Mit Gin gegen den Niedergang

Nur noch 130 Menschen leben auf Cape Clear Island in Irland – ein Schnapsbrenner will das ändern

  • Harald Hammel
  • Lesedauer: 4 Min.
Seamus mit den Flaschen, die die Insel retten sollen
Seamus mit den Flaschen, die die Insel retten sollen

Die Anreise erfolgt vorbei an gezackten Felsen, die aussehen wie lauernde Krokodile, und schroffen Wänden, die jeden Bergsteiger mühelos abschütteln würden. Eine Dreiviertelstunde nach dem Ablegen in Baltimore schaukelt die Fähre in den Hafen. Erst schleppen die Mitarbeiter Brot und Zeitungen an Land, dann taumeln die Touristen über den Kai; unsicher, welche Richtung sie zum Erkunden der Insel einschlagen sollen.

Reiseinfos
  • Die Insel Cape Clear liegt im Südwesten Irlands in der Roaringwater Bay. Infos: www.capeclearisland.ie
  • Anreise: Ab Baltimore oder Schull gibt es regelmäßige Fährverbindungen; www.capeclearferries.co
  • Ginbrennerei: www.capecleardistillery.com
  • Eine Möglichkeit zur Verpflegung bietet das Restaurant »Sean Rua’s« gleich neben dem Hafen an. Einfachere Speisen gibt es in der »Cotters Bar« und im Pub »CDMs Cape Clear« etwas weiter südlich.
  • Übernachten kann man im Bed & Breakfast »Ard na Gaoithe«; www.capeclearbandb.ie

    Viel zu bieten hat Cape Clear nicht – und die spektakulärste Attraktion erschließt sich höchstens gut informierten Besucherinnen. Nur über einen Trampelpfad erreichbar, vorbei an Kuhweiden und Hasendung, kleben die Überreste des O’Driscoll-Schlosses hoch über dem Atlantik auf einem Felsvorsprung, den die wilden Wellen unerbittlich umspülen und die Winterstürme peinigen. Vergeblich. Zäh widersteht die 1601 zerstörte Ruine den Naturgewalten.

    Im westlichen Teil der Insel gibt’s außerdem einen unscheinbaren See, eine zerfallene Kirche und zwei Pubs. In einem davon dauert das Kochen eines Kaffees eine geschlagene halbe Stunde. Der mürrische junge Kellner bringt die Brühe in schleppendem Gang mitten am Nachmittag im Pyjama und mit zerzausten Haaren an den klebrigen Tisch.

    Nicht zu bremsen ist hingegen Seamus. Einige Kilometer weiter nördlich stakst der drahtige Mann zügig über das Gelände einer ehemaligen Fischzucht am Meer und schließt die Tür zum olivgrünen Gebäude mit dem Flachdach auf. Hinter der Schwelle: Zwei blitzblanke Destillen aus Chromstahl, sackweise Wacholderbeeren, eine Abfüllanlage und Flaschen ohne Ende – hier drin entsteht Gin.

    Dies allein wäre in einem Land, das diesen Schnaps seit über 200 Jahren erzeugt, wenig Erwähnung wert, gäbe es da nicht einige Besonderheiten: »Unseren Gin stellen wir auf der südlichsten Insel Irlands her, im milden Klima des Golfstroms, mit Zutaten, die vor der Haustür wachsen«, sagt Seamus. Beim »unique selling point« der Rezeptur ist das sprichwörtlich zu verstehen: Gebrannt wird mit Zuckertang, der nur einige Schritte entfernt in der Roaringwater Bay schwimmt.

    Jahrelang haben Seamus und seine Freunde mit der Salzwasserpflanze experimentiert, ehe sie das für sie passende Aroma gefunden hatten; abgerundet mit Blüten von Fuchsia und Geißblatt. Herausgekommen ist ein Gin namens »3 SQ. MILES«, und inzwischen gibt es davon auch die luxuriösere Variante, die nach sechs Monaten Reifung in französischen Eichenfässern honigfarben funkelt – im Urteil von Experten hervorragende Spirituosen, die mehrere internationale Auszeichnungen eingestrichen haben. Die Verwendung des Tangs bringe einen sanften Geschmack von Meeresluft mit sich, heißt es im internationalen Gin-Führer; das Trinken beschere dem Gaumen »ein weiches und vollmundiges Gefühl«.

    Die Anerkennung bestärkt Seamus darin, »das Richtige zu tun«, wie er sagt. Geht es nach ihm, hängt an seiner Brennerei nichts weniger als die Zukunft von Cape Clear. Die Bevölkerungszahl ist seit 180 Jahren rückläufig. Lebten um 1840 über 1000 Menschen auf der Insel, sind es heute noch 130. Wer kann, sucht auf dem Festland Arbeit. Wer bleibt, ist auf den Tourismus und die Landwirtschaft angewiesen.

    »Wir brauchen Perspektiven, wir brauchen mehr Jobs. Mit dem Gin können wir sie schaffen, aber das Unternehmen muss wachsen«, erklärt Seamus. Heute beschäftigt er erst zwei Mitarbeiter, produziert in kleinen Mengen. Doch Seamus ist überzeugt, dass Großes möglich ist: »Unser Gin ist nicht für den täglichen Konsum bestimmt, sondern für spezielle Momente. Es gibt auch im Ausland genug Menschen, die dann unseren einzigartigen Tropfen schätzen.« Dass sie dafür auch tiefer in die Tasche greifen – der Insel-Gin kostet deutlich mehr als manch andere Marken – daran zweifelt Seamus nicht. Und: »Die Gespräche für neue Absatzmärkte in den USA, in Schweden und Israel laufen.«

    Und so setzt er sich für den Fototermin frohgemut und doch entschlossen auf die Steinmauer am Rand des Grundstücks, im Hintergrund Brombeerstauden und die Küstenlinie. Er hält zwei Flaschen Gin wie kleine Kinder auf dem Schoss und fixiert die Linse. »Sehe ich visionär genug aus?«, fragt er schelmisch und zupft sich für das perfekte Bild die weiße Schürze zurecht, sodass darunter das T-Shirt mit dem firmeneigenen Logo gut sichtbar ist: Es zeigt den Inselumriss, darüber schwebt eine Möwe und der Name von Cape Clear in gälischer Sprache: »Inis Cléire«.

    Beim Umbau der Brennerei hat die halbe Insel Hand angelegt, zur Finanzierung flossen private Gelder. »Hier helfen die Menschen einander«, sagt Seamus. Er spricht sich Mut zu: »Der Zusammenhalt ist stark.« Cape Clears Edelbrand muss die Wende bringen, die Abwanderung soll endlich ein Ende haben. Alles, was es dafür braucht, ist da. Und am Himmel kreischen Schwalben, auf dem kargen Untergrund leuchtet dottergelb der Ginster. Beide stehen in Irland für Hoffnung und Zuversicht.

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