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Kreislauf statt Ausbeutung
Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energien ist alternativlos – muss aber mit einer Rohstoffwende einhergehen
Der Zugang zu Rohstoffen ist entscheidend für den Erfolg unserer Transformation hin zu einer nachhaltigen und digitalen Wirtschaft«, betonte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union im September dieses Jahres und ergänzte: »Lithium und seltene Erden werden bald wichtiger sein als Öl und Gas.« Wie die EU-Kommission, so hat auch die Bundesregierung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die Bemühungen intensiviert, die Abhängigkeit von fossilen Energien zu reduzieren. Davon profitiert eine Industrie, die in den letzten Jahren regelmäßig durch Menschenrechtsverletzungen, Kinderarbeit und Umweltkatastrophen von sich reden gemacht hat: die Bergbauindustrie.
Im Kampf gegen die Klimakrise gelten metallische Rohstoffe als entscheidende Ressourcen. In Technologien wie Windkraft- und Solaranlagen oder Elektroautos sollen sie helfen, unsere Abhängigkeit von Kohle, Gas und Öl zu reduzieren. Studien der Weltbank oder der EU-Kommission prognostizieren daher einen stark wachsenden Bedarf an Metallen. Das gibt den Bergbaukonzernen die Gelegenheit, ihr Image aufzupolieren und sich als »grün« und »nachhaltig« zu präsentieren.
So schreibt der nach Börsenwert größte Bergbaukonzern der Welt: »Bei BHP fokussieren wir uns auf die Ressourcen, die die Welt zur Entwicklung und Dekarbonisierung benötigt«. Der Konzern produziert Kupfer, Eisen und Nickel. Diese Rohstoffe spielen in der Dekarbonisierung entscheidende Rollen, sowohl in der Elektromobilität als auch in Stromtrassen oder Windkraftanlagen. Aber BHP verschweigt, dass er der größte Kohle-Produzent der Welt ist. In einer Studie für die niederländische NGO TNI schreiben Mads Barbesgaard und Andy Whitmore, dass der Konzern im Jahr 2020 sogar fünfmal mehr Geld für Erkundungen neuer Ölfelder als für neue Kupferminen ausgegeben hat.
Als Klimaschützer gibt sich auch der zweitgrößte Bergbaukonzern der Welt, Rio Tinto: »Wir spielen eine wichtige Rolle bei der Unterstützung und Ermöglichung des Übergangs zu Netto-Null-Emissionen«, notiert er auf seiner Internetseite. Rio Tinto produziert dafür Eisen, Aluminium, Kupfer und Lithium. Zu den Netto-Null-Emissionen passt allerdings weniger, dass Rio Tinto, ehemals einer der größten Kohleproduzenten, heute noch so viel CO2 emittiert wie Bosnien-Herzegowina.
Und auch der brasilianische Eisenerz-Produzent Vale, weltweit drittgrößter Bergbaukonzern, präsentiert sich gerne als »Hüter des Regenwaldes«. Dabei wurde der Konzern erst im Dezember 2021 von einem brasilianischen Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er 15 Hektar zum Teil geschützten Waldes illegal abgeholzt haben soll. Auch die Katastrophe von Brumadinho im Januar 2019 ist noch in Erinnerung, bei der 270 Menschen starben, als ein Rückhaltebecken brach und Mensch und Natur unter toxischen Bergbaurückständen verschüttet wurden. Zudem ist Vale Besitzer der größten Eisenmine der Welt. Diese liegt inmitten des Regenwaldes und erstreckt sich über mehr als 120 Quadratmeter. Dies entspricht immerhin drei Prozent der Fläche des geschützten Carajás-Nationalwald.
Ausgeblendet bei diesem Greenwashing wird, dass der Rohstoffabbau und die Weiterverarbeitung von Erzen zu Metallen selbst einen großen Einfluss auf die Klimakrise haben. In Brasilien, so schätzen Wissenschaftler, ist der Bergbau für zehn Prozent der Entwaldung im Zeitraum von 2005 bis 2015 verantwortlich. Auf den Philippinen genießen Bergbaukonzerne sogar die Freiheit, soviel Holz auf ihrem Konzessionsgebiet einzuschlagen, wie sie für richtig halten. Auch für den Verlust von Tropenwäldern in Westafrika ist der Rohstoffabbau mitverantwortlich. Für den Abbau von Bauxit in Guinea, unter anderem durch ein Konsortium unter Beteiligung von Rio Tinto, wurden ebenfalls Regenwälder abgeholzt. Zudem erzeugen der Bergbau und die Weiterverarbeitung der Erze zu Metallen zehn bis 15 Prozent der globalen CO2-Emissionen. Eine Forschergruppe um den japanischen Umweltwissenschaftler Takuma Watari hat anhand von Ökobilanzen und Stoffstromanalysen gezeigt, dass schon die aktuelle Metallnutzung in Ländern wie Deutschland nicht mit den Klimazielen vereinbar ist. Die Forschergruppe verweist deshalb auf die Notwendigkeit, Bergbauprojekte ab 2030 insgesamt zu reduzieren und stattdessen die Kreislaufwirtschaft massiv auszubauen.
Das philippinische Umwelt- und Menschenrechtsnetzwerk Alyansa Tigil Mina (Allianz gegen Bergbau) benannte es schon am 16. September 2010 in einer Pressemitteilung konkret: Bergbau sei »nicht nachhaltig, unverantwortlich und dreckig«. Wenn der Bergbau den Planeten nun aber doch nicht rettet, was dann? Metalle in Windkraft- und Solaranlagen haben gegenüber der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas den großen Vorteil, dass sie im Kreislauf gehalten werden können. Recyceltes Aluminium benötigt nur fünf Prozent der Energie, die benötigt wird, um Aluminium aus Bauxit zu gewinnen. Auch das Recycling von Stahlschrott erspart bis zu 73 Prozent der Emissionen im Vergleich zur Gewinnung aus Erzen.
Zwar ist eine hundertprozentige Kreislaufwirtschaft nicht möglich, aber die Potenziale sind bei Weitem noch nicht ausgereizt. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland, die sich im Arbeitskreis Rohstoffe zusammengeschlossen haben, fordern darüber hinaus eine Rohstoffwende, die auch sektorspezifische Reduktionsziele bei der Metallnutzung beinhaltet. Während der Ausbau der Erneuerbaren abseits von Energie- und Stromeinsparungen alternativlos ist, gibt es andere Sektoren, die ineffizient organisiert sind. Gebäude sollten möglichst saniert und nicht abgerissen werden, Neubauten so geplant werden, dass das Lebensende des Bauwerks und die Wiederverwendung der Materialien mit bedacht sind.
Großes Potenzial hat auch der Mobilitätssektor. Neuzugelassene Autos in Deutschland wiegen durchschnittlich 1,6 Tonnen. Sie befördern durchschnittlich anderthalb Personen, deren Fahrten zu 66 Prozent unter 10 Kilometer betragen. Hier gibt es viele Alternativen, vom Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, einer besseren Infrastruktur für Fuß- und Radverkehr bis hin zu einer Stadtplanung, die alle wichtigen Orte in einer Viertelstunde zu Fuß erreichbar macht.
Beide Schritte, Ausbau einer Kreislaufwirtschaft und Reduktion des Primärverbrauchs, wären nicht nur im Sinne einer Rohstoffwende, sondern würden helfen, die Ziele der EU-Kommission zu erreichen. »Wir müssen vermeiden, erneut in Abhängigkeit zu geraten wie bei Öl und Gas«, sagte Ursula von der Leyen. Das wird mit einem Weiter-so nur mit anderen Rohstoffen nicht gelingen.
Michael Reckordt arbeitet bei der Berliner NGO PowerShift zur Rohstoffwende.
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