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Etwas Besseres als Kapitalismus
Über die Hoffnung der Millennial-Socialism-Generation auf eine andere Wirtschaftsweise
»Es herrscht ein absoluter Kommunismus und ein allgemeines Gefühl, dass man böse ist, wenn man reich ist«, erklärte Elon Musk, Tesla- und Space-X-CEO, den Fakt, dass seine 18-jährige Tochter Vivian wegen der angeblichen Übernahme von Universitäten durch Neomarxisten nicht mehr mit ihm in Verbindung gebracht werden möchte. Elon teilte seine Theorie vier Monate nachdem ein Richter in Los Angeles dem Antrag von Vivian stattgegeben hatte, ihr Geschlecht von männlich in weiblich und ihren Namen in Vivian Jenna Wilson zu ändern. In ihrem ursprünglichen Antrag machte Vivian deutlich, dass sie sich von ihrem Vater entfremdet hatte und erklärte: »Ich lebe nicht mehr mit meinem biologischen Vater zusammen und möchte auch nicht mehr mit ihm in irgendeiner Form verbunden sein.«
Vivian mag nicht die Einzige ihrer Generation sein, die in die von Musk, einem der reichsten Kapitalisten auf Erden, heraufbeschworenen »kommunistischen Falle« namens Sozialismus tappt. Schon seit Jahren treibt libertäre, konservative, aber auch liberale Eliten die Sorge um, die durch den Sprung ins Internet beeinflussten Generationen Millennials (geboren 1980-90er) und Z (geboren ab Ende der 90er Jahre) zu verlieren. Der »Ecomomist« benannte bereits im Februar 2019 den Aufstieg des Millennial Socialism als »einer Doktrin, die nicht die Probleme des Kapitalismus« lösen werde, um nur zwei Jahre später mit »Die Bedrohung der illiberalen Linken« nachzulegen. Eine Suche des Begriffs »Millennial Socialism« genügt, um den Trend zu dieser Art der Berichterstattung auch in Deutschland zu entdecken: »Was zum Teufel ist ›Millennial Socialism‹?« (»Handelsblatt«), »Millennials kritisieren nicht den Kapitalismus – sie sind nur pleite« (»Stern«) oder »Sozialismus: Linke Kapitalismus-Kritik treffend, Lösungen falsch« (»Focus«).
In den USA sind laut Umfragen der Newsseite Axios die 18-34-Jährigen fast gleichmäßig zwischen denjenigen, die den Kapitalismus positiv (49 Prozent) und denjenigen, die ihn negativ (46 Prozent) sehen, aufgeteilt. Vor zwei Jahren betrug dieser Abstand noch 20 Prozentpunkte. Unter den Erwachsenen der Generation Z – also heute 18-24 Jahre alt – haben lediglich 42 Prozent eine positive und 54 Prozent eine negative Sichtweise auf den Kapitalismus. Ähnliches hat auch die Umfrage der Firma Gallup herausgefunden: 51 Prozent der 18-29-Jährigen haben ein positives Bild vom Sozialismus. Insgesamt ist die positive Wahrnehmung des Sozialismus landesweit immer noch rückläufig: 41 Prozent der US-Amerikaner*innen sagen, dass sie eine positive, 52 Prozent, dass sie eine negative Meinung haben. Für 60 Prozent der Schwarzen US-Amerikaner*innen, 45 Prozent der US-amerikanischen Frauen und 33 Prozent der nicht-weißen Republikaner*innen ist der Sozialismus positiv besetzt. Einem im Juli veröffentlichten Bericht des rechtsgerichteten Thinktanks »Institute for Economic Affairs« zufolge hat die Jugend in Großbritannien einen entschiedenen Linksschwenk vollzogen: 67 Prozent wollen in einem sozialistischen Wirtschaftssystem leben.
Das Bild, das sich in Griechenland hinsichtlich der politischen Position auf der Links-rechts-Skala ergibt, ist äußerst interessant – wenn auch komplex. Laut dem Institut »Eteron« lehnt es fast jede*r fünfte Befragte ab, sich einer bestimmten politischen Richtung zuzuordnen. Am anderen Ende des Spektrums scheinen diejenigen, die sich ideologisch positioniert haben, eher nach links zu tendieren. Auf dem linken Ende der Skala ordneten sich 26,9 Prozent der Befragten ein, auf dem rechten Ende der Skala 17,9 Prozent. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass einer von vier Jugendlichen angab, im Jahr 2021 an einer Demonstration teilgenommen zu haben, was insbesondere in Anbetracht der Einschränkungen des Versammlungsrechts während der Coronazeit beeindruckend ist. Die heute 25-Jährigen sind mit den Bildern von der Jugend-Revolte 2008 und den Jahren der harten Sparmaßnahmen aufgewachsen, während die 16-Jährigen den Höhepunkt ihrer Jugend inmitten einer Gesundheitskrise und zuletzt der Angst vor einem Krieg erleben.
Der Sozialismus ist bei den jungen Menschen en vogue, weil er scharfe Kritik an dem übt, was in den westlichen Gesellschaften schiefgelaufen ist. Während rechte Politiker*innen den Kampf der Ideen aufgegeben und sich in Chauvinismus und Nationalismus zurückgezogen haben, hat sich die Linke auf Ungleichheit, die Umwelt und die Frage der Umverteilung konzentriert. Nicht alle sozialistischen Ziele der Millennials sind besonders radikal, wie etwa eine universelle Gesundheitsversorgung. Einige sagen, dass sie die Vorteile der Marktwirtschaft erhalten und lediglich das skandinavische Modell einer Sozialwirtschaft einführen möchten. Andere wollen nicht nur zum Wohlstand ihrer Eltern, also dem Boomer-Sozialismus, zurück, der in ihren Augen überhaupt die aktuellen Krisen erst möglich gemacht hat.
Nichtsdestotrotz gibt es Raum für radikale Vorstellungen. Die Sozialist*innen der Jahrtausendwende sind der Meinung, dass die Ungleichheit außer Kontrolle geraten ist und die Wirtschaft zugunsten von Besitzenden manipuliert wird. Sie glauben, dass die Öffentlichkeit nach einer Umverteilung von Einkommen und Macht durch den Staat lechzt, um das auszugleichen. Sie glauben, dass Kurzsichtigkeit und Lobbyismus die Regierungen dazu gebracht haben, die zunehmende Wahrscheinlichkeit einer Klimakatastrophe zu ignorieren. Und dass die, die Gesellschaft und die Wirtschaft regieren – Regulierungsbehörden, Bürokratien und Unternehmen –, nicht mehr den Interessen der einfachen Leute dienen und demokratisiert werden müssen.
In den 80er Jahren beschrieb Margaret Thatchers ideologischer Mentor Keith Joseph den Vorstoß für den Erwerb von Wohneigentum als »Vormarsch des Bürgertums«. Die große Hoffnung vieler Anhänger*innen Thatchers bestand darin, dass das »Recht zu kaufen« links-wählende Mieter*innen in konservative Hausbesitzer*innen verwandeln würde. Doch statt der vom Thatcherismus versprochenen »Eigentumsdemokratie« sieht Großbritannien eher wie ein Paradies für Vermieter aus – innerhalb von zwei Jahrzehnten hat sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein junger Erwachsener mit mittlerem Einkommen ein Eigenheim besitzt, mehr als halbiert. Diese jungen Menschen werden als »Generation Miete« bezeichnet, wobei etwa die Hälfte der unter 35-Jährigen in England in einer Wohnung des privaten Sektors wohnt, der häufig durch Wuchermieten und Unsicherheit gekennzeichnet ist. Allen Ländern der westlichen Welt ist gemein, dass die Kinder nicht mehr an ein Erbe glauben, da das Erbschaftsalter hoch liegt, gleichzeitig die Abhängigkeit vom Elternhaus aber steigt.
Die größte Sorge der Millennial-Sozialist*innen lautet, dass es bald nicht einmal mehr einen Planeten geben wird: Jeff Bezos schießt sich selbst ins All und Elon Musk möchte eine Kolonie auf den Mars bauen, während Hitzewellen und Naturkatastrophen wüten und die halbe Welt in Flammen steht. Wenn diese Milliardäre aufhören würden, Geld zu verdienen, könnten sie all diese Probleme lösen und hätten immer noch Milliarden auf der Bank.
Die neue Vitalität des Sozialismus ist bemerkenswert: In den 90er Jahren rückten linksgerichtete Parteien in die Mitte und behaupteten einen »dritten Weg« gefunden zu haben, einen Kompromiss zwischen Staat und Markt. Die Linke sieht den dritten Weg heute als eine Sackgasse an. Bei den US-Vorwahlen 2016 stimmten mehr junge Leute für Bernie Sanders als für Hillary Clinton und Donald Trump zusammen. Ein Großteil der französischen Wähler*innen unter 24 Jahren stimmte bei den Präsidentschaftswahlen für den Kandidaten der Linken Jean-Luc Mélenchon.
Die berühmteste Millennial-Sozialistin der Welt, die rebellische New Yorker Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez, spiegelt den Zeitgeist der Generation treffend wider. Auch wenn die Linke oft die Domäne von sozial unbeholfenen Nerds und älteren weißen Männern zu sein scheint, ist sie das Symbol der coolen Kids von Instagram und Tiktok, die ihre Umverteilung von Wohlstand und Macht mit einer kräftigen Portion Mainstream-Populärkultur genießen. Einige von ihnen rennen der Organisation »Democratic Socialists of America«, der auch Cortez angehört, die Bude ein.
Als die Kongressabgeordnete eine kostenlose Einladung zu einem superexklusiven Ball in einem Kleid mit der Aufschrift »Besteuert die Reichen« annahm, zeigten sich sogar einige Linke aufgeblasen empört. »Ganz gleich, ob man es für eine dreiste Aufforderung an die Superreichen hielt, auf ihrer eigenen exklusiven Party abzukassieren – oder für einen Stunt, der dadurch kompromittiert wurde, dass er in einer realen Version des Kapitols des Films Hungerspiele stattfand« – zeigte die Aktion laut der britischen Zeitung »Guardian«, dass die Eliten der Jugend nicht entkommen können, wenn die ihre politischen Muskeln spielen lässt.
Wer erinnert sich noch an die Ausgabe des US-amerikanischen Magazins »Time«, das im Jahr 2013 die Titelseite der Generation der Millennials widmete und damit eine moralische Panik auslöste? »Die Generation Ich, Ich, Ich«, lautete der Titel einer diffamierenden Analyse der damals noch rätselhaften – und dem Artikel zufolge narzisstischen und faulen – Generation, die ihr Elternhaus nie verlassen würde. Heute steht die noch »geheimnisvollere« Generation Z im Rampenlicht der Debatte, die im Gegensatz zu ihren Vorgängern sämtliche Stereotype bezüglich eigener Identität, Familie, aber auch Klasse ablegen.
Der ausgebrochene Kulturkampf im angelsächsischen Raum wird einerseits in den sozialen Medien ausgefochten und ist längst keine Nischenangelegenheit mehr: Wo die Ersten auf Twitter und Tiktok für ihren Sozialismus noch ausgelacht wurden, ist diese Meinung mittlerweile die Sache von vielen. Anderseits findet der Kampf auch seinen Ausdruck in den alltäglichen Klassenkämpfen. Abseits des verrosteten Gewerkschaftsapparats organisieren sich die prekären Arbeiter*innen von Starbucks, Amazon und anderen Großunternehmen in unabhängigen Gewerkschaften. Wer genauer hinschaut, erkennt, dass diese jungen Menschen in all ihrer Diversität die Bewegungen anführen.
Ob der Millennial Socialism in Deutschland Fuß fassen wird, ist ungewiss: Bisher inspiriert keine Linkspartei-Politiker*in, wie eine Ocasio-Cortez es tut. Aber es gibt Anzeichen neuer Klassenpolitik, wie die Streiks in Krankenhäusern, beim Lieferdienst Gorillas oder bei Amazon zeigen, und (noch erfolglose) Bewegungen zu Klima und der Wohnungsfrage. Vor allem bei den letzten zwei Themen gilt es, vom frustrierten Protest zum wirklichen »Eat the rich« überzugehen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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