Entführung im Staatsauftrag

Verschleppung von Trinh Xuan Thanh nach Vietnam beschäftigt Berliner Kammergericht

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Mehr als fünf Jahre nach der spektakulären Entführung des vietnamesischen Ex-Politikers Trinh Xuan Thanh durch den vietnamesischen Geheimdienst von Berlin nach Hanoi begann am Mittwoch vor dem Berliner Kammergericht der Prozess gegen einen mutmaßlichen Entführungshelfer. Die Generalbundesanwaltschaft wirft dem 32-jährigen Vietnamesen, der zum Tatzeitpunkt in Prag lebte, Beihilfe zur Freiheitsberaubung und geheimdienstliche Agententätigkeit vor.

Trinh Xuan Thanh war 2016 in Vietnam in das Visier der dortigen Ermittler geraten. Sie warfen dem früheren Chef eines staatseigenen Unternehmens Misswirtschaft in Millionenhöhe vor. In Wahrheit steckte nach Überzeugung des Berliner Kammergerichtes hinter der Strafverfolgung in Vietnam aber ein politisches Motiv: Thanh gehörte dem wirtschaftsliberalen Flügel der Kommunistischen Partei an, der seit dem Parteitag 2016 politisch in die Defensive geraten war. Viele Vertreter dieses Flügels wurden inhaftiert. Thanh gelang es, aus dem Hausarrest heraus nach Deutschland zu fliehen, wo er politisches Asyl beantragte. Am 23. Juli 2017 wurde er mitten in Berlin von mehreren Männern überfallen und mit seiner Freundin in einen Transporter gezerrt. Er wurde nach Vietnam entführt und dort zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt.

2018 stand bereits ein anderer Entführungshelfer vor dem Berliner Kammergericht. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Dass der nunmehr Angeklagte Anh Tu L. erst mit mehr als fünf Jahren Verspätung vor Gericht steht, liegt daran, dass er sich direkt nach der Tat nach Vietnam absetzte. Dieses Jahr überkam den Mann jedoch die Sehnsucht nach seiner Heimatstadt Prag und nach seiner dort lebenden Mutter. Bei der Einreise am Flughafen klickten die Handschellen. Im Juni wurde er nach Deutschland ausgeliefert.

In der Anklageschrift, die am Mittwoch im Gericht verlesen wurde, wirft die Bundesanwaltschaft dem Angeklagten vor, an der Ausspähung des späteren Entführungsopfers beteiligt gewesen zu sein. Gemeinsam mit anderen mutmaßlich Tatbeteiligten hätte er knapp zwei Wochen vor der Entführung den in Polen lebenden Cousin des Entführungsopfers nach Prag eingeladen, um ihn bei einem gemeinsamen Frühstück nach dem Aufenthalt und den Lebensgewohnheiten von Trinh Xuan Thanh auszufragen. Drei Tage vor der Entführung schließlich soll der Angeklagte gemeinsam mit einem mutmaßlichen Mittäter in den Golfclub Berlin-Gatow gefahren sein, wo man Trinh Xuan Thanh vermutete. Das spätere Entführungsopfer war aber aus Vorsicht nicht zum Golfspiel gekommen. In den Folgetagen war Anh Tu L. laut Anklageschrift an der Observierung des Opfers beteiligt. Zudem soll er beim Kidnapping am 23. Juli 2017 entweder im Auto der Kidnapper gesessen oder daran beteiligt gewesen sein, Trinh Xuan Thanh und dessen Freundin gewaltsam in das Fahrzeug zu zerren. Auch beim Transport des Entführungsopfers aus dem Schengenraum spielte der Angeklagte nach Überzeugung der Anklagebehörde eine Rolle. 

Nach Überzeugung des Berliner Kammergerichtes waren die Beweise, die die Bundesanwaltschaft vorlegte, so erdrückend, dass das Gericht Anklagebehörde und Verteidigung eine sogenannte Verständigung empfahl. Das heißt, der Angeklagte sollte ohne Beweisaufnahme die ihm vorgeworfenen Punkte gestehen und dafür eine vorher in Aussicht gestellte Strafe bekommen, die niedriger wäre als nach einem langen Gerichtsverfahren. Der Angeklagte kündigte zwar für den nächsten Verhandlungstag ein Geständnis an. Allerdings ließ er durch seine Verteidiger auch erklären, dass nicht alle Angeklagepunkte zuträfen. So will er beim Kidnapping von Trinh Xuan Thanh und dessen Geliebter nicht beteiligt gewesen sein. Für den Fall eines von der Anklageschrift abweichenden Geständnisses akzeptierte die Bundesanwaltschaft die Verständigung allerdings nicht. Somit wird es vermutlich eine Wochen oder Monate dauernde Beweisaufnahme geben. 

Am Rande der Gerichtsverhandlung war zu erfahren, dass das Entführungsopfer Trinh Xuan Thanh nach mehr als fünf Jahren Haft in Vietnam endlich von der deutschen Botschaft dort besucht werden durfte. Das Auswärtige Amt bemüht sich seit Jahren darum. Man kann darüber spekulieren, ob ein solcher Botschaftsbesuch bedeutet, dass das Entführungsopfer nach Deutschland ausreisen darf, wo er Asyl erhalten hat und wo inzwischen auch seine Familie lebt. Ohne den Botschaftsbesuch in der Haft ist das Ausstellen von Einreisepapieren nach Deutschland unmöglich. Vietnam gewährt Strafgefangenen mit politischem Hintergrund nur eine vorzeitige Haftentlassung, wenn ein anderer Staat sich bereit erklärt, sie aufzunehmen.

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