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Was Türken nie verstehen werden
Deutscher Pass und deutsche Tugenden sind etwas sehr Spezielles
In Zeiten der Inflation ist es ein beruhigendes Gefühl, wenn man Wertgegenstände besitzt. Wenn alles den Bach runtergeht, hat man noch Großvaters goldene Uhr unterm Bett oder in der linken unteren Schreibtischschublade den deutschen Pass. Der ist für viele Bundesbürger die letzte Absicherung für schlechte Zeiten. Denn für einen gut erhaltenen deutschen Pass bekommt man im Leihhaus etwa so viel Geld wie für einen Jahreswagen der Mittelklasse.
Nach den angekündigten Reformen von Innenministerin Nancy Faeser könnte das bald anders aussehen. Der deutschen Staatsbürgerschaft droht eine Entwertung. Wenn jeder Dahergelaufene plötzlich auch Deutscher sein darf, werden die Preise auf dem Staatsbürgerschaftsmarkt deutlich nachgeben und die Anleger werden in sicherere Staatsbürgerschaftspapiere wechseln (Schweiz, Australien, Nordkorea u.a).
Faeser darf nicht kaputtmachen, was wir Deutschen uns mit unserer Staatsbürgerschaft aufgebaut haben. Wenn man heute als Deutscher ins Ausland geht, kann man sich der bewundernden Blicke der Einheimischen gewiss sein. Die Menschen stehen in der Bahn auf und bieten einem den Sitzplatz an, weil sie meinen, dass jemand, der einen besonderen Fußschutz in seinen Sandalen trägt, etwas Besseres sein müsse. Darum fallen sie auf die Knie und küssen uns die Tennissocken.
Andreas Koristka ist Redakteur der Satire-Zeitschrift Eulenspiegel. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter: dasnd.de/koristka
Deutsche Effizienz und Gründlichkeit werden auf dem ganzen Globus bestaunt. Wir erhalten Beifall vom Hotelpersonal, wenn wir um 6.30 Uhr unsere Liege am Pool mit einem Handtuch markieren und anschließend seine Knitterfalten mit der Handkante glattstreichen. Man klopft uns anerkennend auf die Schulter, wenn wir die Wollmäuse unter dem Kleiderschrank fotografieren, um anschließend einen Teil des Reisepreises zurückzuverlangen. Man darf berechtigte Zweifel haben, ob jemand, in dessen Genen südliches Temperament lodert, zu solchen Glanzleistungen in der Lage ist oder ob er es schaffen würde, sich als Tourist laut schimpfend einen Kaffee und drei Eimer Sangria zu bestellen, ohne auch nur ein Wort der Landessprache zu beherrschen.
Die deutsche Staatsangehörigkeit droht nun ein billiger Plunder zu werden, den man auf den Wühltischen mit den Sonderangeboten aus Asien begrabbeln darf. Laut Innenministerium soll man die Staatsbürgerschaft schon erhalten, wenn man fünf Jahre in Deutschland gewohnt hat. Fünf Jahre! Dieser Moment soll genügen, um unsere Kultur zu erlernen? Meine Frau versucht schon seit elf Jahren, das Weihnachtsrezept meiner Mutter nachzukochen und scheitert immer noch kläglich. Wenn man Deutsche im Schnelldurchlauf generieren möchte, werden sie genauso unvollkommen sein wie ein zerkochter Semmelknödel, den man enttäuscht mitsamt Teller an die Stubenwand wirft.
CDU-Generalsekretär Mario Czaja wie zu Recht darauf hin: »Die Staatsangehörigkeit ist kein Artikel, den es bei Black Friday im Sonderangebot gibt.« Sie ist so besonders, dass man sie nur zum gehobenen Preis bei Manufactum erhält. Wenn man zwei bestellt, gibt es ein Grillset von Weber dazu. Da können die Hartzer und künftigen Bürgergeldempfänger mal sehen, was sie Kostbares in den Händen halten! Auch sie sind in gewisser Weise reich. Zugegeben, es ist kein Reich im eigentlichen Sinne, eher ein deutsches Reich.
Wir alle besitzen etwas, was andere gerne hätten, und wir werden es keinesfalls verschenken. Dieser liebenswerte Hang zur Exklusivität ist uns angeboren wie der Instinkt zu sprinten, wenn eine zweite Kasse öffnet. Türken werden das vielleicht nie verstehen.
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