Keine Lösung im Völkermordstreit

In Namibia hält der Widerstand gegen das »Versöhnungsabkommen« mit Deutschland an

  • Christian Selz, Kapstadt
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer es mit Robert Habeck (Grüne) hält, kann dem Bundeswirtschaftsminister eigentlich nur wünschen, dass ihm auf seiner zweitägigen Namibia-Reise am Sonntag und Montag niemand die Frage stellt, was genau deutsche Truppen in dem südwestafrikanischen Land von 1904 bis 1908 verbrochen haben. 60 000 bis 80 000 Herero – was etwa drei Vierteln der gesamten Volksgruppe entsprach – sowie etwa die Hälfte der Nama – 10 000 Menschen – hatte die kaiserliche Schutztruppe damals nach Schätzungen von Historikern getötet. Die Opfer wurden erschossen, zum Verdursten in die Wüste getrieben oder in Konzentrationslagern zu Tode gequält.

Um Schädel zu rassistischen Forschungen nach Deutschland zu schicken, wurden die Angehörigen der Ermordeten gezwungen, die Knochen mit kochendem Wasser und Glasscherben vom Körpergewebe zu säubern. Entsprechend der im Oktober vom Bundestag verabschiedeten Neuregelung des Volksverhetzungsparagrafen, die das Leugnen von Völkermord unter Strafe stellt, müsste Habeck also klipp und klar von einem solchen sprechen. Das aber würde mit der bisherigen Sprachregelung der Bundesregierung kollidieren, nach der der Genozid in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika stets nur mit der Einschränkung »aus heutiger Sicht« als Völkermord bezeichnet wird.

Was bleibt, ist ein Dilemma, das auch die namibische Gesellschaft bis heute spaltet. Gelöst werden sollte es eigentlich durch eine »Gemeinsame Erklärung«, auf die sich Unterhändler Deutschlands und Namibias nach fast sechs Jahre dauernden Verhandlungen im Mai 2021 geeinigt hatten. Die deutsche Bundesregierung wollte nach den Worten des damaligen Außenministers Heiko Maas (SPD) eine »historische und moralische Verantwortung« übernehmen, über einen Zeitraum von 30 Jahren 1,1 Milliarden Euro nach Namibia überweisen, zugleich aber eine juristische Verantwortung für den Völkermord sowie künftige Reparationsansprüche ausschließen.

Die Traditionellen Autoritäten der Herero und Nama, die die Volksgruppen nach der namibischen Verfassung repräsentieren, waren von den Verhandlungen allerdings ausgeschlossen. Ihre Reaktion auf die als »Versöhnungsabkommen« bezeichnete Einigung fiel entsprechend alles andere als versöhnlich aus: In einer gemeinsamen Erklärung sprachen die Vereinigungen der Herero und Nama von einem »PR-Coup Deutschlands« sowie einem »Verrat durch die namibische Regierung«.

Die Verbände der Herero und Nama, die seit dem Völkermord nur noch Minderheiten in Namibia darstellen, fühlen sich von der Regierung – die seit der Unabhängigkeit 1990 von der durch die Volksgruppe der Ovambo dominierte Swapo gestellt wird – nicht ausreichend vertreten. Sie fürchten, von den deutschen Zahlungen weitgehend ausgeschlossen zu werden. Die Regierung in Windhoek ihrerseits hat die Sorge, dass direkte Verhandlungen mit Herero und Nama oder gar direkte Zahlungen an deren Verbände zu einer Fragmentierung des Landes entlang ethnischer Linien führen könnten.

Wie angespannt die Lage in Namibia ist, zeigte sich, als das dortige Parlament im September 2021 über das »Versöhnungsabkommen« debattieren sollte. Nach heftigen Protesten stürmten etwa 300 Menschen das Abgeordnetenhaus; ratifiziert wurde die »Gemeinsame Erklärung« bis heute nicht. Der innenpolitische Druck wurde schließlich so groß, dass die namibische Regierung Berlin im Juli dieses Jahres bat, die Verhandlungen wieder aufzunehmen, was Vizepräsident Nangolo Mbumba schließlich Ende Oktober öffentlich machte. Ebenfalls bekannt wurde inzwischen, dass Namibia statt der von Deutschland offerierten 1,1 Milliarden Euro insgesamt 73 Milliarden Euro an Reparationen verlangt.

Für die Bundesregierung, die Namibia zeitgleich als potenziellen Energielieferanten umwirbt, ist das angesichts der aktuellen Haushaltslage einerseits ein finanzielles Problem. Zudem würden die uneingeschränkte Anerkennung des Völkermords und echte Reparationszahlungen an Namibia einen Präzedenzfall schaffen, der weitere Forderungen aus anderen ehemaligen Kolonien nach sich ziehen könnte.

Eine Lösung ist so derzeit nicht in Sicht, stattdessen verlegen sich beide Seiten auf symbolische Aktionen. In Berlin sollen an diesem Freitag die Lüderitzstraße und der Nachtigalplatz, bisher benannt nach zwei Kolonialisten, die Namen von Widerstandskämpfern erhalten. In Windhoek wurde bereits in der vergangenen Woche eine Statue des Kolonialoffiziers Curt von François entfernt. Geklärt ist damit freilich wenig. Die Herero- und Nama-Verbände haben bereits angekündigt, dass auch höhere Zahlungen Deutschlands für sie nicht akzeptabel wären. Sie fordern weiterhin einen kompletten Neuanfang der Verhandlungen unter ihrer Beteiligung. Gegen die »Gemeinsame Erklärung« wollen sie demnächst vor einem namibischen Gericht klagen.

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