Ein Knie für die Menschenrechte

Der Protest gegen die Fußball-WM in Katar verlangt allerhand Disziplin

2022 hat uns schon vieles an Unannehmlichkeiten abverlangt. Doch kurz bevor das alte Jahr in die ewigen Abgründe des Kalenders eingeht und völlig zu Recht bis auf alle Ewigkeiten mit anderen unzumutbaren Jahren in der Hölle schmoren muss, kommt es noch einmal richtig schlimm: Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar muss boykottiert werden.

Das wird uns allen eine unglaubliche Kraftanstrengung abverlangen. Denn die Vorstellung, dass unsere kalten Wohnzimmer wenigstens ein paar Wochen lang von den warmen Bildern aus Katar angenehm temperiert werden könnten, ist verlockend. Darum gilt es, standhaft zu bleiben und die Zähne zusammenzubeißen wie Luiz Suárez, wenn er einen Gegenspieler zu fassen bekommt.

Andreas Koristka
Andreas Koristka ist Redakteur der Satire-Zeitschrift Eulenspiegel. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter: dasnd.de/koristka

Das Ablehnen der Fußball-Sammelsticker im Supermarkt fällt den meisten noch relativ leicht. Wenn es allerdings darum geht, beim Zauber von Ballkünstlern wie Lionel Messi, Cristiano Ronaldo und Niclas Füllkrug bewusst wegzuschauen, ist größtmögliche Disziplin erforderlich. Aber jetzt gilt es eben! Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem gerade wir Deutschen beweisen können, dass wir aus unserer schwierigen Geschichte gelernt haben.

Wenn es der gerechten Sache dient, dann sind wir sogar bereit, auf unseren fröhlichen Nationalismus zu verzichten. Dann lassen wir die schwarz-rot-goldenen Girlanden und Fahnen eben noch ein paar Jahre im Schrank, legen die Vinylplatte von Oliver Pochers »Schwarz und weiß« nur hinter geschlossenen Türen bei einem guten Glas deutschen Rotweins auf und verzichten ganz bewusst auf das Abfeuern unserer illegalen Schreckschusswaffen nach jedem Tor von »Die Mannschaft«.

Es werden natürlich nicht alle im Lande stark genug sein, diese WM nicht zu gucken. Das ist menschlich nachvollziehbar. Ein schönes Tor liegt uns nun mal näher als ein tödlich verunglückter Gastarbeiter, der vom Stadiondach gefallen ist. Die Jungs und Mädels vom Fanclub der Nationalmannschaft und ihren Gründungspartner Coca Cola trifft es besonders hart. Diese Vorzeigedeutschen und der Vorzeigebrausehersteller wurden um die Früchte ihres Engagements gebracht. Jahrelang haben sie Choreografien ausgetüftelt, das Klatschen mit klimapositiven Klatschpappen geübt – und jetzt sollen sie nicht nach Katar reisen, weil dort Homosexuellen Peitschenhiebe drohen? Dabei kann man doch auf jedem CSD bestaunen, dass es durchaus Schwule gibt, die sich an Sado-Maso-Praktiken erfreuen.

Diese Argumentation ist nicht gänzlich an den Haaren beziehungsweise am Halsband und der Lederleine herbeigezogen. Deshalb sollte man die armen Seelen, die beim Fußball einfach nicht wegschauen können, nicht verteufeln. Unsere Gesellschaft ist zu sehr gespalten, als dass sie einen weiteren Streit zwischen WM-Guckern und -Boykotteuren ertragen könnte.

Im Übrigen gibt es beim politischen Protest auch Grautöne. Wenn man zu Hause konsequent den Fernseher ausgeschaltet lässt, dauert es eine Weile, bis dieser Protest zum Scheich in Katar durchdringt. Wenn hingegen eine WM-Touristin in Katar beim Torjubel und ein blankes Knie zeigt, geht es viel schneller. Nach Festnahme und rechtskräftiger Verurteilung gemäß der Scharia kommt die Diplomatie ins Rollen und Katar könnte schon in wenigen Wochen wegen des hohen internationalen Drucks gezwungen sein, die Dame freizulassen und die internationale Moderechtscharta für Frauen anzuerkennen. Dafür sollten wir König Fußball dann auf ewig dankbar sein.

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