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Grüne machen mit beim Abschieben
Parteijugend stemmt sich gegen Pläne am BER
Wenn sich Brandenburgs Grüne an diesem Samstag zu einer Landesdelegiertenkonferenz in der Stadthalle von Falkensee treffen, beraten sie einen Leitantrag zur Solidarität mit der Ukraine. Ein großes Thema könnte aber auch ein gemeinsamer Antrag der Grünen Jugend und der Landesarbeitsgemeinschaft Demokratie, Recht und Antifaschismus zu einer Willkommens- statt Abschiebekultur in Brandenburg werden. Denn der Vorstoß berührt einen Grundwert der Partei – zumindest, wenn die Grünen abseits von Klimaschutz und Biogemüse noch irgendwelche Prinzipien haben.
»Kein Mensch ist illegal.« Die Bündnisgrünen in Brandenburg setzen sich für geflüchtete Menschen ein und streiten an der Seite der Zivilgesellschaft »für Weltoffenheit und eine Willkommenskultur«, heißt es in dem zwei Seiten langen Antrag.
Wenn es mal so wäre. Denn die Landtagsfraktion scheint in dieser Frage jetzt ganz klar auf der falschen Seite zu stehen. Schließlich hatten der Flüchtlingsrat Brandenburg und der Hilfsverein »Wir packen’s an« mehr als 18 000 Unterschriften gegen ein geplantes Abschiebezentrum am Großflughafen BER in Schönefeld gesammelt und am Donnerstag an den Petitionsausschuss des Landtags übergeben. Zu den Abgeordneten, die die Listen entgegennahmen, gehörten auch Petra Budke, Marie Schäffer und Carla Kniestedt von den Grünen. Als dann aber am frühen Abend die Linksfraktion einen Stopp des Bauvorhabens am Airport beantragte, stimmten die Grünen geschlossen dagegen – so wie auch SPD, CDU und AfD. Nur die Freien Wähler enthielten sich. Die Abgeordnete Isabelle Vandré (Linke) hätte sich gewünscht, dass die Grünen wenigstens »den Arsch in der Hose« gehabt hätten, im entscheidenden Moment den Plenarsaal zu verlassen, um nicht in Nibelungentreue zu den Koalitionspartnern SPD und CDU gegen die eigene Überzeugung stimmen zu müssen. Denn an Lippenbekenntnissen fehlt es nicht. Doch in zwei Koalitionsausschüssen bewirkten die Grünen in dieser Frage praktisch nichts, wie ihnen die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) vorhielt. Die unabhängige Rechtsberatung für Flüchtlinge, die von der Grünen-Landesvorsitzenden Julia Schmidt als Verhandlungserfolg verbucht worden sei, habe bereits vorher in den Projektunterlagen gestanden. Was die Grünen-Abgeordnete Schäffer betrifft, die am Donnerstag im Landtag zur Sache sprach und dabei ihr Unbehagen nicht verhehlen konnte, gestand Andrea Johlige, sie sei sich nicht ganz sicher, ob ihr Schäffer leid tut oder ob sie Schäffer bewundern soll für deren Fähigkeit, sich zu verbiegen.
Es geht um ein Behördenzentrum von Bund und Land, das die Ein- und Ausreise von Geflüchteten abwickeln soll und sich gemessen an den Kapazitäten für Ankunft und Ausreise als Abschiebedrehkreuz erweist. Ein privater Investor soll die erforderlichen Gebäude für 155 Millionen Euro errichten und dann ab 2025 für 30 Jahre an den Staat vermieten. 470 Millionen Euro Kaltmiete würde er kassieren, die Preissteigerungen nicht mitgerechnet, sagte die Abgeordnete Johlige. Parlamentskollege Péter Vida von den Freien Wählern habe das eine »obszöne« Rendite genannt. Dieser Einschätzung könne sie sich nur anschließen.
Zu dem asylpolitischen Skandal kommt demnach also noch ein finanzpolitischer. »Überdimensioniert«, überteuert und »fahrlässig« nannte Johlige das Vorhaben. Sie könne sich vorstellen, dass sich irgendwann einmal ein Untersuchungsausschuss damit befassen werde. Der Rechnungshof könnte sich ebenfalls dafür interessieren, vielleicht sogar die schwerpunktmäßig für Korruptionsfälle zuständige Staatsanwaltschaft in Neuruppin.
Denn einst wollte Karl-Heinz Schröter (SPD), der bis 2019 Innenminister der damaligen rot-roten Koalition war, am BER einen Abschiebeknast haben. Doch das Land sollte die Haftanstalt nicht selbst bauen, sondern von einem Investor mieten. Damit wollte das Innenministerium an dem damaligen Finanzminister Christian Görke (Linke) vorbei agieren, der die Baukosten wohl niemals übernommen hätte, so die aktenkundige Vermutung. Der seinerzeit völlig im Unklaren gelassene Görke hat das inzwischen bestätigt. Er hätte diese Mittel aus politischen Gründen und wegen der Verschwendung von Steuergeldern niemals bewilligt, sagte er.
Damals habe der Investor nur eines der 16 Grundstücke besessen, die jetzt für das Abschiebedrehkreuz benötigt werden. Inzwischen hat er sie weitgehend aufgekauft oder sich Optionen gesichert. Hat er etwa einen Tipp erhalten? Dafür gibt es keinerlei Beweise. Der Mann kauft sowieso Grundstücke an Flughäfen, um sie zu entwickeln und zu vermarkten. Die Spekulation auf eine Wertsteigerung ist nicht besonders riskant. Flächen am BER sind begehrt. Die Gegend erlebt Zuzug, sogar in der am stärksten vom Fluglärm betroffenen Gemeinde Blankenfelde-Mahlow.
Die Abgeordnete Johlige kommt dennoch zu der sarkastischen Schlussfolgerung: »Wer so ein Projekt mit so vielen Unregelmäßigkeiten weiterlaufen lässt, der will, dass der Innenminister zurücktreten muss.« Das ist auf Innenminister Michael Stübgen (CDU) gemünzt. Aber der weist alle Vorhaltungen zurück. Sein Behördenzentrum habe mit der alten Idee eines Abschiebegewahrsams überhaupt nichts zu tun. Als er antrat, seien die Grundstücke jedenfalls alle nicht mehr zu haben gewesen. Das rechtfertige auch, dem Investor den Zuschlag ohne die sonst übliche Ausschreibung zu erteilen. Denn wie sollte man den Bauauftrag an jemanden anders vergeben, wenn der Investor nicht gewillt sei, das Areal abzutreten, da er es selbst machen wolle? Den Vorschlag, alternativ das Terminal 5 des BER zu verwenden, das für den Flugverkehr nicht mehr gebraucht wird, lehnte Stübgen ab. Das Terminal sei als »große Scheune« für den Zweck ungeeignet, auch weil es mit der Ansiedlung der Flugbereitschaft der Bundeswehr in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem »Hochsicherheitstrakt« werde.
Bleibt als letzte Hoffnung noch, dass Landtagsfraktion, Landesvorstand und Minister der Grünen »alle ihnen zur Verfügung stehenden parlamentarischen und politischen Mittel« nutzen, um die im Landeshaushalt eingeplanten Mittel für das Abschiebezentrum zu streichen. Das fordert die Grüne Jugend. Ihr Landessprecher Tammo Westphal glaubt, für dieses Anliegen bei der Landesdelegiertenkonferenz in Falkensee durchaus eine Mehrheit bekommen zu können. Schließlich hätten die Parteifreunde im Landtag ja nur aus Koalitionsdisziplin gegen den Projektstopp gestimmt.
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