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Enteignung ist kein Kommunismus
Brandenburgs Linksfraktion präsentiert ihren Entwurf für eine Gesetzesänderung
Für den Bau einer Autobahn oder für einen Braunkohletagebau können in Brandenburg Grundstücke samt darauf stehenden Gebäuden gegen eine Entschädigung enteignet werden. Das ist in der Vergangenheit auch immer wieder geschehen. Wenn es aber darum geht, eine dringend benötigte Kindertagesstätte einzurichten oder hochbetagte Rentner vor dem Rauswurf aus einem privaten Seniorenheim zu bewahren, dann ist das nicht erlaubt. Die oppositionelle Linksfraktion sieht hier eine Lücke im brandenburgischen Enteignungsgesetz, die sie schließen will.
Der Fraktionsvorsitzende Sebastian Walter und die Abgeordnete Isabelle Vandré stellten am Donnerstag ihren Entwurf zur Änderung von Paragraf 2, Absatz 1 vor. Demnach sollen Enteignungen künftig zulässig sein für »die Schaffung oder Änderung von Einrichtungen der Gesundheits- oder Wohlfahrtspflege, die Schaffung oder Änderung von Einrichtungen der Bildung, Wissenschaft, Forschung, Kultur oder des Sports« und »die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum«.
Bei den Formulierungen habe man sich am bayerischen Enteignungsgesetz orientiert, das in dieser Fassung seit 1978 gelte, betonte die Abgeordnete Vandré. In Thüringen gebe es eine ähnliche gesetzliche Regelung seit 1994.
»Die Menschen brauchen keine Angst zu haben vor dem Kommunismus und vor flächendeckenden Enteignungen«, begegnete Fraktionschef Walter der Vorhaltung, dieser neue Vorstoß belege, dass seine Partei und er selbst sich radikalisierten. »Wir wollen ja nur ein Instrument, das CSU-Chef Markus Söder schon lange hat«, wehrte er den Vorwurf ab.
Bereits im Januar hatte die Linksfraktion im Landtag beantragt, das brandenburgische Enteignungsgesetz zu ändern. Sie war aber bei den Koalitionsfraktionen SPD, CDU und Grünen abgeblitzt. Diese wollten den Antrag nicht einmal in den Ausschüssen beraten, sondern lehnten ihn sofort ab. Damals äußerte die Landtagsabgeordnete Roswitha Schier (CDU), Eigentum unterliege in der Bundesrepublik und im Land Brandenburg besonderem Schutz – nach der Erfahrung von Enteignungen »in zwei Diktaturen«. Damit meinte sie das Naziregime und die DDR. Schon im Januar begegnete die Linksfraktion dem Vorwurf sozialistischer Enteignungsfantasien mit dem Hinweis auf Bayern und stellte in der Debatte die Zwischenfrage, ob im Freistaat Bayern angeblich diktatorische Zustände herrschten.
Im zweiten Anlauf reichen die Linken nun einen fertigen Entwurf zur gewünschten Gesetzesänderung ein. Er soll bei der Landtagssitzung in der kommenden Woche behandelt werden. Isabelle Vandré hofft, dass die Koalition diesmal wenigstens mit einer Überweisung in die Ausschüsse einverstanden ist. Auch falls das Ansinnen erneut zurückgewiesen wird, will die Fraktion nicht aufgeben und sich weiter dafür einsetzen. Einen anderen, besseren Vorschlag habe Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) nicht unterbreitet, sagte Linksfraktionschef Walter am Donnerstag.
Er stand dabei keineswegs zufällig vor der Potsdamer Burgstraße 6a. Den 111 zum Teil betagten Senioren, die in der dortigen Josephinen-Wohnanlage lebten, waren im Coronawinter vor einem Jahr die Mietverträge gekündigt worden. Ob das formaljuristisch sauber geschah, bezweifelten die Verbraucherzentrale Brandenburg, der Mieterverein Potsdam und Umgebung sowie der Seniorenbeirat der Stadt, die sich im Bündnis »Burgstraße bleibt« zusammenschlossen. Sie organisierten Widersprüche gegen die Kündigung und wollten es auf eine Klage ankommen lassen. Doch die überwiegende Zahl der Senioren wollte sich den Stress nicht zumuten und zog aus. Nur noch wenige sind verblieben, vielleicht fünf oder sieben. Für diese geringe Zahl spricht, dass am Donnerstag ein Laster der kommunalen Klinikgruppe »Ernst von Bergmann« vorbeikommt und wie gewohnt das Mittagessen liefert. Was der Fahrer und sein Beifahrer an Behältnissen abladen, spricht für wenige Portionen.
Nach einem Jahr des Nachdenkens im Landtag und in der Stadtverordnetenversammlung, wie den Senioren geholfen werden könnte, ist nach Ansicht von Vandré, die beiden Parlamenten angehört, wenig mehr übrig geblieben als eine Enteignung. Denn die bittere Wahrheit ist: Das Haus Burgstraße 6a gehörte ursprünglich der kommunalen Wohnungsgesellschaft Pro Potsdam und wurde privatisiert. Aus der Idee, es zurückzukaufen, ist nichts geworden. Der Eigentümer, die Tochtergesellschaft eines privaten Krankenhauskonzerns, vermietet inzwischen einen Teil der Quartiere als Ferienwohnungen für 30 Euro pro Nacht. Ob dafür wegen Zweckentfremdung eine Ordnungsstrafe verhängt werden kann, wenn es dauerhaft so weitergeht, prüft die Stadtverwaltung noch, wie Vandré berichtet.
Für die ausgezogenen Bewohner der Burgstraße 6a käme eine Gesetzesänderung zu spät. Linksfraktionschef Walter ist aber überzeugt, dass es künftig viele andere Fälle geben wird, für die eine Enteignung der letzte Weg wäre. Die Burgstraße sei zwar der absurdeste Fall, den es in letzter Zeit in Deutschland gegeben habe, aber keine einmalige Sache. Dass Spekulanten Objekte aufkauften und verfallen ließen, bis sie mit ihnen Kasse machen könnten, komme immer wieder und überall vor. Als Beispiel nennt Walter ein ehemaliges Verwaltungsgebäude in seiner Heimatstadt Eberswalde. Ein Investor habe es vor zehn Jahren zum symbolischen Preis von einem Euro erhalten mit dem Versprechen, es zu einem Altenheim umzubauen. Tatsächlich habe der Investor buchstäblich nichts unternommen, während die Kommune 50 000 Euro jährlich für die Sicherung des Objekts aufwenden musste. Zuletzt sei es für eine sechsstellige Summe zurückgekauft worden.
»Das kann der Markt nicht regeln, das wird der Markt nicht regeln. Hier brauchen wir Gesetze«, ist Walter überzeugt. »Das Bedauern ist nicht Aufgabe der Politik. Aufgabe der Politik ist es, die Situation zu ändern.«
Das Bündnis »Burgstraße bleibt« würde eine Novelle des Enteignungsgesetzes begrüßen. »Zur Errichtung einer Mülldeponie kann in Brandenburg ein Landwirt enteignet werden«, weiß Christian A. Rumpke, Geschäftsführer der hiesigen Verbraucherzentrale. »Aber zur Schaffung, zum Erhalt von dringend benötigtem Wohnraum oder sozialen Einrichtungen hat man hierzulande gegen Eigentümer bislang kaum eine Handhabe.«
Holger Catenhusen vom Mieterverein erinnert: »Das Grundgesetz sagt: Eigentum verpflichtet.« Enteignungen zum Wohle der Allgemeinheit lasse die Verfassung ausdrücklich zu.
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