Angry Birds im Knast

Limitiertes Internetangebot für Berliner Gefangene geht an den Start

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

Einen »Meilenstein« nennt Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) das Angebot mit digitalen Medien und Diensten, das bis Herbst 2023 allen Gefangenen in Berlin zur Verfügung stehen soll. Internetzugang, E-Mails, Videochat: Für Menschen außerhalb der Knastmauern mag das nach banalster Normalität klingen. Nicht so für Insassinnen und Insassen einer Justizvollzugsanstalt. »Bisher waren die Gefangenen davon ausgeschlossen, was für uns ganz alltäglich ist«, sagt Kreck am Mittwoch bei der Vorstellung des deutschlandweit ersten Projekts dieser Art in der Justizvollzugsanstalt für Frauen an der Lichtenberger Alfredstraße.

Die knapp 70 Gefangenen, die aktuell hier einsitzen, können bereits seit einer Woche auf die Freuden des Digitalzeitalters zurückgreifen, für die weit über 3000 Inhaftierten in den anderen Berliner Justizvollzugsanstalten soll das sogenannte Haftraummediensystem im kommenden Jahr Schritt für Schritt »ausgerollt« werden. »Die Gefangenen haben ein Grundrecht auf Resozialisierung«, und das nehme man ernst, sagt Kreck. Denn genau darum geht es hier zuerst: Resozialisierung durch Digitalisierung.

So raumgreifend der Name Haftraummediensystem ist, so begrenzt ist dann auch das Angebot. Die Gefangenen haben lediglich Zugang zu einer eingeschränkten, behördlicherseits festgelegten Zahl von Webseiten, die sie, so Kreck, »vorbereiten auf ein Leben in Freiheit«. Dazu zählen Gesetzesdatenbanken, Online-Chemiekurse, Sprachlern-Portale oder – warum auch immer – Kfz-Portale. 

Sämtliche sozialen Medien sind dagegen tabu. »Diesen Grad der Liberalisierung haben wir noch keinesfalls erreicht«, sagt die in Krecks Haus für den Justizvollzug zuständige Abteilungsleiterin Susanne Gerlach. Zumal man sich dessen bewusst sei, dass über Facebook, Instagram & Co letztlich auch Straftaten vorbereitet werden können. Gerlach sagt: »Wir sind nicht naiv.«

Überhaupt gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Wie bereits heute bei Briefen aus dem und in den Knast üblich, behalten sich die Justizbehörden auch beim Haftraummediensystem Eingriffe in die Privatsphäre der Gefangenen vor. »Die E-Mails werden nicht alle komplett kontrolliert. Aber wir können solche Maßnahmen machen, da brauchen wir einen Anlass«, sagt Susanne Gerlach.

Vom Resozialisierungsgedanken und den Durchgriffsdrohungen abgesehen sollen die Inhaftierten bei alldem auf etwas Unterhaltung nicht verzichten müssen. So stehen in geringem Umfang simple PC-Spiele wie Solitaire, Sudoku oder Angry Birds kostenfrei zur Verfügung, für ein erweitertes Games-Angebot müssen die Gefangenen jedoch zahlen. »Wie im echten Leben auch«, sagt Senatorin Lena Kreck. 

Ohnehin ist ein Großteil der Dienste des Mediensystems kostenpflichtig, ob Radio, Fernsehen, Telefon. Für eine Minute Videotelefonat zahlen die Inhaftierten beispielsweise 20 Cent, für eine Minute Festnetzanruf 3 Cent. Auch wenn letzteres 4 Cent preiswerter ist als bisher – angesichts der außerhalb der Gefängnisse allgegenwärtigen Flatrate-Tarife lädt das nicht unbedingt zum Dauertelefonieren ein. Kreck sagt: »Es geht nicht darum, den Menschen in Haft etwas zu schenken.«

Für die Einführung des Haftraummediensystems hat die Justizverwaltung nach einer europaweiten Ausschreibung einen entsprechenden Konzessionsvertrag über fünf Jahre mit dem Hamburger Unternehmen Telio abgeschlossen, einem Monopolisten im Bereich der Justizvollzugsanstalten. Das Land Berlin zahlt dabei weder für die Endgeräte noch den Service oder die Betreuung, die Telio-Dienstleistungen werden über die teils eben happigen Gebühren in den Einzelverträgen mit den Gefangenen finanziert.

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