• OXI
  • Steuergerechtigkeit

Es geht auch anders

Der richtige Mix aus Maßnahmen sorgt für mehr Steuergerechtigkeit

  • Julia Jirmann und Christoph Trautvetter
  • Lesedauer: 8 Min.
Gerechtigkeit durch die Steuerberaterin?
Gerechtigkeit durch die Steuerberaterin?

Wo der steuerpolitische Fokus von Bundesfinanzminister Christian Lindner liegt, ließ sich bereits Anfang des Jahres erahnen. »Ich bin Ihr Vermögensverwalter«, kündigte er beim Lobbytreffen der Familienunternehmer*innen an. Ein Blick auf die aktuelle Krisenpolitik zeigt, dass er seinem Versprechen treu bleibt: Eine stärkere Beteiligung hoher Einkommen und Vermögen gibt es nicht. Stattdessen werden große zusätzliche Ausgabenpakete zur Bewältigung der Klimakrise, für die außenpolitische »Zeitenwende« und zur Abfederung der hohen Energiepreise durch Sondervermögen finanziert. Gleichzeitig steigen die Krankenkassenbeiträge für alle gesetzlich Versicherten und im Bundeshaushalt wird mit der Rasenmäher-Methode gekürzt, statt gezielt zu sparen. Weil die Schuldenbremse zumindest auf dem Papier erhalten bleibt, droht in den nächsten Jahren eine Vollbremsung mit noch viel größeren Zumutungen.

OXI – Wirtschaft anders denken

Huch, es ist passiert, wir haben eine Wunschregierung, eine, die sich in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, dass sie für eine ernst gemeinte Transformation steht. Eine Minderheitsregierung zwar, die sich für alle Themen Mehrheiten suchen muss, aber das kriegt sie schon hin. Ihr ist klar, dass die Sache mit der Klimakatastrophe längst passiert ist, es aber Möglichkeiten gibt, auf den richtigen Pfad einzuschwenken.

In der Weihnachtsausgabe fragen wir uns, was wäre, wenn die Politik zur Vernunft käme, die Gesellschaft sich einen Ruck gäbe, die internationalen Institutionen wirklich die Welt retten wollten und so ausgestattet wären, dass sie es können. Die Ausgabe kommt am 9. Dezember 2022 zu den Abonnent*innen, liegt am 10. Dezember für alle, die ein »nd.DieWoche«-Abo haben, exklusiv bei.

Aber es geht anders. Und auch für diejenigen, die an revolutionären Veränderungen des Finanzsystems zweifeln und die nicht an jahrzehntelang unbemerktes »Umschichtungspotenzial« im Staatshaushalt glauben, gibt es eine Lösung: Das Steuersystem ist der Ort, wo die Verteilung der Kosten für die Krisenbewältigung demokratisch verhandelt werden kann. Unsere Vision für diesen Beitrag ist keine »magische« Steuer, die alle Probleme löst, sondern ein Mix aus Maßnahmen, der vergangene Entscheidungen korrigiert, das Steuersystem wieder gerechter macht und dabei wirtschaftliche Verzerrungen minimiert.

Gerade in Krisenzeiten bedeutet Steuergerechtigkeit vor allem dreierlei. Erstens: Eine umfassende Übergewinnsteuer für die Mineralöl- und Energiekonzerne muss dafür sorgen, dass die zusätzlichen Kosten des Krieges für Gesellschaft und Staat so gering wie möglich ausfallen. Zweitens: Die in den letzten drei Jahrzehnten entstandenen Steuerprivilegien für Menschen mit hohen Einkommen, Vermögen und Erbschaften können wir uns in Krisenzeiten schlichtweg nicht mehr leisten. Und drittens: Nach Jahrzehnten von Privatisierung und Sparzwang muss der Staat wieder handlungsfähig gemacht werden. Die Fähigkeit, über Steuern und die Steuerbehörden zu steuern, spielt dabei eine zentrale Rolle.

Die gestiegenen Energiepreise als Folge des Krieges in der Ukraine kosten die deutsche Gesellschaft nach verschiedenen Schätzungen zwischen 110 (ifo) und 200 Milliarden Euro (IMK). Weil die Förderung von Öl und Gas genauso wie Sonne, Wind und Wasser kaum teurer geworden ist, wird ein großer Teil dieser zusätzlichen Kosten zu zusätzlichen Gewinnen bei den Mineralöl- und Energiekonzernen. Diese werden in Deutschland verdient, aber zum Teil in Steueroasen oder in den Förderländern verbucht. Mit dem richtigen Ansatz kann Deutschland sich zumindest die hier und in den Steueroasen von westlichen Konzernen verbuchten Übergewinne zurückholen. Der Rest ist Verhandlungssache. Wie eine solche Steuer und eine Verhandlung über die globale Verteilung funktionieren kann, zeigt die Digitalsteuer. Weil die großen Digitalkonzerne ihre Gewinne jahrelang in Steueroasen verschoben, haben Indien, Frankreich und einige andere Staaten 2019 eine solche Steuer eingeführt. Auch die EU wollte eine Digitalsteuer, wurde aber von Deutschland gebremst. Anders als die normale Unternehmensteuer basiert die Digitalsteuer nicht auf den im entsprechenden Land verbuchten Gewinnen, sondern besteuert den Teil der globalen Gewinne, der dem lokalen Umsatzanteil entspricht. Vereinfacht gesprochen: Wenn Alphabet, Meta & Co 3 Prozent ihrer Einnahmen in Frankreich generieren, zahlen sie dort auch Steuern auf 3 Prozent ihres globalen Gewinns.

Ein großer Vorteil dieser Steuer: Weil sie anders funktioniert als die Unternehmenssteuer, ist sie auch nicht an die komplizierten Regeln und Vereinbarungen des internationalen Unternehmenssteuersystems gebunden. Der Haken dabei: Die Digitalsteuer aus Frankreich führte zu Protesten der USA und handelspolitischen Sanktionen. Am Ende einigten sich die USA, Frankreich und eine Reihe weiterer Staaten darauf, die Steuer so lange weiter zu erheben, bis eine gerechtere Lösung im Rahmen des internationalen Unternehmenssteuersystems gefunden ist, und die gezahlten Steuern zu verrechnen, wenn tatsächlich durch die neue Regel zusätzliche Steuern vor Ort fällig werden. 2021 einigten sich 136 Steuergebiete unter dem Dach der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf eine solche internationale Lösung. Die ist allerdings vor allem bei der Umverteilung der Besteuerungsrechte wenig ambitioniert und ob sie tatsächlich kommt, ist auch ein Jahr später alles andere als sicher. Die Mineralölkonzerne sind von der Umverteilung bisher komplett ausgenommen.

Kriegsgewinne der Mineralölkonzerne sollten deshalb nach französischem Vorbild der Digitalkonzerne in Deutschland besteuert werden. Mittelfristig brauchen wir eine internationale Lösung. Diese müsste dafür sorgen, dass Übergewinne bei Krisen abgeschöpft und gerecht verteilt werden. Das sollte auch bei Konzernen greifen, die aufgrund ihrer Marktmacht dauerhaft Renditen erwirtschaften, die nicht dem unternehmerischen Risiko entsprechen.

Vermögen bedeutet Wohlstand sowie Sicherheit und erhöht sowohl Lebenschancen als auch die Lebensdauer. Hohe Vermögen und die Konzentration von Vermögen in kapitalistischen Großunternehmen vermitteln gesellschaftlichen Einfluss und politische Macht, die das demokratische Prinzip des »Ein Mensch – eine Stimme« untergräbt. Intensive Lobbyarbeit hat dafür gesorgt, dass das Steuersystem in den letzten drei Jahrzehnten in mehreren Schritten ungerechter geworden ist: angefangen von der Abschaffung der Börsenumsatzsteuer (1991) über die Aussetzung der Vermögensteuer (1997), die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer (1998), die Senkung der Unternehmensteuer (1998, 2001 und 2008), die Einführung einer pauschalen und einkommensunabhängigen Steuer auf Kapitalerträge (2008) sowie großzügige Befreiungen für große Unternehmensvermögen bei der Erbschaftsteuer (1992, 2008 und 2016), bis hin zur schrittweisen Senkung des Spitzensteuersatzes für Menschen mit sehr hohen Einkommen (2001-05). Für Immobilieninvestoren gibt es eine Reihe weiterer Privilegien, die teilweise bis 1935 zurückreichen.

Die Folge: Leistungslose Einkommen aus Erbschaften und Kapitalerträge werden oft geringer besteuert als Arbeit. Die Unternehmenseigentümerin zahlt niedrigere Steuern als ihr Angestellter. Der Vermieter weniger als seine Mieterin. Der Anteil der Vermögensteuern an der Wirtschaftsleistung sank von rund 3,5 Prozent (1950) auf unter ein Prozent, weniger als die Hälfte des internationalen Durchschnitts. Und die Vermögensungleichheit ist gewachsen. Wie groß sie genau ist, lässt sich auch deswegen schwer sagen, weil die (Steuer-)Statistik seit der Aussetzung der Vermögensteuer 1997 keine ausreichend genauen Schlussfolgerungen über große Vermögen zulässt. Die anonyme Abgeltungssteuer sorgt zudem dafür, dass Kapitaleinkommen seit 2008 nicht mehr personenbezogen erfasst werden. Haushaltsbefragungen und Analysen schätzen den Vermögensanteil des oberen Prozents auf zwischen 27 und über 50 Prozent. Etwa 100 Milliardär*innen und deren Familienmitglieder besitzen 2022 nach Schätzung des »Managermagazins« zusammen rund 670 Milliarden Euro, also etwa 5 Prozent des Vermögens, und damit mehr als die 45 Millionen Erwachsenen mit dem geringsten Vermögen zusammen. Die ärmere Hälfte wohnt zur Miete und hat so gut wie kein Vermögen.

Die Streichung der in den letzten drei Jahrzehnten entstandenen Steuerprivilegien für hohe Einkommen, Vermögen und Erbschaften bringt Zusatzeinnahmen von etwa 80 Milliarden Euro pro Jahr. Daraus lässt sich die ökologische Transformation genauso finanzieren wie der soziale Ausgleich – ob über staatlichen Wohnungsbau und Daseinsvorsorge oder Steuersenkungen für Menschen mit niedrigem Einkommen.

Falsche politische Prioritäten und der Sparzwang der letzten Jahrzehnte haben an vielen Stellen in der öffentlichen Verwaltung für Personalabbau und unbesetzte Stellen sowie einen Rückstau bei Digitalisierung und wichtigen Zukunftsinvestitionen gesorgt. Der demografische Wandel verschärft das Problem. Auch an den Steuerbehörden ist diese Entwicklung nicht spurlos vorübergegangen. Deutschlandweit gibt es etwa achtmal so viele Knöllchen verteilende Parkraumwächter wie Steuerfahnder, obwohl jede Fahnderin etwa eine Million Euro Zusatzeinnahmen generiert. 2015 ist die Zahl der Mitarbeiterinnen bei den Steuerbehörden zum ersten Mal unter 100.000 gesunken.

Die letzten Jahre haben aber gezeigt, wie wichtig gut ausgestattete und richtig fokussierte Steuerbehörden für eine gerechte Krisenbewältigung wären. Coronahilfen, die gezielt den Unternehmen, Selbstständigen und Menschen zugutekommen, die wirklich Hilfe brauchen, sind ohne Steuerbehörden nicht machbar. Die Aufklärung von Missbrauch bei den Hilfen belastet die Steuerfahnderinnen und Betriebsprüfer zusätzlich. Eine schnelle und gezielte Entlastung für die hohen Gas- und Strompreise scheitert aktuell auch daran, dass es keine staatliche Stelle mit den nötigen Daten und Mechanismen gibt. Und schließlich ist der CO2-Preis als einer der zentralen Bausteine für den Kampf gegen den Klimawandel selbst eine Steuer, funktioniert aber nur, wenn es einen passenden sozialen Ausgleich gibt. Ein Klimageld soll laut Koalitionsvertrag für mehr Klimagerechtigkeit sorgen. Das Jahressteuergesetz 2022 schafft jetzt zumindest die gesetzliche Voraussetzung für die Erfassung von Kontodaten durch das Bundeszentralamt für Steuern, benennt aber noch keine auszahlende Stelle. Die Steuerbehörden der Länder kennen nicht nur die Kontodaten der meisten Bürger*innen bereits, sie wären auch in der Lage, ein sozial gestaffeltes Klimageld zu zahlen.

Steuerbehörden sollten daher personell und strukturell in die Lage versetzt werden, für eine gerechte Anwendung des Steuersystems zu sorgen und dabei sozialen Ausgleich zu steuern sowie Kriminalität zu bekämpfen. Angesichts des demografischen Wandels geht das nur mit mehr Digitalisierung und einem stärkeren Fokus auf die besonders risikoreichen, komplexen Steuerfälle.

Steuern sind ein seit Jahrhunderten gewachsenes Mittel für die demokratische Steuerung von gesellschaftlichem Wohlstand. Das deutsche Steuersystem ist 2019 hundert Jahre alt geworden. Der Versuch, den vielen sehr unterschiedlichen Lebensumständen und wirtschaftlichen Realitäten gerecht zu werden, macht es komplex und schwer überschaubar. Veränderungswünsche treffen auf heftigen Widerstand – schließlich geht es um sehr viel Geld und Macht. Die Lobbyerfolge der letzten Jahrzehnte rund um die mehr oder weniger versteckten Steuerprivilegien sind auch deswegen entstanden, weil die meisten Bürger und Politikerinnen sich am liebsten möglichst wenig mit Steuern befassen wollen. Wir müssen also wieder mehr über Steuergerechtigkeit sprechen.

Julia Jirmann und Christoph Trautvetter arbeiten als Wissenschaftliche Referent*innen beim Netzwerk Steuergerechtigkeit. Dieses veröffentlicht seit 2021 das Jahrbuch Steuergerechtigkeit und einen monatlich erscheinenden Newsletter. Ziel ist, einen möglichst verständlichen und systematischen Überblick über die Gerechtigkeitslücken des deutschen Steuersystems und deren Entwicklung zu geben. www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.