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Queere Regierungsagenda
Die Bundesregierung beschließt einen Aktionsplan »Queer leben«, um Diskriminierungen und Hassverbrechen zu verringern
Die Anerkennung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt sei ein Grundpfeiler der Demokratie, postulierte der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann am Freitag in der Bundespressekonferenz. Dort präsentierte er den ersten Aktionsplan »Queer leben« für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt der Bundesregierung. Dieser sieht zahlreiche Maßnahmen vor.
Anfang des nächsten Jahres soll die Umsetzung beginnen, zum Auftakt werde es eine große Sitzung mit allen Ministerien und den Verbänden geben, die dann zu den einzelnen Themen Arbeitsgruppen bilden würden, sicherte Lehmann zu. Der Aktionsplan ist lang, allerdings besteht er bisher vor allem aus Absichtserklärungen: Ein Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität soll in den Artikel drei des Grundgesetzes aufgenommen werden. Ob die hierfür nötige Zweidrittelmehrheit zustande kommen wird, ist jedoch ungewiss.
Auch will die Bundesregierung das Familienrecht modernisieren: Bisher muss in einer lesbischen Partnerschaft die soziale Mutter ihr Kind in einem aufwendigen Prozess adoptieren, die Regierung will ein Gesetz vorlegen, damit künftig beide Frauen automatisch als Mütter anerkannt werden. Hierdurch würden nicht nur lesbische Frauen diskriminiert, sondern auch die Kinder benachteiligt, führte Lehmann aus. Justizminister Marco Buschmann (FDP) werde hierzu voraussichtlich Anfang 2023 Eckpunkte vorlegen. Um die Teilhabe von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans, intergeschlechtlichen und queeren Personen (LSBTIQ) zu verbessern, sollen Forschungsprojekte zur gesundheitlichen und sozialen Situation dieser Personengruppen gefördert werden.
Das Transsexuellengesetz soll abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. Dazu hatten die Bundesministerien für Justiz und Frauen vor der parlamentarischen Sommerpause ein Eckpunktepapier vorgelegt. Lehmann erklärte, an dem Gesetzentwurf würde intensiv gearbeitet und er hoffe, dass der Gesetzesprozess im kommenden Jahr abgeschlossen werden könne. Es sei nicht mit den Menschenrechten zu vereinbaren, dass weiterhin Gerichte darüber entscheiden würden, ob Menschen als die leben dürften, die sie sind.
Der Plan hält fest, dass »Gewalttaten, Übergriffe und Anfeindungen gegen LSBTIQ* sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum keine Seltenheit« sind. Im Jahr 2021 wurden bundesweit insgesamt 1051 Straftaten mit Bezug auf »Geschlecht/Sexuelle Identität« und »Sexuelle Orientierung« registriert, darunter 114 Gewaltdelikte und Körperverletzungen. Die Dunkelziffer liegt allerdings vermutlich weit höher, da viele Betroffene die Vorfälle nicht melden. Der Aktionsplan sieht dazu unter anderem Dunkelfeldstudien zu Kriminalitätserfahrungen vor. Zudem sollen geschlechtsspezifische und »gegen die sexuelle Orientierung gerichtete« Tatmotive als menschenverachtende Beweggründe strafverschärfend wirken. Der Queerbeauftragte erklärte, jeden Tag gebe es drei bis vier Übergriffe auf queere Menschen, sie würden angespuckt, beleidigt und bedroht. Er ging auch auf die vermehrten Angriffe auf queere Demonstrationen in den vergangenen Monaten ein und auf den infolge eines solchen Angriffs gestorbenen trans Mann Malte C. in Münster. Viele queere Menschen hätten sich an die Anfeindungen bereits gewöhnt, das dürfe jedoch nicht so sein, sagte Lehmann.
Die öffentlichen Haushalte sollen durch die Maßnahmen allerdings nicht »präjudiziert« werden, das bedeutet, dass es erstmal kein Geld von der Bundesregierung für all diese Vorhaben gibt. Die einzelnen Ressorts sollen ihre Planung in den nächsten Bundeshaushalt einfließen lassen. Der Plan soll 2024 mit einem Bericht an den Bundestag evaluiert werden. Lehmann äußerte seine Hoffnung, dann bereits mit vielen der Gesetzesvorhaben durch zu sein.
Am Sonntag ist der Trans Day of Rememberance, ein Tag, an dem den Opfern von Transfeindlichkeit gedacht wird. Dieses Jahr soll vor allem an Malte C. und Ella N. erinnert werden. Die geflüchtete trans Frau hatte sich im September des vergangenen Jahres auf dem Berliner Alexanderplatz öffentlich verbrannt. Begangen wird der Gedenktag seit 1998, als Rita Hester, eine afro-amerikanische trans Frau in ihrer Wohnung erstochen wurde und es weder Aufklärung noch Berichterstattung über die Tat gab. In Berlin und anderen Orten finden Schweigemärsche und andere Aktionen statt.
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