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Bahn kommt Biden in die Quere

Streikdrohung der Gewerkschaften bringt US-Präsident in Zugzwang

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 4 Min.

Vom Tisch ist er noch nicht: Schon bald droht den USA ein gewaltiger Eisenbahnerstreik. Deswegen will der US-Präsident Joe Biden einen mit mehreren Gewerkschaften ausgehandelten Tarifkompromiss auch für jene vier Gewerkschaften verpflichtend machen, die ihm nicht zugestimmt haben. Die Führung der Demokraten in beiden Häusern des Kongresses unterstützt das Vorhaben. Doch ein einziger nichtrepublikanischer Senator wie der Linke Bernie Sanders könnte es zum Scheitern bringen. Die erheblichen Zweifel um die Tragfähigkeit des Kompromisses, den Biden den Tarifpartnern kurz vor den Midterm-Wahlen abgerungen hatte, bestätigten sich, als in den vergangenen Wochen vier von zwölf Gewerkschaften die Zustimmung verweigerten. Damit dürfte schon ab dem 9. Dezember gestreikt werden. Die Biden-Regierung will nun mit allen Mitteln das Scheitern des Abkommens verhindern. Die starken Zweifel am Abkommen erschweren Bidens Vorhaben.

Die Eisenbahner-Gewerkschaften fühlen sich im Stich gelassen, und zwar von einem Präsidenten, der sich als der überhaupt »gewerkschaftsfreundlichste Präsident der USA« inszeniert. Progressive Politiker sowie einige republikanische Senatoren erklären sich auch als Gegner der von Biden geplanten Intervention in den Tarifstreit. Obwohl das Repräsentantenhaus unter Nancy Pelosi mit Sicherheit Biden unterstützen wird, könnten im Senat einzelne Senatoren das Vorhaben Bidens zumindest zeitlich hinausschieben und dadurch erneut den Streik riskieren.

Der Stein des Anstoßes bleibt die Frage der Krankentage, weswegen die Gewerkschaften überhaupt erst mit Streik gedroht haben. Das Abkommen räumt zwar Lohnerhöhungen (24 Prozent über vier Jahre) ein, aber keinen bezahlten Krankenurlaub, wie von den Gewerkschaften verlangt. Lediglich ein »persönlicher Tag« oder Sonderurlaub im Jahr wird vorgesehen. Die Gewerkschaften beklagen sich, dass die chronische Unterbesetzung eine Schichtplanung bereits Monate im Voraus erzwingt, was dann mit spontanen Erkrankungsfällen absolut unvereinbar ist. Die vier Gewerkschaften, die das Abkommen abgelehnt haben, vertreten mehr als die Hälfte der organisierten Eisenbahn-Arbeiter.

Der mögliche Nachfolger von Nancy Pelosi, der Republikaner Kevin McCarthy, bemängelt Bidens Handwerk: Ständig werden im letzten Moment faule Kompromisse durchgepeitscht. Der linke Senator Bernie Sanders empört sich über das Fehlen von Krankheitstagen und sagt, dass er eine namentliche Abstimmung im Senat erzwingen wird, um sieben Krankheitstage im Jahr zum Abkommen hinzuzufügen. Überraschender kommt die Kritik von den republikanischen Senatoren aus Florida, Marco Rubio und Rick Scott, die einer Intervention in privaten Wirtschaftsverhandlungen nicht zustimmen wollen.

Gewerkschafter, die Biden im Jahr 2020 unterstützt haben, zeigen sich bitter enttäuscht. Der Schienenvorsteher Andy Quisenberry aus Bowling Green, Kentucky, sagte der »Washington Post«: »Ich fühle stark, dass ich mein Herz eingesetzt habe, um Biden ins Weiße Haus zu bringen: Er hat uns versprochen, für die Gewerkschaft zu sein. Und jetzt unterminiert er uns beim Krankenurlaub.« Die Brotherhood of Maintenance of Way Employees, die drittgrößte Eisenbahn-Gewerkschaft mit 23 000 Mitgliedern, behauptet, dass sowohl ihr Streikrecht von der Biden-Regierung negiert wurde, wie auch die Früchte eines eventuellen Sieges im Zuge eines Streiks.

Sollte Biden sich durchsetzen, wäre es der erste solche Fall seit dem Jahr 1991, als Präsident George H. W. Bush einen Eisenbahn-Streik nach nur acht Stunden beendet hatte. Damals waren die Vorzeichen sehr ähnlich wie heute: Die Nation wurde mit Rezessionsgefahr konfrontiert, es gab einen Krieg in Kuwait, die volkswirtschaftlichen Kosten eines Streiks wurden wild übertrieben. Der damalige Sprecher des Hauses, der Demokrat Tom Foley, wählte fast dieselben Worte wie Nancy Pelosi heute: Es ist sehr schade, einer Gewerkschaft etwas vorzuschreiben, doch die Gefahren ließen keinen Streik zu. Damals hatten die Eisenbahner zehn Prozent Lohnerhöhung über einen Zeitraum von vier Jahren gefordert und mussten sich zum ersten Mal an den Kosten für die Krankenversicherung beteiligen. Anders ist in diesem Jahr eigentlich nur, dass die Biden-Regierung nicht mal acht Stunden Streik riskieren will. Die Eisenbahnunternehmen, die mehr als ein Drittel der Transporte in den USA verantworten, sind nach wie vor »Too Big to Fail«. Für die üppigen Gewinne und Dividendenzahlungen von Firmen wie Union Pacific und CSX müssen die gefährlich unterbesetzten Mannschaften herhalten.

Eine Intervention des Kongresses in einem nationalen Streik im Jahr 1982 ereignete sich mitten in der Reagan-Revolution. Damals hat der Streik immerhin ganze vier Tage gedauert. Die Bereitschaft der US-amerikanischen Elite, überhaupt einen Streik zu riskieren, scheint klar zu schwinden, egal wer Präsident ist. Dass die Hebelkraft der Eisenbahnarbeiter damit schwindet, nimmt man in Kauf, obwohl sich die politische Atmosphäre für die Demokraten seit den Midterm-Wahlen eher gebessert hat. In ihrer Pressekonferenz bemerkte Nancy Pelosi kritisch, dass die USA allein unter den entwickelten Ländern keinen bezahlten Krankenurlaub ermöglichen. Doch die Demokraten stemmen sich trotzdem nicht dagegen, geben sich, wie so oft, hilflos. Dabei stehen die Republikaner gerne in Bereitschaft: Sie wollen sich als die Partei der Arbeiter positionieren.

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