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Deutschländer Schwulenrettung
Deutsche WM-Fußballer setzen sich gegen Schwulendiskriminierung nur halbherzig ein. Dabei könnte man im eigenen Land anfangen.
Eigentlich konnte der Auftakt der Herrenfußball-WM in Katar kaum noch lächerlicher werden als die Geplänkel im Vorfeld. Fifa-Präsident Gianni Infantinos Ausraster über die Kritik an der verbrecherischen Show etwa dürfte dabei in langer Erinnerung bleiben. Demnach sollten sich Europäer*innen nach »3000 Jahren« ihres Wirkens in der Welt ebenso lang mit moralischen Vorhaltungen zurückhalten. Und außerdem fühle er sich, so der Schweizer, »heute afrikanisch«, »heute als migrantischer Arbeiter« oder »heute schwul«. Sein wie er in Geld schwimmender Karnevalsverein indes untersagte kurz darauf den Kapitänen von sieben Nationalteams das Tragen einer »One Love«-Binde während des Spiels, darunter dem deutschen. Dabei hatte sie selbst im Vorfeld unter Beobachter*innen vor allem Gelächter und Häme provoziert: Bloß angelehnt an die Regenbogenfahne, an deren von der Fifa verkündeten Freigabe durch die Gastgeber*innen keiner so recht glauben konnte, zeigte das Motiv wahlloser Farbstreifen den ganzen Kleinmut auf, mit dem Sportmanager*innen Imagepflege betreiben.
Im Angesicht von tausenden zu Tode geschundenen Arbeitern, die die Kataris in Drittweltstaaten für den absurden Arenabau im ölreichen Wüstenland angeworben hatten, erwählte man also eine für westliches Publikum leichter zu verdauende Bevölkerungsgruppe zur Jungfrau in Nöten: Schwule. Mit denen hatte man immerhin im deutschen Regenbogenfußballsommer 2021 gegen die Puszta-Barbaren aus Ungarn beste Erfahrungen gemacht. Und abermals ging die Rechnung auf. Denn als die Fifa die »One Love«-Binde untersagte, legten die deutschen Kicker vor dem Auftaktspiel gegen Japan den Fokus auf eine noch besser verkäufliche Opfergruppe um: Deutsche. Die Spieler hielten sich also, statt einfach die »One Love«-Binde samt der geringfügigen Konsequenzen zu tragen, beim Mannschaftsfoto selbst die Münder zu.
Die Geste kann sich mit der Spritzigkeit eines Olaf-Scholz-Auftritts durchaus messen lassen. Und trotzdem reichte sie, um Deutschland mal wieder zum Sympathieträger zu adeln. Stolz verkündeten die »Spiegel«-Kolleg*innen tags darauf etwa die positiven internationalen Pressereaktionen. Dabei drängt sich doch die Frage auf, weshalb man sich nicht gegenseitig die Münder zuhielt, um die Zensur durch jemand anderen statt durch die eigene, privilegienblinde Feigheit zu symbolisieren. Oder hätte sich die fremde Männerhand am Mund ein bisschen zu homo angefühlt? Immerhin geht es bei der deutschen Schwulenrettung ja traditionell um die Rettung der Schwulen anderswo, der Schwulen der Anderen. Bis heute konnte sich hierzulande kein aktiver Profifußballer ein Coming-out leisten. Was es im Übrigen heißt, sich gegen islamisch inspirierte Menschenunterdrückerei aufzulehnen, hatten erst tags zuvor die iranischen Kicker gezeigt, die unter den wachsamen Augen ihres Halsabschneiderregimes das Absingen der Nationalhymne verweigert hatten. Doch solche haarsträubenden Fakten können nur diejenigen stören, die es tatsächlich auf die Verbesserung der Leben von Marginalisierten abgesehen haben.
Das zeigt sich auch in einem weiteren Umstand. So trug Sportministerin Nancy Faeser auf der Tribüne ungelenk jene »One Love«-Binde, die sich die westlichen Fußballer ohne jeden erkennbaren Widerstand aus der Hand hatten nehmen lassen. Dabei hatte sie selbst mit an jener Schraube gedreht, mit der alle Beteiligten die Lächerlichkeit dieser WM hinauf aufs maximale Drehmoment gepresst hatten. Im Vorfeld hatte sie sich von Katars Premierminister mündlich eine Sicherheitsgarantie für queere Fans geben lassen und diese auch noch, als sein Sprachrohr, in Deutschland verkündet. Nur Stunden nach dem Spiel fragte übrigens das Bonner Haus der Geschichte erfolgreich beim Ministerium an, ob man die Binde bekommen und zum Ausstellungsstück deutscher Historie machen dürfe. Deutschland einig Regenbogenland – das bedeutet, nicht einmal den Anstand zu besitzen, das Trauerspiel von vier Wochen WM abzuwarten, ehe man sich bereits selbst kräftigst auf die Schulter klopft.
Lesen Sie alle unsere Beiträge zur Fußball-WM in Katar unter: dasnd.de/katar
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