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Sexuelle Gewalt bei »Princess Charming«
Ein Übegriff am Set der Reality-TV-Show »Princess Charming« führt vor Augen, dass auch Frauen sexuelle Gewalt ausüben
Die erste Staffel der lesbischen Datingshow »Princess Charming« ist vielen positiv in Erinnerung geblieben. Für Reality-TV unüblich, kam die ausgestrahlte Sendung 2021 mit Repräsentationsbewusstsein daher und wälzte lesbische Themen und Konfliktlinien, ohne zum Gender-Studies-Seminar zu mutieren. Doch am Set, an dem sich alle eigentlich um »Princess« Irina bemühen sollten, kam es auch zu einem sexuellen Übergriff von Bewerberin Wiki auf eine weitere Teilnehmerin. Am Montag veröffentlichte diese ein Video auf Instagram. Darin erzählt Jo, wie Wiki spätabends und untenrum unbekleidet zu ihr ins Bett gekommen sei, sie im Halbschlaf verbal bedrängt und schließlich ihr »Nein« zu einem Kuss nicht respektiert habe – auch, indem sie sich auf sie gelegt und ihre Arme festgehalten habe.
Die Beschuldigte, die ihre Bekanntheit in der Vergangenheit auch zur Thematisierung von Sexismus, sexueller Gewalt und konsensueller Sexualität genutzt hatte, reagierte tags darauf. Die Vorwürfe gegen sich bestätigte sie. Sie versuche seitdem jeden Tag, Verantwortung für das Vorgefallene zu übernehmen und ihr Verhalten zu reflektieren. Eher zu Wort gemeldet habe sie sich nicht – immerhin ist der Übergriff nun eineinhalb Jahre her –, um der Betroffenen den Raum dazu zu lassen. Doch das konnten die allermeisten Kommentator*innen in Wikis Verhalten genau so wenig erkennen wie die Betroffene selbst. Diese schob nach, dass sie sich im Vorfeld an die Täterin gewandt und sie um eine gemeinsame rechtliche Prüfung der unterschriebenen Verschwiegenheitsklauseln in ihren Verträgen mit der Produktionsfirma Seapoint gebeten habe. Daran aber habe die doch so Einsichtige kein Interesse gezeigt. Auf Wikis Instagram-Seite brach sich Wut über den Umgang mit Schuld und Verantwortung Bahn. Fleißig abgeliket wurden vor allem all diejenigen Beiträge, in denen sich die Schreibenden auf maximale Distanz zu Wiki brachten.
Dabei wäre es angemessen, an der Stelle einmal innezuhalten. Denn anders als in den allermeisten Auseinandersetzungen um sexuelle Gewalt, die wir in den vergangenen fünf Jahren seit Beginn der #metoo-Bewegung beobachten durften, ergibt sich mit dem unmittelbaren Geständnis der Täterin immerhin eine bemerkenswerte Chance. Wir könnten etwa danach fragen, wie weit eigentlich Persönlichkeitsanteile, die drohen, anderen durch sexuelle Grenzverletzungen Leid zuzufügen, in den meisten von uns verbreitet sind. Oder in unserer lesbischen sexuellen Kultur.
Das gilt gerade auch für diejenigen lesbischen Frauen und nichtbinären Lesben, deren feministische politische Identität stark auf der Ablehnung männlicher patriarchaler Sexualität und Misogynie beruht. So wie bei der »Princess Charming«-Teilnehmerin Wiki – oder bei mir. Denn unabhängig von der ja richtigen Beobachtung, dass gesamtgesellschaftlich insbesondere heterosexuell-männliche Übergriffigkeit besonders virulent und gefährlich ist, stellt sexuelle Gewalt auch unter Lesben ein Problem dar. Es gibt hier zwar eine größere Bereitschaft, mit ihr umzugehen. Die Alternativen, auch für Wiki, wären ja Leugnen oder Beschweigen gewesen. Kein Wunder also, dass es ausgerechnet bei »Princess Charming« deswegen bereits mehrmals geknallt hat. Lösen konnten wir das Problem in den Jahrzehnten lesbisch-feministischer Bewegung aber auch nicht.
Mir scheint das auch an einer Überbetonung der Rolle von Macht und Hierarchie und der Unterthematisierung der Tatsache zu liegen, dass sich Gewalt und Sexualität eben gegenwärtig doch nicht so fern sind. Wir sollten also nicht davon ausgehen, hier mit dem richtigen Geschlecht und der richtigen Meinung sicher zu sein. Und anfangen, Sexualität so zu kultivieren, dass sie weniger in individuellem Spaß, dafür umso mehr in Zärtlichkeit und Gemeinsamkeit Wurzeln schlägt. Es geht also nicht um die Einzelne, die die Regeln bricht. Es geht um uns.
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