Hier sind die Arbeitskräfte

Dauernd ist von Fachkräftemangel die Rede. Da offenbar vielerorts Personal fehlt, haben wir nachgeschaut, wo die Beschäftigten sind

Auch die Baubranche berichtet von Fachkräftemangel. Was die Arbeitgeberverbände nicht davon abhielt, den Branchen-Mindestlohn zu kippen.
Auch die Baubranche berichtet von Fachkräftemangel. Was die Arbeitgeberverbände nicht davon abhielt, den Branchen-Mindestlohn zu kippen.

Die Polizei und die Post suchen Personal, in Kitas und Pflegeeinrichtungen fehlen Arbeitskräfte, auch das Handwerk sucht »händeringend« Beschäftigte, trotz der schwächeren Konjunktur. »Aus dem Fachkräftemangel ist ein allgemeiner Arbeitskräftemangel geworden«, befinden Ökonomen der Commerzbank und die »FAZ« unisono. Ist Personal wirklich so knapp? Wo sind dann die Beschäftigten, die jetzt vielerorts fehlen? Sind so viele in Rente gegangen – oder in andere Branchen gewechselt? Wir haben nachgefragt und nachgeschaut.

Was im Gastgewerbe geschah

Viele Gastronomie-Beschäftigte haben in der Pandemie die Branche verlassen und anderswo einen Job angefangen haben – das war oft zu hören und zu lesen. Stimmt das?

Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat sich bereits im Sommer mit der Branche befasst. »Sorgenkind Gastro? Berufswechsel in der Corona-Pandemie« – unter diesem Titel veröffentlichte das IW einen Bericht, in dem es heißt: Von den Lockdowns in der Pandemie sei der Bereich Tourismus, Hotel und Gaststätten besonders betroffen gewesen. »Knapp 216 000 Personen verließen dieses Berufsfeld im Jahr 2020. Viele fanden eine neue Beschäftigung im Verkauf.«

Das IW beruft sich auf Daten der Bundesagentur für Arbeit. Schaut man sich dort die Entwicklung im Jahr 2019, also vor der Pandemie an, zeigt sich: Damals haben noch mehr Beschäftigte das Berufsfeld »Tourismus, Hotel und Gaststätten« verlassen und einen anderen Beruf begonnen! Auch damals haben viele einen Job im Verkauf gefunden. Diese Wechsel sind also kein neues Phänomen, das durch die Lockdowns entstanden ist.

In der Pandemie wurden auch nicht mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse beendet, sondern sogar weniger, erklärt der Forscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der dazu eine Analyse erstellt hat. Genauer gesagt wurden im Jahr 2020 rund 90 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse weniger beendet als im Jahr zuvor. Erfasst sind hier Kündigungen durch das Unternehmen oder die Angestellten sowie auslaufende befristete Verträge.

Laut Weber ist der entscheidende Grund, warum in der Pandemie die Beschäftigung im Gastgewerbe zurückgegangen ist: Unternehmen haben viel weniger Leute neu eingestellt. So wurden 2020 fast 230 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse weniger begonnen als ein Jahr zuvor. »Das gleiche Bild zeigt sich bei Minijobs: Weniger beendete Beschäftigungen und ein Einbruch bei Neueinstellungen«, sagte Weber dem "nd".

Dass nach dem Ende der Lockdowns vielerorts Personal fehlte, lang also nicht daran, dass besonders viele Beschäftigte der Branche den Rücken gekehrt haben. Vielmehr haben Unternehmen Neu-Einstellungen massiv zurückgefahren. Als sie wieder Arbeitskräfte brauchten, fanden sie nicht so schnell genug Interessenten.

Wobei die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in dieser Branche seit 2021 wieder steigt. Langfristig gibt es hier wie in anderen Branchen einen Personalaufbau: Zuletzt arbeiteten im Gastgewerbe deutlich mehr Angestellte als vor zehn Jahren.

Die Fluktuation im Gastgewerbe ist jedenfalls schon lange groß. Die Gehälter sind hier sehr niedrig - über 60 Prozent der abhängig Beschäftigten erhalten lediglich einen Niedriglohn – und viele Menschen wollen oder können nicht jahrelang am Wochenende und abends arbeiten. Wenn man die Branche also für ein »Sorgenkind« hält, ist sie das bereits eine ganze Weile. Eva Roth

Sind Arbeitskräfte wirklich knapper geworden?

In den vergangenen Jahren hat sich tatsächlich etwas geändert. So ist die Zahl der offenen Stellen stark gestiegen, im zweiten Quartal dieses Jahres waren es 1,93 Millionen – so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Auf 100 offene Stellen kamen im Folgequartal rund 140 arbeitslos gemeldete Personen, vor zehn Jahren waren es noch 370, berichtete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Auch in einer Befragung der Hans-Böckler-Stiftung vom Sommer gaben mehr als die Hälfte der Betriebs- und Personalräte an, dass in den vergangenen zwei Jahren nicht alle ausgeschriebenen Stellen besetzt werden konnten, im Gesundheitswesen und Baugewerbe sagte das sogar eine große Mehrheit.

»Für Unternehmen wird es zunehmend schwierig, qualifiziertes Personal zu rekrutieren«, beschreibt der Wirtschafts-Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten vom November die Lage. Früher galt dies für eine relativ kleine Gruppe von Spezialisten, mittlerweile seien zahlreiche Fachkräfte mit Berufsausbildung knapp, sagt IAB-Forscher Alexander Kubis dem »nd«. All dies bedeute aber nicht, dass überall Arbeitskräftemangel herrsche. So betrage die Arbeitslosenquote im »Helferbereich«, also bei Menschen ohne anerkannte, dreijährige Berufsausbildung, immer noch mehr als 20 Prozent.

Fehlt Personal, weil so viele in Rente gegangen sind?

Die Alterung der Gesellschaft ist eine beliebte Erklärung für den Fachkräftemangel. »Arbeitskräfte fehlen mittlerweile überall«, schreibt etwa die »Zeit«. »Schuld ist die Demografie – für in die Rente gehende Babyboomer kommt nicht die gleiche Anzahl junger Menschen nach.«

Tatsächlich ist die Zahl der Menschen zwischen 15 und 64 Jahren seit der Jahrtausendwende laut Bundesagentur für Arbeit gesunken. In jüngster Zeit sind auch mehr Menschen in Altersrente gegangen als zuvor.

Gleichzeitig ist jedoch die Zahl der Beschäftigten stark gestiegen, allein in den vergangenen zehn Jahren um mehr als vier Millionen! Die Beschäftigung hat mittlerweile einen Höchststand erreicht: Mitte dieses Jahres gab es laut IAB hierzulande mehr als 41,5 Millionen Beschäftigte – und damit so viele wie noch nie seit 1991.

Größer geworden ist auch das sogenannte Erwerbspersonenpotenzial, zu dem neben Berufstätigen auch Arbeitslose zählen sowie Menschen aus der »Stillen Reserve«, die erwerbstätig sein möchten, aber nicht arbeitslos gemeldet sind.

Woher kommen Millionen zusätzliche Erwerbstätige, trotz der Alterung?

Frauen sind öfter als früher erwerbstätig oder wollen es sein. Die Menschen arbeiten auch länger: Im vorigen Jahr sind sie im Durchschnitt mit 64 Jahren in Altersrente gegangen und damit zwei Jahre später als zur Jahrtausendwende. Überdies sind viele Menschen aus dem Ausland nach Deutschland gekommen, nicht nur Geflüchtete, sondern auch Arbeitsmigrant*innen aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten und anderen Ländern, betont Kubis. Auch die Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen zehn Jahren etwas zurückgegangen.

Wieso herrscht Mangel, obwohl es viel mehr Beschäftigte gibt?

Eine naheliegende Vermutung ist: Gerade Frauen arbeiten oft nur Teilzeit. Das ist in Westdeutschland schon sehr lange so. Der Anteil der Teilzeit-Beschäftigten ist seit 2012 auch etwas gestiegen, von 37 Prozent auf 38,8 Prozent.

Die Zahl der insgesamt von allen geleisteten Arbeitsstunden ist aber nicht gesunken, sondern sogar gestiegen: in den letzten zehn Jahren von 50 auf 53 Milliarden Stunden. Was damit zu tun hat, dass es eben viel mehr Beschäftigte gibt. Das gesamte Arbeitsvolumen ist seit 2012 auch deutlich stärker gewachsen als nach der Jahrtausendwende, wo es nahezu stagnierte und die Wirtschaft trotzdem wuchs.

Mehr Berufstätige, die insgesamt mehr arbeiten – und es reicht immer noch nicht? Genau. »Der Bedarf ist stärker gestiegen als das Angebot«, sagt IAB-Forscher Enzo Weber dem »nd«. In der Pflege, in Kitas, bei IT-Dienstleistungen, im Handwerk – »in all diesen Bereichen wächst der Bedarf an Arbeitskräften, und zwar relativ unabhängig davon, ob sich die Wirtschaft im Aufschwung oder in einer Rezession befindet. Es handelt sich um ziemlich stabile Trends.«

Dass jetzt vielerorts zusätzliches Personal gesucht und eingestellt wird, habe auch mit Versäumnissen der Vergangenheit zu tun, sagt der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen dem »nd«: Über Jahre sei der Beschäftigungsaufbau in Bereichen wie Pflege und Kindererziehung vernachlässigt worden. Nach dem Ende des Wiedervereinigungsbooms habe die öffentliche Hand zudem Bauaufträge abrupt zurückgefahren. Der Wohnungsbau brach ebenfalls ein.

Seit einigen Jahren »kommt der lange vernachlässigte Beschäftigungsaufbau in all diesen Bereichen gleichzeitig in Gang – und er ist noch längst nicht abgeschlossen«, sagt Bosch. Denn die demografische Entwicklung bedeutet eben auch, dass mehr alte Menschen Pflege benötigen, und zwar möglichst gute. Demente Personen einfach ruhigzustellen, wird von Pflegenden und Angehörigen nicht mehr hingenommen. Um den seit 2013 geltenden Anspruch auf einen Kita-Platz umzusetzen, sind viel mehr Erzieher*innen nötig. »Wenn 2026 der Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung in Grundschulen kommt, steigt der Personalbedarf nochmal«, so Bosch. Und für die ökologische Transformation sind Handwerker*innen nötig, die Häuser dämmen, Heizungen einbauen, Solaranlagen installieren und Schienen verlegen.

All dies vollzieht sich laut Bosch ausgerechnet in einer Zeit, in der geburtenschwache Jahrgänge ins erwerbsfähige Alter kommen. Um den Bedarf besser zu decken, hätte die Politik mehr für Bildung und reguläre Jobs tun können. Doch immer noch haben mehr als zwei Millionen junge Menschen keine Ausbildung. Bis heute subventioniert die Politik auch geringfügige Beschäftigung. Zuletzt gab es hierzulande rund vier Millionen Menschen, die ausschließlich einen Minijob haben – die Hälfte verfügt über eine Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss. »Wer für Minijobs ist, darf nicht über Fachkräftemangel klagen«, schlussfolgert der Forscher.

In welche Branchen sind die Menschen gegangen?

Der Staat schnappe anderen Branchen die Leute weg, ist sinngemäß hier und da zu lesen. So schrieb das »Handelsblatt«: Laut Arbeitsmarktforschern seien die zusätzlichen »Staatsdiener« mit ein Grund, warum derzeit in so vielen Branchen Arbeitskräfte fehlten. Nun gehören zu den »Staatsdienern« auch Erzieher*innen und die öffentliche Hand hat das getan, was viele andere Unternehmen auch getan haben: zusätzliches Personal eingestellt.

Betrachtet man die vergangenen zehn Jahre von März 2012 bis März 2022, dann gab es in fast allen Wirtschaftsbereichen einen Beschäftigungsaufbau: Am Bau und in der Logistik, in Kitas und Kliniken, bei IT-Dienstleistern und im Handel, in der öffentlichen Verwaltung und Pflege – überall ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten deutlich gestiegen. Das zeigen Daten des Statistischen Bundesamts, in denen die Beschäftigung nach Wirtschaftsbereichen aufgeschlüsselt ist.

Besonders groß war der Personalaufbau laut Statistikamt im Gesundheitswesen, zum dem öffentliche und private Kliniken und Arztpraxen gehören. Hier arbeiteten zuletzt rund 541 000 Menschen mehr in einem sozialversicherungspflichtigen Job als zehn Jahre zuvor.

In Alten- und Behindertenheimen sowie in der ambulanten Pflege kümmerten sich 415 000 Angestellte mehr um die wachsende Zahl an Hilfebedürftigen. Im Bereich Erziehung und Unterricht wuchs das Personal um 305 000 Menschen. Auch in Krippen für Kinder unter drei Jahren, die in der Statistik unter der Rubrik »Sozialwesen« erfasst sind, stieg die Zahl der Betreuer*innen stark an.

Einen enormen Zuwachs von rund 465 000 Angestellten gab es auch im gesamten Handel, fast ebenso stark war er im Bereich Verkehr und Logistik, zu dem Gütertransport und Postdienste gehören.

Am Bau gab es zuletzt rund 375 000 mehr Beschäftigte mit einer regulären Stelle. Ähnliches gilt für IT-Dienstleister, wobei es sich hier teilweise um Auslagerungen handeln kann.

Was manche überraschen mag, die keinen Termin beim Heizungsinstallateur bekommen: Im Handwerk, für das vergleichbare Daten bis 2019 vorliegen, stieg die Zahl der Beschäftigten ebenfalls kräftig um mehr als 370 000 Menschen. Gerade »klimarelevante Gewerke« hätten einen hohen und wachsenden Auftragsbestand, so der Zentralverband des deutschen Handwerks.

Weil die Wirtschaftsbereiche unterschiedlich groß sind, war der prozentuale Anstieg der Beschäftigung sehr unterschiedlich. So betrug er in der verarbeitenden Industrie knapp fünf Prozent und bei Erziehung und Unterricht mehr als 27 Prozent, obwohl in beiden Bereichen ungefähr gleichviel zusätzliche Personen eingestellt wurden. Einen starken Anstieg gab es auch bei der Betreuung von älteren und behinderten Menschen (plus 29 Prozent), im Gesundheitswesen (plus 25 Prozent) sowie bei Verkehr und Lagerei (plus 30 Prozent) und in der Baubranche (plus 24 Prozent). Zur Einordnung: Insgesamt und über alle Branchen hinweg stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit 2012 um 18 Prozent.

Auch in der Pandemie haben Dienstleistungsbranchen wie Post, IT, Gesundheitswesen, Erziehung und Unterricht sowie die Baubranche die Belegschaft aufgestockt – anders als die Industrie. Das meint Weber, wenn er von stabilen, relativ konjunkturunabhängigen Trends spricht.

Personal abgebaut hat insbesondere die Finanzbranche. Hier haben Banken die Digitalisierung genutzt, um via Online-Banking Beschäftigte in Filialen wegzurationalisieren.

Unterm Strich lässt sich sagen: Arbeitskräfte sind in ganz unterschiedliche Branchen gegangen – dorthin, wo zusätzliche sozialversicherungspflichtige Stellen angeboten wurden. Wer eine Festanstellung sucht, hat mehr oder weniger Spielraum bei der Wahl. Grundvoraussetzung ist jedoch, dass Firmen regulär Beschäftigte einstellen.

Haben Arbeitnehmer höhere Gehälter durchgesetzt?

Ihre Verhandlungsposition hat sich tatsächlich verbessert. So war die Lohnentwicklung nach der Jahrtausendwende lange Zeit dürftig: 2008 erhielten Arbeitnehmer*innen im Durchschnitt für eine Stunde Arbeit real sogar etwas weniger Geld als im Jahr 2000, wenn man den Preisanstieg berücksichtigt. Danach setzten Beschäftigte zusammen mit Gewerkschaften nach und nach mehr durch: Im vorigen Jahr waren die realen Stundenentgelte im Schnitt gut 13 Prozent höher als 2012.

Überdurchschnittlich sind die Gehälter beispielsweise in der Pflege gestiegen, jedenfalls unter sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten. Das zeigt eine Analyse des IAB. Festangestellte in der Altenpflege werden demnach nicht mehr so schlecht bezahlt wie früher, preisbereinigt stiegen die mittleren Monatsgehälter seit 2012 um rund 25 Prozent. Fachkräfte erhielten im vorigen Jahr im Mittel 3344 Euro im Monat, und damit erstmals etwas mehr als alle Beschäftigten auf diesem Ausbildungsniveau. In der Krankenpflege bekamen sie rund 3800 Euro brutto.

Das alles sind Mittelwerte für regulär Angestellte. Noch immer verdienen viele Pflege- und Betreuungskräfte indes sehr wenig. Frauen aus Osteuropa, die sich um alte Menschen zuhause kümmern, haben kaum Verhandlungsmacht. Generell ist die Vergütung in der ambulanten Pflege viel niedriger als in größeren Einrichtungen, in denen sich Beschäftigte leichter zusammenschließen und höhere Tarifentgelte durchsetzen können.

Am Bau haben die Arbeitgeberverbände kürzlich sogar den Branchen-Mindestlohn aufgekündigt, den es dort 25 Jahren lang gab, Fachkräftemangel hin oder her. In den vergangenen Jahren haben Firmen insbesondere ausländische Beschäftigte angestellt und entsandte Arbeitskräfte angeheuert, die oft gering vergütet werden, erläutert Gerhard Bosch, der kürzlich zusammen mit Frederic Hüttenhoff eine Studie zu der Branche vorgelegt hat.

Bosch sieht bei einigen Bau-Arbeitgebern eine »selbstmörderische Unfähigkeit, Antworten auf die Probleme der Branche zu geben«. Für die Dekarbonisierung sei die Bauwirtschaft wichtig, etwa um Altbauten zu sanieren. Dafür würden zusätzliche Fachkräfte benötigt. Wenn Unternehmen Mindestlöhne kündigten und seltener Fachkräftelöhne zahlten, förderten sie den Personalmangel, meint Bosch: »Jugendliche haben recht, wenn sie bestimmte Berufe nicht lernen.«

Die Zahl der Menschen, die nur einen Niedriglohn erhalten, ist seit 2018 um rund 500 000 gesunken, berichtete am Freitag das Statistische Bundesamt. Der Niedriglohnsektor ist aber immer noch groß, trotz der Arbeitskräfteknappheit: Rund 7,5 Millionen abhängig Beschäftigte erhielten im April dieses Jahres weniger als 12,50 Euro brutto pro Stunde. Das sind 19 Prozent aller Beschäftigten. Nicht überall haben Erwerbstätige und Gewerkschaften genug Macht, um die günstige Arbeitsmarktlage zu nutzen und kollektiv mehr Geld durchzusetzen. In diesem Jahr werden die meisten aufgrund der hohen Inflation und der Tarifabschlüsse, die den Preisanstieg nicht ausgleichen, ohnehin Reallohnverluste erleiden.

Die Politik stützt teils Entgelte, in der Altenpflege gilt seit September wenigstens die Pflicht, nach Tarif zu zahlen. Teils fördert sie Niedriglöhne, indem sie etwa schlecht bezahlte Minijobs subventioniert.

In jedem Fall beklagen nicht nur Unternehmen den Fachkräftemangel, auch Politiker schildern ihn als Problem, das unbedingt beseitigt werden sollte. Weber erinnert indes daran, dass alle Parteien Vollbeschäftigung anstreben. »Vollbeschäftigung heißt, dass Arbeitskräfte nicht immer und überall verfügbar sind. Bei einer erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik hat man es also immer mit Knappheiten zu tun.«

Insofern könnte die Politik auch überlegen, welche Arbeit sie besonders fördern will, weil sie besonders wichtig ist.

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