualifiziert hatten.
Um die Zwischenrunde der Europa League im Februar tatsächlich zu erreichen, kann der jüngste Kraftschub aus der Bundesliga nicht schaden. Ohne Fans im elften Spiel innerhalb eines Monats wird es schwer gegen Union Saint-Gilloise. Die bisherige Widerstandskraft der Berliner ist erstaunlich. Auch gegen Mönchengladbach lief die Mannschaft wieder sieben Kilometer mehr als der Gegner. Und so folgte auf die vorherige Niederlage beim Tabellenletzten Bochum wiederum ein Sieg. Zwei Dinge fielen dabei besonders auf: Zum einen hatten die Berliner mehr Ballbesitz als die Borussen – zum ersten Mal bei ihren insgesamt acht Saisonsiegen. Und: Union hat nach einem Rückstand drei Punkte geholt, ebenfalls erstmalig in dieser Spielzeit.
Diese Entwicklung ist es, die Urs Fischer am Sonntag zu einem unüblich überschwänglichen Lob ausholen ließ: »Kompliment an die Mannschaft, das hat mich heute wirklich überzeugt.« Hoffnung macht auch der »europäische Lernprozess«, den der Trainer seinen Spielern bescheinigt. Nach den zwei Auftaktniederlagen folgten drei Siege. Und dann ist da ja noch der Spaß an der Sache. »Wir genießen es, alle drei Tage spielen zu dürfen«, sagte Rani Khedira voller Vorfreude. Die Berichte darüber, dass er sowohl im erweiterten Aufgebot von Bundestrainer Hansi Flick als auch auf dem Transferzettel des FC Barcelona stehen soll, konnte er erst mal ebenso wenig ernst nehmen wie sein Trainer die Frage nach der Meisterschaft.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.