• Politik
  • Rassistischer Mordanschlag

Empathieloser Umgang mit den Opfern von Mölln

Wie die Stadt Mölln und die Politik nach dem rechten Terror versagten

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 4 Min.

Der doppelte Brandanschlag durch zwei Neonazis am 23. November 1992 in Mölln, der drei Tote forderte, jährt sich diese Woche zum 30. Mal. Die damals in einer Nacht unmittelbar aufeinander folgenden Taten in der Ratzeburger Straße und der 600 Meter entfernten Mühlenstraße sind in Sachen hasserfülltem Rechtsterrorismus neben den NSU-Morden in einem Atemzug mit Rassismus-Tatorten wie Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Halle und Hanau zu nennen. Das schwierige Gedenken in Mölln zeigt auf, wie Erinnerungskultur trennen statt einen kann.

Ziel der Anschläge waren von Türken bewohnte Häuser in Möllns Altstadt. Bei den Bränden starben in der Mühlenstraße Bahide Arslan (51), ihre Enkelin Yeliz Arslan (10) und deren Nichte Ayşe Yılmaz (14). Neun Bewohner des Hauses in der Ratzeburger Straße wurden durch Rauchvergiftungen und Knochenbrüche zum Teil schwer verletzt.

Die Eulenspiegel-Stadt war seinerzeit eine Hochburg für Stiefelnazis. Die rechtsextreme DVU erhielt bei Wahlen über acht Prozent. Ein anonymer Anrufer meldete die Anschläge mit Molotow-Cocktails nacheinander telefonisch bei Polizei und Feuerwehr mit einem »Heil Hitler«-Gruß. Einer der Täter, Michael P. (25), wurde bereits am Folgetag in Haft genommen. Er hatte sich durch vorhergehende rechte Straftaten in der Umgebung Möllns verdächtig gemacht. Ein neunjähriges Mädchen aus der Nachbarschaft der Mühlenstraße, das nachts nicht schlafen konnte, war dann bei den Ermittlungen, die erstmals in einem Fall mit rechtsextremem Hintergrund von der Generalbundesanwaltschaft an sich gezogen wurden, die entscheidende Augenzeugin. Sie berichtete der Polizei vom Tatfahrzeug und lieferte Personenbeschreibungen der Insassen. So wurde auch Lars C. (19) überführt.

In der Folge legten beide Neonazis im Polizeiverhör Geständnisse ab, die sie aber im Prozess vor dem Oberlandesgericht Schleswig widerriefen. Im Dezember 1993 wurden P. zu lebenslanger Haft und C. zu zehnjährigem Gefängnisstrafe nach Jugendrecht wegen Mordes bzw. versuchten Mordes in mehreren Fällen verurteilt. Nach Verbüßung von sieben Jahren kam C. auf freien Fuß, P. wurde 2007 entlassen.

Bei den Hinterbliebenen gesellte sich zur ohnehin vorhandenen Traumatisierung durch das Hass-Verbrechen bis zuletzt eine große Verbitterung über die Haltung der Möllner Stadtspitze, anderer verantwortlicher Politiker und offizieller Stellen. Verständlich, wenn man İbrahim Arslan, dem zum Tatzeitpunkt siebenjährigen Enkel von Bahide Arslan, heute zuhört, der den Anschlag nur überlebte, weil seine Oma ihn in ein feuchtes Tuch wickelte.

Ärger gab es schon früh nach der von Neonazis begangenen Tat, indem in der Kleinstadt Mölln zum Teil hinter vorgehaltener Hand über den Lebenswandel der Familie Arslan getuschelt wurde, statt die menschliche Tragödie und das Verbrechen in den Fokus zu rücken. Übergangsweise bekam die Familie eine Bleibe am Stadtrand. Sie wollte generationenübergreifend zusammenbleiben und benötigte eine größere Wohnung. Der Familie wurde eine Containerunterkunft angeboten, alternativ blieb dann nur noch der Gang zurück ins inzwischen wieder hergerichtete Tatort-Haus mit all seinen dann traumatischen Aspekten. Im Jahr 2000 kehrte man Mölln den Rücken.

Acht Jahre lang und bis zum Ende von drei Sozialgerichtsentscheidungen mussten Ibrahim Arslan und seine Eltern sich ab 2004 einen unsäglichen Streit mit dem Landesamt für soziale Dienste um eine kleine Entschädigung liefern. Die städtischen Gedenkfeiern in Mölln waren aus Familiensicht Schaufensterreden von Politikern, ohne sich nur annähernd einmal mit den Opferschicksalen zu beschäftigen. So fühlte man sich einmal mehr an den Rand gedrängt und in einer untergeordneten Statistenrolle. Als Politprominenz dann 2012 beim jährlichen Gedenken in Mölln empathielos schon vor der Arslan-Rede aus Opferperspektive abreisen wollte, war das berühmte Fass übergelaufen.

Das animierte Ibrahim Arslan, ab 2013 die sogenannte »Möllner Rede im Exil« aus der Taufe zu heben, die die Sichtweise der Opfer in den Blickpunkt rückt und dazu staatliches Versagen in der Bekämpfung von Rassismus skizziert. Exil fand man bisher zweimal in Hamburg, dazu in Lüneburg, Bremen, Köln, Frankfurt am Main und Kiel. Inzwischen gibt es auch eine Vernetzung der Initiative mit den Angehörigen des NSU-Anschlags in der Kölner Keupstraße und den Hinterbliebenen der Anschläge von Halle und Hanau.

Am 15. November empfing Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) an seinem Amtssitz Schloss Bellevue Hinterbliebene der drei Anschlagsopfer von Mölln.

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