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Linkes Medium im Visier
Russlands Regierung will die Macher der Studentenzeitschrift »Doxa« zu Extremisten erklären
Die russische Regierung arbeitet weiter daran, ihre Kritiker mundtot zu machen. 30 NGOs und insgesamt 150 Personen sollen zu Extremisten erklärt werden, so zumindest der Plan von Wassilij Piskarjow. Nach Auffassung des Vorsitzenden des Komitees zur Untersuchung ausländischer Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands stehen die Organisationen, darunter mit »Kowtscheg« eine NGO, die geflüchteten Russen im Ausland hilft, unter dem Einfluss der Nato und wollen Russland von innen zersetzen. Verbieten will Piskarjow auch das linke Online-Journal »Doxa«. Das Journal verbreite »ukrainische Popaganda« und rufe zur »Durchführung illegaler Protestaktionen«. Auf der Homepage, so der 59-Jährige, gebe es Anleitungen zu Brandanschlägen auf Kreiswehrämter, Ratschläge für einen effektiven Widerstand gegen die Staatsgewalt und Universitätsbesetzungen. Zudem agiere »Doxa«, so Piskarjow, »teilweise aus Deutschland heraus«.
Kurz nach Piskarjows Antrag gab sich »Doxa« (griechisch für »Meinung«) kämpferisch und erklärte, trotz der Drohung weiterzumachen. Schließlich ist die Redaktion Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit gewohnt. Zwei Jahre nach der Gründung als »Zeitschrift über moderne Hochschulen und sozial-humanitäre Probleme« an der Moskauer Eliteuniversität HSE entzog die Hochschule 2019 Redakteur Armen Aramjan und seinen Mitstreitern den Status einer »offiziellen studentischen Organisation«. Die Journalisten hatten über die Nichtzulassung von Oppositionskandidaten bei den Wahlen zum Moskauer Stadtparlament berichtet und Spenden für Studenten gesammelt, die nach Protesten mit Repressionen überzogen worden waren.
Für »Doxa« bedeutete die Aberkennung des Status den Verlust von Finanzierung, Räumlichkeiten und Technik der HSE. Trotzdem machte das Journal weiter und erreichte mit seinen Veröffentlichungen über sexuelle Belästigungen durch Lehrkräfte, Plagiate und Korruption an russischen Hochschulen eine immer größer werdende Leserschaft.
2021 warfen die Behörden »Doxa« schließlich vor, Jugendliche zu rechtswidrigen Aktionen anzustiften, nachdem das Journal ein Video über die Einschüchterung von Studenten im Vorfeld von Protestaktionen für Alexei Nawalnyj veröffentlicht hatte. Am 14. April verhängte ein Moskauer Gericht gegen die vier »Doxa«-Macher Armen Aramjan, Alla Gutnikowa, Waldimir Metjolkin und Natalja Tschkewitsch Hausarrest und erregte damit auch international Aufmerksamkeit. Die Solidaritätserklärung für die Redaktion unterschrieben unter anderem Judith Butler, Étienne Balibar, Slavoj Žižek und Boris Groys. Im August 2022 wurde die Redaktion zu zwei Jahren »Besserungsarbeit« verurteilt. Doch alle vier Angeklagten entzogen sich der Vollstreckung des Urteils durch die Flucht ins Ausland.
Mit Beginn des Krieges in der Ukraine änderte »Doxa« seinen Untertitel in »Zeitschrift gegen Krieg, Diktatur und Ungleichheit«. Bereits am 28. Februar wurde die Website in Russland blockiert, sie ist dort nur noch über VPN zu lesen.
»Doxa« sieht sich selbst als Teil der russischen Linken und ist punktuell bereit, mit der liberalen Opposition zusammenzuarbeiten. Doch im liberalen Lager wissen nicht alle diese Kooperationsbereitschaft zu schätzen. Bereits 2020 kritisierte der bekannte Soziologe Nikolaj Mitrochin, dass in der »Doxa«-Beilage »Studies« die Rote Armee Fraktion und andere bewaffnete linksradikale Organisationen verherrlicht worden seien. Mitrochin kreidete der Redaktion auch die Unterstützung des Mathematik-Doktoranden Asat Miftachow an, dem unter anderem Herstellung von Sprengstoff und ein Brandanschlag auf Büroräume der Regierungspartei »Einiges Russland« vorgeworfen wurden. Der russisch-tatarische Anarchist Miftachow wurde 2019 verhaftet und 2021 zu sechs Jahren Haft verurteilt. International hat die Kritik dem jungen Team nicht geschadet. Nachdem die Arbeit bereits 2020 und 2021 mit dem unabhängigen Journalistenpreis »Redkollegija« ausgezeichnet worden war, erhielt »Doxa« im Oktober den Student Peace Prize 2023.
Noch ist die Entscheidung über die Einstufung der Macher als Extremisten nicht gefallen. Piskarjows Komitee wartet auf die Antwort der Staatsanwaltschaft auf die Frage, wie den »Bemühungen, unsere Jugend in illegale Aktivitäten hineinzuziehen«, rechtlich begegnet werden könnte. Die Redaktion konterte die Vorwürfe selbstbewusst. »Doxa ist immer noch Teil der Jugend, die die Abgeordneten angeblich zu schützen versuchen«, heißt es in der noch am Tag von Piskarjows Erklärung verfassten Stellungnahme. »Das Einzige, in was wir ›die Jugend‹ hineinziehen, ist die Freiheit, Entscheidungen zu treffen.«
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