- Berlin
- Illegaler Sperrmüll
Berlin wächst der Müll über den Kopf
Rund 34.000 Kubikmeter Schrott werden jährlich illegal entsorgt, doch für Kontrollen fehlt das Personal
»Die Hitparade, ›Rolling Stones‹, toll! Einpacken!«, beschließt eine der fünf Personen, die ihre Köpfe über einem Karton voller Schallplatten zusammengesteckt haben, der gerade in der Reinickendorfer Zobelitzstraße aufgetaucht ist. Eine Mutter kommt mit ihrem Sohn schon zum zweiten Mal vorbei und stellt unter anderem ein Fahrrad dazu, für welches das Kind zu groß geworden ist. Ein alter Kühlschrank, eine Couch und andere Möbelstücke stehen bereits auf der Straße, auf einem Biertisch sammeln sich Tassen, Gläser, ein Lampenschirm und weitere Dinge, die Anwohner*innen abgegeben haben.
An diesem Mittwoch ist Sperrmüll-Tauschfest des Stadtplanungsbüros AG Urban im Rahmen der Kampagne »Reinickendorf putzt sich raus«: Alle dürfen Dinge, die sie nicht mehr brauchen, herbringen und mitnehmen, was ihnen gefällt. Was bis zum Nachmittag nicht weggeht, wird von der Berliner Stadtreinigung (BSR) abgeholt. Der Bezirk will damit illegalen Sperrmüllablagerungen entgegenwirken. Die Straße sei dafür ein »Hotspot«, sagt Michael Pinetzki von der AG Urban zu »nd«. Viele Menschen in der Gegend seien auf Transferleistungen angewiesen und hätten weder ein Auto noch die Mittel, um Sperrmüll zu Recyclinghöfen zu bringen. »Viele freuen sich auch darüber, dass sie Sachen umsonst haben können«, so Pinetzki. Das Tauschfest soll für die Sauberkeit des öffentlichen Raums sensibilisieren, dafür, dass Dinge wiederverwertet werden können, und Engagement und Austausch unter Nachbar*innen stärken.
Ähnliche Sperrmüll-Kieztage mit der BSR gab es im Rahmen eines Pilotprojekts in ganz Berlin. Sie sollen im kommenden Jahr mit zwei Aktionen pro Bezirk fortgesetzt werden, um die Berliner*innen niedrigschwellig zur Wiederverwertung von Gebrauchtem zu motivieren. »Denn im Gebrauchtwarenmarkt steckt ein enorm wichtiges Potenzial zur Erreichung des Leitbilds ›Zero Waste‹«, erklärt Jan Thomsen, Sprecher der Senatsumweltverwaltung auf nd-Anfrage. Weitere Angebote der BSR zur Abgabe und teilweise auch Wiederverwertung gebrauchter Gegenstände sind die 14 Recyclinghöfe, Sperrmüllabholungen und das Gebrauchtwarenkaufhaus »NochMall« in Reinickendorf.
Entsorgung kostet fast fünf Millionen
Trotzdem ist Berlin von »Zero Waste«, also dem Ziel, dass kein Müll mehr auf der Halde landet, noch weit entfernt. »Die Menge an illegalen Müllablagerungen bewegt sich seit Jahren berlinweit auf einem hohem Niveau«, erklärt BSR-Sprecher Sebastian Harnisch gegenüber »nd«. Durchschnittlich würden in ganz Berlin jährlich rund 34 000 Kubikmeter Müll entsorgt. Negativer Vorreiter war im Jahr 2021 Friedrichshain-Kreuzberg mit 11 248 Kubikmetern, gefolgt vom Bezirk Neukölln (10 053), der 2017 bis 2020 regelmäßig die Rangliste anführte. Mit lediglich 443 Kubikmetern gibt es in Marzahn-Hellersdorf im Schnitt die wenigsten illegalen Abfälle.
Für die Beseitigung stellt die Stadtreinigung dem Land Berlin jährlich rund 4,7 Millionen Euro in Rechnung. Dabei beziehen sich die Zahlen nur auf rechtswidrig im öffentlichen Straßenland entsorgten Sperrmüll, Elektroschrott und sonstigen Müll wie zum Beispiel blaue Säcke. Für deren Entsorgung agiert die BSR berlinweit als Auftragnehmerin der bezirklichen Ordnungsämter. Bislang nicht flächendeckend zuständig ist sie für unerlaubt abgeladenen Bauschutt wie alte Badewannen oder Fliesen sowie Autowracks, wofür in der Regel Spezialfirmen beauftragt werden.
Lediglich in Tempelhof-Schöneberg und in Steglitz-Zehlendorf gibt es seit September 2020 ein Pilotprojekt der Bezirksämter und der BSR zur vereinfachten Entsorgung illegaler Bauabfälle. Künftig soll das für ganz Berlin einheitlich so geregelt sein. Im Oktober dieses Jahres beschloss der Senat auf Initiative von Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) eine Vorlage an das Abgeordnetenhaus zur Änderung des Berliner Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes. »Mit der Neuregelung geht die Zuständigkeit zur Entsorgung illegaler Ablagerungen an die BSR, damit künftig alles aus einer Hand beseitigt wird«, erklärt Umweltverwaltungssprecher Jan Thomsen. Dadurch sollen die Behörden entlastet und die Müllentsorgung beschleunigt werden.
Die Gesetzesänderung trete voraussichtlich im Laufe des kommenden Jahres in Kraft, wenn das Abgeordnetenhaus darüber entschieden hat. Dann würde die Entsorgung von Sperrmüll und Bauschutt in einem kombinierten Verfahren aus Routenfahrten an Ablagerungsschwerpunkten und nach Meldungen der Ordnungsämter organisiert. Laut BSR werden manche Straßen schon jetzt wöchentlich angefahren. »Für eine nachhaltige Lösung des Problems ist es jedoch erforderlich, dass eine effiziente Beseitigung der illegalen Ablagerungen durch konsequente ordnungs- beziehungsweise strafrechtliche Maßnahmen flankiert wird«, betont BSR-Sprecher Sebastian Harnisch.
Wahrscheinlich werde ein großer Teil der Abfälle nämlich nicht durch Privatpersonen verursacht, sondern durch unseriöse Gewerbetreibende wie Baufirmen oder Entrümpler. »Das geschieht offenbar, um die gewerblichen Entsorgungskosten einzusparen und auf diese Weise die entsprechenden Dienstleistungen zu Billigpreisen anzubieten – zulasten von Umwelt und Steuerzahlenden«, problematisiert Harnisch. Die BSR schlägt daher einen Dreiklang von Faktoren vor, die für eine saubere Stadt nötig sind: Neben einem guten Entsorgungsangebot brauche es ein Verantwortungsbewusstsein der Menschen, diese Angebote zu nutzen. Nicht zuletzt seien aber Kontrollen und Bußgelder wichtig. »Denn unverbesserliche Vermüller*innen erreicht man oft nur über ihren Geldbeutel«, sagt Harnisch. Ohne entsprechende Strafen werde die Stadt »von Umweltkriminellen und anderen verantwortungslosen Menschen immer wieder als illegaler Müllabladeplatz missbraucht werden«.
Notwendige Kontrollen nicht möglich
Viele Bezirke haben jedoch nicht die Kapazitäten, die Täter illegaler Müllentsorgung durch flächendeckende Kontrollen aufzuspüren, wie aus einer Anfrage des Berliner FDP-Abgeordneten Holger Krestel vom Oktober an den Senat hervorgeht. So antwortet der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg darauf, dass zwar Schwerpunktkontrollen durchgeführt werden, bei denen Verursachende auch häufig erwischt, bestraft und zur Müllentsorgung aufgefordert würden. »Der zur Verfügung stehende Personalkörper lässt es jedoch nicht zu, derartige Kontrollen im eigentlich erforderlichen Umfang durchzuführen.«
Auch das Bezirksamt Treptow-Köpenick schreibt, dass aufgrund des begrenzten Personals keine dauerhaften Kontrollen möglich seien, sondern »allenfalls Zufallstreffer«. In Tempelhof-Schöneberg würden Täter*innen in der Regel gar nicht »in flagranti ertappt«, und in Charlottenburg-Wilmersdorf sei ständige Überwachung »aufgrund des vielfältigen Aufgabengebietes, welches ein pulsierender Innenstadtbezirk wie Charlottenburg-Wilmersdorf mit sich bringt, leider nicht möglich«.
Gegen diese Personalengpässe helfen auch keine Sperrmüll-Tauschfeste. In den drei Jahren der Kampagne »Reinickendorf putzt sich raus« scheinen die illegalen Abfälle im Kiez auch nicht weniger geworden zu sein, meint Michael Pinetzki von der AG Urban. Trotzdem sei es gut, dass es diese einfache Möglichkeit gibt, »in der Nachbarschaft zu tauschen und nicht alles wegwerfen zu müssen«, sagt eine Anwohnerin zu »nd«. Sie hat eine Lampe, einen Schrank und ein Aquarium zum Tauschfest gebracht und geht nun mit einer Schlafmaske wieder heim.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.