Unangefochtene Nummer eins

USA beherrschen globalen Rüstungsmarkt. Nicht zuletzt Deutschland begibt sich in tiefe Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Die 100 weltgrößten Rüstungsunternehmen verkauften im vergangenen Jahr Waffen, Ausrüstung und Dienstleistungen für rund 592 Milliarden US-Dollar. Das sind 1,9 Prozent mehr als 2020. Ohne die durch die Corona-Pandemie entstandenen Störungen in den globalen Lieferketten wären die Waffenlieferungen 2021 deutlich stärker gestiegen, erklärte die Direktorin des Sipri-Forschungsprogramms, Lucie Béraud-Sudreau.

Doch diese Engpässe sind gewiss nicht von Dauer. Die im asiatischen Raum heraufziehenden Kriegs- und Krisengefahren befeuern Entwicklung, Produktion und Verkauf von Rüstungsgütern. Überdies füllt der Ukraine-Krieg die Kassen vieler Unternehmen, die ihn mit ihren Lieferungen am Laufen halten. Das Problem: Die westlichen Nachschubdepots der ukrainischen Verteidiger sind weitgehend leer. So schickten die USA bis Ende Oktober 8500 »Javelin«-Panzerabwehrraketen allein in die Ukraine. Das entspricht der normalen Produktion von vier Jahren. Nun soll die Jahresproduktion auf knapp 4000 gesteigert werden.

Erst vor einigen Tagen hat die US-Armee dem mit Abstand weltgrößten Rüstungskonzern Lockheed Martin (Umsatz 2021: 60,34 Milliarden US-Dollar) einen 431-Millionen-Dollar-Vertrag zur Herstellung weiterer High Mobility Artillery Rocket Systems (HIMARS) erteilt, um den »eigenen dringenden Bedarf« und den von Verbündeten zu befriedigen, wie das Pentagon mitteilte. In der Ukraine habe sich der Mehrfachraketenwerfer als »Game Changer« bewährt, lobte Kiews Verteidigungsminister Olexij Resnikow.

Nun bestellt auch die Regierung Estlands sieben HIMARS-Lafetten. Es handelt sich um den größten Rüstungsdeal in der Geschichte des baltischen Nato-Mitglieds. Die polnische Armee soll in den kommenden Jahren etliche Dutzend erhalten. Lockheed Martin kündigte an, seine weltweiten Lieferungen um mehr als 50 Prozent auf 96 der Systeme pro Jahr hochzufahren. Allein die US Army verlangt mindestens 120 Stück HIMARS-Systeme pro Jahr. Die Nachfrage ist also enorm und bestimmt den Preis.

Wie HIMARS, so kommen auch die »Javelin«-Raketen und Hunderte andere Rüstungsgüter aus dem Hause Lockheed Martin. Neben dem Anführer der Weltrangliste der größten Waffenschmieden sind noch 39 weitere US-Konzerne unter den Top-100. Sie erzielten 2021 zusammen mehr als die Hälfte der globalen Umsätze der Rüstungsindustrie, nämlich 299 Milliarden Dollar. Auf den Plätzen zwei bis vier der Liste folgen die US-Hersteller Raytheon, Boeing, Northrop Grumman und General Dynamics. Die fünf Giganten stehen – gemessen am Umsatz – bereits seit 2018 an der Weltspitze.

Lockheed hat dabei wohl den mit Abstand besten Goldesel im Stall. Der F-35-Tarnkappenbomber ist nach Einschätzung vieler das ultimative Flugzeug der fünften Fighter-Generation: hochmodern, schnell, für Radar weitgehend unsichtbar und für den Transport taktischer Atomwaffen unersetzlich. »Wenn unsere Feinde den Lärm der F-35-Motoren hören, werden ihre Seelen erbeben und sie werden wissen, dass der Tag der Abrechnung gekommen ist«, begeisterte sich der frühere US-Präsident Donald Trump.

Seit zwei Jahrzehnten wird der Jet entwickelt. Bis zum Januar 2022 hatte Lockheed weltweit mehr als 800 Exemplare ausgeliefert. 142 davon kamen allein im vergangenen Jahr aus den Montagehallen. Bis 2025 werden voraussichtlich rund 1400 vom Band gelaufen sein. Obwohl die in drei Varianten produzierten F-35 schon bisher weit über eine halbe Million Stunden in der Luft waren, bleibt Kritik. Nicht nur, dass die Entwicklung horrende Summen verschlang, auch im Alltagsbetrieb seien die Maschinen, deren Stückpreis um die 80 Millionen Dollar (rund 73 Millionen Euro) beträgt, extrem teuer.

Einerlei, die F-35 ist ein Jahrhundertgeschäft. Auf absehbare Zeit wird die Maschine das Standard-Kampfflugzeug zahlreicher Nato-Staaten und anderer westlicher Nationen sein. Neben der US Air Force, der Air National Guard, der US Navy und den US Marines setzen Australien, Großbritannien, Israel, Italien, Japan, die Niederlande und Norwegen den Bomber ein. Dänemark beschafft ihn ebenso wie Belgien und Polen. Die Tschechische Republik, die Schweiz, Finnland und Kanada haben den Jet als Hauptwaffensystem erwählt. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Singapur sind F-35-Kunden.

Nicht nur die »Wunderjets« machen Lockheed und den US-amerikanischen Staat reich. Die Montage läuft in Fort Worth, Texas, doch die Zulieferungen für den Bau der Flugzeuge sowie deren Beladung mit diversen Waffensystemen kommen aus den gesamten USA. Geht man von einer rund 30-jährigen Einsatzzeit der Maschinen aus, kann man sich vorstellen, was das eigentliche Geschäft für Lockheed ist: Ersatzteillieferungen, Wartung, Modernisierung. Schon jetzt sorgt das Pentagon für den Ausbau entsprechender Managementprozesse.

Auch Deutschland hat die Absicht, 35 F-35 samt Ersatzteilpaket zu erwerben. Sie sollen die »Tornado«-Jagdbomber des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 ersetzen. Es ist in Büchel stationiert und – im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Nato – trainiert, US-Atombomben abzuwerfen.

Mit der im März gefallenen und von der Luftwaffe mitgetragenen Entscheidung für die F-35 waren die europäischen »Eurofighter«-Hersteller als Mitbewerber aus dem Rennen. Da die meisten europäischen Rüstungskonzerne, die auf den Bau von Flugzeugen spezialisiert sind, mit großen Einbußen zu kämpfen haben, wie man bei Sipri nachlesen kann, gaben die Lobbyisten der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie noch einmal alles. Und siehe da, das Bundesverteidigungsministerium bekam in der vergangenen Woche plötzlich Bedenken wegen »Verzögerungen und zusätzlicher Kosten« bei dem Geschäft mit Lockheed Martin. Die teilte sie den Haushältern des Bundestages in einem »geheimen« Dokument mit, das absichtsvoll weit gestreut wurde. Hingewiesen wird darin auf mögliche Kostensteigerungen durch Inflation und Wechselkursschwankungen zwischen Dollar und Euro. Auch verweigerten die USA die Herausgabe von Dokumentationen, die zur Genehmigung des regulären Flugbetriebs in Deutschland notwendig seien. Insgesamt seien die Sicherheitsanforderungen der US-Seite »komplex«, wird vom SPD-geführten Ministerium moniert.

Allerdings versicherte Kanzler Olaf Scholz gerade in einem Beitrag für das US-Medium »Foreign Affairs«, Deutschland halte »an seinem Engagement im Rahmen der Übereinkünfte der Nato zur nuklearen Teilhabe fest, auch durch den Kauf von Kampfjets des Typs F-35 mit dualer Einsatzfähigkeit«. Zuvor bekräftigte das Kanzleramt, man wolle den Vertrag mit Lockheed noch in diesem Jahr unter Dach und Fach bringen.

Demgegenüber hieß es aus Kreisen der Projektverantwortlichen, dieser Zeitrahmen sei »sehr ehrgeizig«. Da bereits am 14. Dezember erste Mittel für das F-35-Projekt freigegeben werden sollen, lud das Verteidigungsministerium am Montag erst einmal zu einer Dringlichkeitssitzung ein. Denkbar ist aber auch, dass den deutschen Entscheidern inzwischen klar wird, wie tief und dauerhaft man sich bei den aktuellen Rüstungsanstrengungen in die Abhängigkeit der USA begibt.

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