EU darf Schulden machen

Bundesverfassungsgericht weist Beschwerde gegen Corona-Wiederaufbaufonds ab

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Lange lehnte man in Deutschland gemeinsame Schulden in der EU ab. Als im Zuge der Eurokrise die Idee der sogenannten Eurobonds aufkam, mit deren Hilfe die unter horrenden Zinsen leidenden Krisenstaaten günstiger an Geld kommen sollten, kam von der damaligen Bundesregierung stets ein Nein. »Wir können auf den Mechanismus unterschiedlicher Zinsen bei Staatsanleihen nicht verzichten«, winkte der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im April 2011 ab. Wer nicht solide wirtschafte, zahle höhere Zinsen auf seine Staatsanleihen, wer solide wirtschafte, zahle niedrigere Zinsen, so seine Begründung.

Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) soll im Juni 2012 sogar in einer Fraktionsklausur der damals mitregierenden FDP gesagt haben, gesamtschuldnerische Haftung werde es nicht geben, »solange ich lebe«. Einige Abgeordnete hätten ihr daraufhin ein »langes Leben« gewünscht, wurde kolportiert. Doch Corona machte alles anders. In ihrem letzten Amtsjahr ebnete Merkel doch noch den Weg für eine gemeinsame Schuldenaufnahme in der EU. Und diese steht entgegen Klagen aus dem rechten Lager nicht im Widerspruch mit dem Grundgesetz.

Am Dienstag wies der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe eine Beschwerde gegen die gemeinsame Schuldenaufnahme zurück. Diese sei ausnahmsweise erlaubt, »wenn die Ermächtigung zur Kreditaufnahme im Eigenmittelbeschluss selbst vorgesehen ist, die Mittel ausschließlich zweckgebunden für eine der Europäischen Union zugewiesene Einzelermächtigung eingesetzt werden, die Kreditaufnahme zeitlich befristet und der Höhe nach begrenzt ist und die Summe dieser sonstigen Mittel den Umfang der Eigenmittel nicht übersteigt«, urteilten die Richter sechs zu eins. Unzulässig dürfte die Kreditaufnahme durch die EU laut den Juristen jedoch sein, wenn sie allgemein zur Haushaltsfinanzierung erfolge.

Konkret ging es bei der Verhandlung um den Corona-Wiederaufbaufonds »Next Generation EU«. Auf diesen hatten sich die EU-Staats- und -Regierungschefs im Juli 2020 geeinigt. Später stimmten ihm alle Staaten und Parlamente zu, auch das EU-Parlament war beteiligt. Bundesrat und Bundestag gaben im März 2021 grünes Licht.

Der Beschluss ermächtigte die EU-Kommission, zur Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen in den EU-Staaten Kredite in Höhe von insgesamt 750 Milliarden Euro zu Preisen von 2018 aufzunehmen. Berücksichtigt man die Inflation, sind das inzwischen mehr als 800 Milliarden Euro. Etwas mehr als die Hälfte sollen die Länder als Zuschüsse erhalten, die nicht zurückbezahlt werden müssen, den Rest erhalten sie als Kredite. Ende 2058 sollen die Schulden spätestens beglichen sein.

Die ersten Mittel aus dem Coronafonds waren im Sommer 2021 ausgezahlt worden. Mindestens 37 Prozent der Gelder müssen in Klimaschutzmaßnahmen investiert werden und 20 Prozent in Digitalisierung. Der größte Anteil fließt nach Italien und Spanien, zwei von der Pandemie besonders hart getroffene Länder. Aber auch Deutschland erhält rund 26 Milliarden Euro. Damit will man etwa die Wasserstoffforschung, klimafreundliche Mobilität und ein digitaleres Bildungssystem fördern.

Die Verfassungsbeschwerde gegen den Corona-Wiederaufbaufonds reiht sich ein in vergangene Klagen aus dem rechten Spektrum gegen EU-Antikrisenmaßnahmen, bei denen die Argumentation ähnlich war. Diesmal hatte unter anderem der Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke geklagt. Er hatte 2013 die AfD maßgeblich mitbegründet und war bis zu seinem Ausscheiden aus der Partei im Juli 2015 ihr Bundessprecher. Er und seine Partei profilierten sich mit einem streng antieuropäischen Kurs. Auf der AfD-Gründungsveranstaltung nannte Lucke den Euro einen »historischen Fehler« und forderte die Auflösung der Währungsunion.

Diesem Anti-Europa-Kurs bleibt Lucke mit seiner Klage in Karlsruhe treu. »Wir glauben, dass der Senat da viel zu nachgiebig und in gewisser Hinsicht zu naiv ist gegenüber dem Gestaltungswillen der Europäischen Union, die EU zu einer Transferunion auszubauen«, klagte Lucke nach der Urteilsbegründung in Karlsruhe. Er und seine Mitstreiter bemängelten an dem Corona-Wiederaufbaufonds, dass eine Schuldenaufnahme der EU-Kommission in den EU-Verträgen nicht vorgesehen sei, die Kommission so ihre Kompetenzen überschreite und die demokratischen Prinzipien hierzulande verletzt seien.

Der Corona-Wiederaufbaufonds berühre nicht »die Verfassungsidentität des Grundgesetzes«, erklärte jedoch die Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Doris König. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung sei nicht ersichtlich, dass »Verpflichtungen für den Bundeshaushalt entstehen können, die das Budgetrecht des Bundestages substantiell einschränken«.

Überraschend kam das Urteil nicht. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im April 2021 in einem Eilverfahren die deutsche Beteiligung am Corona-Wiederaufbaufonds ermöglicht. Ein Grund waren die schwerwiegenden ökonomischen Folgen, die eine Blockade des Fonds gehabt hätte.

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