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Konservative Revolution
US-Verfassungsrichter haben Gewerkschaften und queere Menschen ins Visier genommen
Lorie Smith ist Webdesignerin. Gerne würde die Inhaberin von »303 Creative LLC« in Littleton, Colorado, auch personalisierte Webseiten für Hochzeiten entwerfen – allerdings nur, wenn diese zwischen Mann und Frau stattfinden. Homosexuellen Paaren möchte sie mit Verweis auf ihren christlichen Glauben ihre Dienste verweigern. Dies ist in Colorado allerdings verboten. Das Antidiskriminierungsgesetz untersagt, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung von der Bereitstellung von Dienstleistungen auszuschließen. Im Juli 2021 entschied ein Bundesgericht, dass es Smith nicht gestattet sei, homosexuelle Kund*innen abzuweisen und eine entsprechende Notiz auf ihrer Webseite zu veröffentlichen.
Smith wollte sich damit nicht zufriedengeben und ging vor dem Obersten Gerichtshof der USA in Berufung. Ihr Fall, »303 Creative LLC versus Elenis«, geht nun in die mündliche Verhandlung. Er bietet für die konservative Mehrheit der Richter*innen eine Gelegenheit, die Antidiskriminierungsgesetzgebung in den USA auf einen Streich entscheidend zu schwächen. Damit würde die konservative 6-zu-3-Mehrheit am obersten Gericht, die seit der Ernennung der Richterin Amy Coney Barrett 2020 besteht, ihren juristischen Feldzug gegen die liberale Rechtsprechung der vergangenen Jahrzehnte fortsetzen.
Für Empörung sorgte im Juni dieses Jahres ein Urteil, das die Entscheidung im Fall »Roe versus Wade« aus dem Jahre 1973, die ein Verfassungsrecht auf Schwangerschaftsabbruch garantierte, zum Fehlurteil deklarierte. Seither ist die Regulierung von Abtreibungen wieder Sache der Bundesstaaten – in einigen Landesteilen wurden sie ganz verboten. Doch die konservativen Richterinnen und Richter haben eine sehr viel umfangreichere Agenda und könnten Fälle wie »303 Creative LLC« nutzen, um die Rechtsprechung in den USA radikal in ihrem Sinne umzugestalten.
Bereits 2018 stellte das Oberste Gericht im Fall »Masterpiece Cakeshop versus Colorado Civil Rights Commission« fest, dass eine Bäckerei eines streng gläubigen Eigentümers keine Verpflichtung habe, auch homosexuellen Paaren Hochzeitstorten zu backen. Bei der Entscheidung der Kommission hätten religionsfeindliche Einstellungen eine Rolle gespielt – unter anderem habe ein Mitglied der Kommission zur Begründung einen Holocaust-Vergleich bemüht, wie Richter Anthony Kennedy laut der Fachwebseite Scotusblog monierte. Offen ließ das Gericht, ob der Staat Colorado das grundsätzliche Recht habe, solche Antidiskriminierungsvorschriften zu erlassen, solange sie fair und ohne antireligiöse Voreingenommenheit durchgesetzt werden.
Sollte der Supreme Court nun im Sinne von Smith entscheiden, hätte dies weitreichende Folgen für den Schutz von queeren Menschen und Minderheiten vor Diskriminierung. Sobald eine Dienstleistung den Ausdruck einer bestimmten Meinung oder eine gewisse künstlerische Schöpfungshöhe beinhaltet wie etwa das Design einer Webseite oder das Filmen einer Veranstaltung, könnten Dienstleister*innen und Künstler*innen sich dann auf die freie Meinungsäußerung berufen, um ihre Services zu verweigern, so Scotusblog. Da sich der Fall mit der Frage der Meinungs- und nicht der Religionsfreiheit befasst, wären etwa rassistische Motive ebenfalls ein legaler Grund, um Aufträge abzulehnen. Bei der Durchsetzung von Antidiskriminierungsgesetzen ergäben sich dann enorme Rechtsunsicherheiten, warnen die Anwält*innen des Staates Colorado.
»303 Creative LLC versus Elenis« ist nur einer in einer ganzen Reihe brisanter Fälle, die demnächst vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt werden sollen. Es steht viel auf dem Spiel, denn Urteile wie die Rücknahme von »Roe versus Wade« sind kein Zufall: Seit Jahrzehnten verfolgt die US-Rechte eine Strategie des Marsches durch die juristischen Institutionen. Der konservative Jurist*innenverband Federalist Society agiert als regelrechte Kaderschmiede für zukünftige Richter*innen mit entsprechender ideologischer Ausrichtung. Die Konservativen in den USA haben das Justizwesen als strategisch besonders wichtiges Machtzentrum stets im Auge – den Linken und Liberalen fehlt ein entsprechender Fokus.
In zwei Verfahren gegen Harvard und die Universität von North Carolina stehen Entscheidungen zur Frage an, ob die Hochschulen bei der Zulassung von Studierenden darauf achten dürfen, ob jemand einer rassistisch diskriminierten Minderheit angehört. Sollte dies negativ beschieden werden, stünden ebenfalls zahlreiche Antidiskriminierungsmaßnahmen zur Disposition.
Des weiteren will sich das Gericht unter anderem mit der Wahlgesetzgebung, dem Aufenthaltsrecht sowie regulatorischen Befugnissen der Staaten befassen. Bisher wenig Aufmerksamkeit erhält der Fall »Glacier Northwest, Inc. vs. International Brotherhood of Teamsters«. Doch er könnte enorme Auswirkungen auf die gerade erst wieder aufblühende Gewerkschaftsbewegung in den USA haben. Es geht dabei um die Frage, ob Gewerkschaften für Schäden, die infolge eines Streiks entstehen, haftbar gemacht werden können – im konkreten Fall um unbrauchbar gewordenen Beton. Doch ist unklar, wie weit der Schadensbegriff hier gefasst werden könnte. Die Kosten für Streiks könnten so heftig ansteigen und Arbeitskämpfe erschweren – ein Menetekel für die ohnehin schwache US-Arbeiter*innenklasse.
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