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SPD und Grüne hatten vor der Wahl soziale Verbesserungen versprochen, die mit dem Bürgergeld nicht eingelöst werden
Rund 20 Jahre ist es inzwischen her, dass die nach dem deutschen Manager Peter Hartz benannte Hartz-Kommission das sogenannte Hartz-Konzept für die damalige rot-grüne Bundesregierung entwarf. Ein Ziel der damaligen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war, die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe zusammenzuführen. Wegen des damit verbundenen Sozialabbaus verloren die Sozialdemokraten rapide an Zustimmung in der Bevölkerung. Zudem verließen zahlreiche Mitglieder aus Protest die Partei. Einige Jahre später schienen sich diejenigen in der SPD durchgesetzt zu haben, die die Reformen überarbeiten wollten.
In ihren Wahlprogrammen versprachen die Sozialdemokraten einige Wohltaten. So hieß es vor der Bundestagswahl 2021, dass die Partei sinnwidrige und »unwürdige Sanktionen abschaffen wolle. «Das sozioökonomische und soziokulturelle Existenzminimum muss jederzeit gesichert sein», schrieb die SPD. Den Begriff Hartz IV hatte die Partei bereits ad acta gelegt. Sie sprach stattdessen von einem «Bürgergeld». Dieses wird nun nach der Einigung der rot-grün-gelben Bundesregierung mit der Union aller Voraussicht nach zu Beginn des nächsten Jahres eingeführt. Die Abschaffung der Sanktionen war allerdings offenbar nie wirklich das Ziel der SPD. Hinzu kommt, dass die Erhöhung der Regelsätze um elf Prozent auf 502 Euro nach Berechnungen von Sozialverbänden wegen der Inflation weiterhin nicht für ein menschenwürdiges Leben reichen wird.
Noch stärker als die SPD hatten sich die Grünen in den vergangenen Jahren bemüht, nicht mehr als Hartz-IV-Partei wahrgenommen zu werden. «Jeder Mensch hat das Recht auf soziale Teilhabe, auf ein würdevolles Leben ohne Existenzangst. Deswegen wollen wir Hartz IV überwinden
und ersetzen es durch eine Garantiesicherung. Sie schützt vor Armut und garantiert ohne Sanktionen das soziokulturelle Existenzminimum», versprachen die Grünen im vergangenen Jahr in ihrem Programm. Durch das Ende der bürokratischen und entwürdigenden Sanktionen
schaffe die Garantiesicherung Raum und Zeit in den Jobcentern für wirkliche Arbeitsvermittlung und Begleitung. Auch ein bedingungsloses Grundeinkommen schloss die Partei nicht aus. Sie wollte Modellprojekte unterstützen, um die Wirkung einer solchen Leistung für alle Bürger zu erforschen.
Die Fraktionen von SPD und Grünen haben sich im Vergleich zu ihrer letzten gemeinsamen Regierungszeit 1998 bis 2005 personell verändert. Einige ältere Abgeordnete sind in Rente gegangen, jüngere neu hinzugekommen. Allerdings sitzen an den Schalthebeln noch immer einige Politiker, die einst das Hartz-IV-System erarbeiteten beziehungsweise vehement verteidigten. An vorderster Front wirkte dabei auch Olaf Scholz mit, der im Auftrag von Schröder von 2002 bis 2004 als Generalsekretär der SPD den rot-grünen Sozialabbau rechtfertigte.
Auch in seiner Partei machte der heutige Kanzler immer wieder klar, dass er keine großen Änderungen an Schröders Reformprogramm will. Die sozialpolitischen Forderungen im Wahlprogramm werden oft als Zugeständnisse von ihm und anderen konservativen SPD-Politikern an den linken Flügel interpretiert. Möglicherweise hat Scholz aber ebenso wie Spitzenpolitiker der Grünen inzwischen verstanden, welche Vorteile es hat, wenn man sich verbal von der Schröder-Zeit distanziert: Es ging darum, die linke Konkurrenz kleinzuhalten – während das rot-grüne Lager bei der Bundestagswahl 2021 deutlich Stimmen hinzugewann, ging es für die Linkspartei bergab. Manche Wähler werden sich die Frage gestellt haben, wozu die einst auch durch die Sozialproteste gegen Hartz IV und Agenda 2010 entstandene Partei überhaupt noch gebraucht wird, wenn SPD und Grüne signalisieren, dass sie ihre soziale Ader wiederentdeckt haben.
In den Verhandlungen zum Bürgergeld haben sie nun ihr wahres Gesicht gezeigt. Gemeinsam mit der mitregierenden FDP und der oppositionellen Union haben sie sich unter anderem darauf geeinigt, dass auch künftig schnell und hart sanktioniert werden kann. Laut Paritätischem Armutsbericht 2022 hat die Armut in Deutschland mit einer Quote von 16,6 Prozent im zweiten Pandemiejahr (2021) einen neuen Höchststand erreicht. Schon jetzt gehen Verbände wie der Paritätische davon aus, dass das neue Bürgergeld für die Betroffenen keine große Hilfe sein wird.
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