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Es geht auch ohne Neymar
Brasilien hat das WM-Achtelfinale bereits erreicht. Von seinem Superstar fühlt man sich nun nicht mehr abhängig
Als sich der Torschütze Casemiro vom Podium des Mediensaals erhob, verabschiedete er sich von dem neben ihm sitzenden Tite in einer Mischung aus Höflichkeit und Herzlichkeit, ganz so, als würde er seinen Trainer nun für Jahre nicht mehr wiedersehen. Seinen Pokal aber, die rote Trophäe für den Spieler des Spiels, vergaß der defensive Mittelfeldspieler. Casemiro musste noch einmal umdrehen, dann zog er mit der Auszeichnung davon und überließ seinem Trainer und dessen Assistenten Cesar Sampaio die Bühne.
Es galt nun, Brasiliens vorzeitigen Achtelfinaleinzug bei der WM in Katar durch den 1:0-Sieg gegen die Schweiz ebenso zu erklären wie die Fähigkeiten und Aussichten der Seleção bei diesem Turnier. Heraus kamen Sätze, die von dem großen Selbstvertrauen des Titelfavoriten zeugten: »Heute hat das Team gewonnen, das sich vier Jahre lang entwickelt hat. Der Fortschritt hat gewonnen«, verkündete Tite und nahm damit Bezug auf die vergangene WM in Russland 2018, bei der die Brasilianer im Viertelfinale an Belgien gescheitert waren. Nun aber fühlen sie sich deutlich weiter. »Wir haben viele individuelle Fähigkeiten«, sagte Tite.
Sein Assistent Sampaio bemühte gar eine Anleihe am Schach. Wie beim Denkspiel müsse man »alle Figuren analysieren, bevor die Züge gesetzt werden«, sagte er und befand, dies sei gegen die Schweiz gut gelungen. Hier endete offenbar die Schach-Analogie, denn was die Figuren, also die Spieler angehe, habe man viele Möglichkeiten, diese einfach auszutauschen. So wie am Montagabend in Doha, an dem unter anderem der verletzte Neymar ersetzt werden musste. Für Brasilien war es auch darum gegangen zu demonstrieren, dass sein Ausfall und der von Rechtsverteidiger Danilo keinen größeren Einfluss auf die Teamleistung haben würden.
Die Seleção fühlt sich nicht mehr so abhängig von Neymar, weil sie ohne ihn bereits die Copa América 2019 gewonnen hatte. Der WM-Titel ist zwar schwieriger zu erringen, aber zumindest vorübergehend sollte es auch ohne den Superstar gehen. Das war die Botschaft. Tite hatte überdies angekündigt, dass Neymar schon bald zurückkehren werde. Dessen Sprunggelenk ist inzwischen etwas abgeschwollen, wie Neymar selbst mit Fotos dokumentierte. Vom Hotelbett aus schaute der 30-Jährige zu, wie sich die Kollegen gegen die Schweizer mühten. Später twitterte er Glückwünsche für Casemiro, der in der 83. Minute zum Sieg getroffen hatte. Casemiro, so Neymar, sei ohnehin der beste defensive Mittelfeldspieler der Welt.
Äußerst organisiert hatten sich die Schweizer lange gut gehalten, nachdem ihr Mannschaftsbus bei der Anreise zum Stadion wegen eines Auffahrunfalls in der Polizei-Eskorte noch einen kleinen Blechschaden davongetragen hatte. Gerade einmal eine nennenswerte Torchance durch Vinícius Júnior brachte Brasilien in mehr als einer Stunde Spielzeit zustande. Legenden wie Ronaldo, Roberto Carlos und Cafu schüttelten auf der Tribüne schon mit den Köpfen. Und als Vinicius Júnior in der 64. Minute tatsächlich mit der zweiten Großchance traf, wurde das Tor nach Überprüfung wegen einer Abseitsposition aberkannt. Für Erlösung sorgte dann aber Casemiro per Rechtsschuss. Doch auch für den 30-Jährigen galt, was Tite später auf dem Podium sagte, als es um Neymar ging: »Das Team ist der Star.« Mit dieser Einstellung, glauben die Brasilianer, können sie es weit bringen in Katar.
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