- Politik
- Faeser in der Türkei
Zu Gast bei kriegerischen Freunden
Bundesinnenministerin Nancy Faeser besucht nach dem türkischen Überfall auf kurdische Gebiete Ankara
Kurz nachdem die türkischen Bomben auf kurdische Gebiete im Nordirak und in Nordsyrien niedergegangen sind, wird Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Ankara erwartet. Die SPD-Politikerin machte sich am Montag auf den Weg und wird zwei Tage in der Türkei bleiben. Dort will sie auch das Mausoleum von Staatsgründer Kemal Atatürk besuchen. Ob sie den mindestens elf Zivilisten, die nun durch das türkische Bombardement starben, ebenfalls ihren Respekt erweisen wird, ist hingegen unwahrscheinlich.
Hauptthemen bei ihrem Besuch sind die Migration und die »Terrorbekämpfung«. Dazu wird Faeser Gespräche mit ihrem Amtskollegen Süleyman Soylu führen. Die Zahl der Asylbewerber, die in die Bundesrepublik kommen, war zuletzt wieder gestiegen. Darunter sind auch Menschen, die sich vorher in der Türkei aufgehalten haben. Dort leben rund 3,7 Millionen syrische Flüchtlinge. Wegen der Wirtschaftskrise und politischer Verfolgung verschlägt es zudem immer mehr Türken nach Deutschland. In Berlin und Brüssel dachte man lange, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ein Garant dafür sei, Menschen auf der Flucht von der EU fernzuhalten. Doch die Situation in seinem Land wird für viele zunehmend unerträglich.
Es gibt bisher keine Anzeichen, dass für diese Flüchtlinge wieder eine deutsche Willkommenskultur gelten könnte. Vielmehr betonte Faeser, dass ihr die Zahl der »illegalen Migranten«, die zuletzt über die Balkanroute kamen, Sorgen mache. Bis Ende August kamen über diese Route nach EU-Angaben mehr als 86 000 Menschen in die Europäische Union. Das waren dreimal so viele wie im selben Vorjahreszeitraum. Als ein Schuldiger gilt die Türkei, wo die Geflüchteten zunehmend schlecht behandelt werden. Sie sehen dann keine andere Möglichkeit, als sich auf die Balkanroute zu wagen. Eine Antwort der EU ist der verstärkte Einsatz von Frontex, obwohl der Grenz-Agentur immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.
Außerdem werden Faeser und Soylu über die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK sprechen. Ankara fordert schon seit längerem ein härteres Vorgehen gegen sie. Nun dürfte Soylu den Anschlag in Istanbul zum Anlass nehmen, um dies zu bekräftigen. Dabei waren kürzlich sechs Menschen getötet worden. Der türkische Staat sieht die PKK und ihre Verbündeten in Nordsyrien als Täter. Diese hatten die Vorwürfe allerdings umgehend zurückgewiesen. Die Bundesregierung hält eine Täterschaft der PKK trotzdem für möglich. Die Bundesregierung nehme vorliegende Hinweise zur Verantwortung der PKK oder ihr nahestehender Gruppen »sehr ernst«, sagte Außenamtssprecher Christofer Burger am Montag in Berlin.
Die türkische Regierung hat zuletzt auch Schweden unter Druck gesetzt, härter gegen linke kurdische Gruppen vorzugehen. Die Türkei blockiert den Beitritt des skandinavischen Landes und von Finnland in die Nato und fordert weitere Zugeständnisse, darunter auch die Auslieferung von Oppositionellen.
Zudem nahm die Türkei den Anschlag in Istanbul zum Anlass für die Angriffe im Nordirak und Nordsyrien. Der erneute Überfall auf die Gebiete, bei dem auch ein Getreidesilo und ein Krankenhaus zerstört worden sein sollen, war schon lange geplant. In den vergangenen Monaten war es immer wieder zu Drohnenangriffen gekommen, bei denen auch Zivilisten getötet wurden. Bisher hat sich die Bundesregierung geweigert, dieses Vorgehen eindeutig zu verurteilen. Außenamtssprecher Burger war eher zurückhaltend. »Wir fordern die Türkei auf, verhältnismäßig zu agieren und dabei das Völkerrecht zu achten«, sagte er. Dazu gehöre insbesondere, »dass Zivilistinnen und Zivilisten zu jeder Zeit geschützt werden müssen«. Konsequenzen wurden der Türkei bisher nicht angedroht.
Scharfe Kritik äußerte die Menschenrechtsorganisation Medico international. »Die Luftangriffe sind nur ein Aspekt der hybriden Kriegsführung der Türkei. Die Kontrolle über Wasserzufuhr, Gebietsbesetzungen und die Unterstützung islamistischer Milizen bedeuten eine existentielle Bedrohung der Menschen in der Region und zielen auf die Schwächung der autonomen Selbstverwaltung in Nordostsyrien«, erklärte Anita Starosta, Referentin für Syrien, die Türkei und den Irak. Das Verteidigungsministerium in Ankara berufe sich erneut auf das Recht zur Selbstverteidigung der UN-Charta. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags habe aber bei den größeren türkischen Militäroperationen in Afrin und Serêkaniyê festgestellt, dass sie gegen Völkerrecht verstoßen hatten – zu keinem Zeitpunkt bestand eine Bedrohung, die militärisches Eingreifen erfordert hätte.
Der Linke-Abgeordnete Ali Al-Dailami forderte die Bundesregierung dazu auf, sich dafür einsetzen, dass die Angriffe vom UN-Sicherheitsrat behandelt werden und endlich ein Waffenembargo gegen Ankara verhängt wird. Doch Faeser und ihre Kabinettskollegen sehen in der Türkei weiterhin einen engen Partner. Das gilt auch für Katar. Am Mittwoch will die Innenministerin in das Emirat reisen und sich das WM-Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen Japan ansehen. Auch dort wird nicht viel Zeit bleiben, um der Toten zu gedenken, die der deutsche Verbündete auf den Baustellen der Fußballstadien zu verantworten hat.
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