CO2-Emissionen steigen weiter

Laut dem Global Carbon Budget könnte in neun Jahren das 1,5-Grad-Limit fallen

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Das ist eine der schlechtesten Klimanachrichten der letzten Zeit: Laut dem am Freitag veröffentlichten Bericht zum Global Carbon Budget 2022 wird es in diesem Jahr einen neuen Höchststand bei den CO2-Emissionen aus der Kohleverbrennung bringen.

Der Kohletrend ist selbst für Mitautorin Judith Hauck vom Alfred-Wegener-Institut eine Überraschung. »Lange Zeit war man davon ausgegangen, dass wir den ›Peak Kohle‹ schon überschritten hätten«, erklärte die Biogeowissenschaftlerin, die am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung arbeitet, bei der Vorstellung der Zahlen. Der Bericht wurde von mehr als 100 Forschern aus 18 Ländern erarbeitet.

Insgesamt werden die CO2-Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe in diesem Jahr weltweit bei etwa 36,6 Milliarden Tonnen liegen. Zusammen mit den 3,9 Milliarden Tonnen Treibhausgasen aus der Landnutzung – unter anderem aus trockengelegten Mooren – erreichen die Gesamtemissionen rund 40,6 Milliarden Tonnen. Budgetiert werden hier nur die Kohlendioxidemissionen und keine anderen Treibhausgase.

Haupttreiber ist – neben der Kohle – auch eine steigende Ölverbrennung. Diese wiederum hat ihren Grund im Wiedererstarken des Flugverkehrs nach dem Ende der Corona-Pandemie.

Bleibt es bei den bisher errechneten und erwarteten Mengen bis Jahresende, werden die globalen CO2-Emissionen 2022 um etwa ein Prozent gegenüber dem Vorjahr steigen, aber auch gegenüber 2019, dem Jahr vor der Pandemie. Das aktuelle Jahr steht damit für die zweithöchsten Treibhausgasemissionen in der Geschichte der Menschheit, wie Mitautorin Julia Pongratz von der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärte.

Wie in der Klimapolitik inzwischen üblich, gibt es neben der schlechten auch eine verkappt gute Nachricht. Das Plus von einem Prozent bedeutet, dass sich gegenüber der ersten Dekade der 2000er Jahre der Anstieg der Emissionen verlangsamte. In dem Zeitraum hatte der jährliche Anstieg noch bei drei Prozent gelegen. In der folgenden Dekade von 2010 bis 2020 waren es allerdings nur noch 0,5 Prozent. Gemessen daran bedeutet das eine Prozent jetzt wiederum einen deutlichen Anstieg.

Der Bericht zum Global Carbon Budget erfasst auch den Verbleib der anthropogenen, also von Menschen verursachten, Emissionen in der Erdatmosphäre. Zum Glück für die Menschheit nehmen die beiden natürlichen Senken Ozeane und Wälder weiterhin große Mengen Kohlendioxid auf.

Für 2022 schätzt das Forschungsteam die CO2-Aufnahme der Meere auf 10,5 Milliarden Tonnen, die auf dem Land auf 12,4 Milliarden Tonnen. Diese natürlichen Senken nehmen damit weiterhin 26 beziehungsweise 29 Prozent des menschengemachten CO2-Ausstoßes auf. Die verbleibende knappe Hälfte lässt die atmosphärische CO2-Konzentration weiter steigen – und heizt den Planeten weiter auf.

Um das 1,5-Grad-Limit für die Erderwärmung aus dem Pariser Klimavertrag wenigstens mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit einzuhalten, darf nach den Angaben der Forscher die Menschheit nur noch insgesamt 380 Milliarden Tonnen CO2 emittieren. Damit dieses Budget nicht bereits in den nächsten neun Jahren aufgebracht sein wird, müssten die Emissionen jetzt in jedem Jahr um etwa 1,4 Milliarden Tonnen sinken. »Das ist so viel, wie wir im ersten Jahr des Covid-Lockdowns an Einsparung hatten«, beschreibt Pongratz die immense Aufgabe.

Zudem darf sich die Menschheit künftig nicht weiter darauf verlassen, dass die Senken fast die Hälfte des anthropogenen CO2 vorerst wegpuffern. Denn der Klimawandel beeinträchtige bereits die Senkenwirkung, erläuterte Pongratz. So sei die diesbezügliche Leistung der Ozeane schon um vier Prozent zurückgegangen, die der Landsenken – also der Wälder vor allem – sogar um 17 Prozent.

Für Jan Minx vom Mercator-Klimaforschungsinstitut MCC in Berlin sind die neuen Zahlen schockierend. »Wir stecken noch immer im fossilen Zeitalter fest«, stellt er fest. Besonders besorgt sei er wegen der Kohle. In allen Klimaberechnungen, die das 1,5-Grad-Ziel modellieren, sei bis 2030 der weitgehende Kohleausstieg als starkes Signal eingebaut, betont Minx. »Das ist das Einfache, aber auch beim Einfachen ist jetzt die Nachricht, dass wir das Zeitalter der Kohle noch nicht verlassen haben.«

Gerade in Europa verhagelt vor allem die Kohle die Emissionsbilanz 2022. Weil wegen des Ukraine-Krieges und der folgenden Embargos schlicht zu wenig Erdgas zum Verbrennen vorhanden ist, gehen in der EU die Emissionen aus diesem Energieträger um zehn Prozent zurück. Das wird nach den Daten aber durch steigende CO2-Mengen aus der Verbrennung von Kohle (plus 6,7 Prozent) sowie von Öl (plus 0,9 Prozent) teilweise wettgemacht.

So nehmen die CO2-Emissionen in der EU summa summarum mit 0,8 Prozent nur leicht ab. In China, dem weltgrößten Emittenten, beträgt das Minus etwa 0,9 Prozent, aber dies auch nur wegen der anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten dort. Ein dickes Plus hingegen verzeichnen die USA mit 1,5 Prozent sowie Indien mit sogar 6 Prozent. Dennoch liegt der Pro-Kopf-Ausstoß eines Menschen in Indien immer noch erst bei einem Drittel eines Europäers.

Für Mercator-Experte Minx muss sich Klimapolitik endlich daran messen lassen, wie schnell sie die Trendwende hinbekommt. »Eine weitere Dekade mit steigenden Emissionen können wir uns nicht leisten«, betont er. »Sonst stehen wir in zehn Jahren beim Zwei-Grad-Ziel dort, wo wir jetzt beim 1,5-Grad-Ziel stehen. Das wollen wir vor allem auch unseren Kindern und Kindeskindern nicht zumuten.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -