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Ist das Metaverse noch zu retten?
Nur wenn es reguliert wird, ist die Gefahr einer Geldmaschine aus der Hölle gebannt
Wenn wir die Gestaltung neuer Online-Welten Meta, Apple und Co überlassen, können wir davon ausgehen, dass sie unangenehme, der kapitalistischen Verwertungslogik unterworfene Formen annehmen werden. Die fortschreitende Integration virtueller Räume wird kaum aufzuhalten sein, aber mit vernünftiger Regulierung kann das Metaverse auch gute Seiten haben.
Huch, es ist passiert, wir haben eine Wunschregierung, eine, die sich in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, dass sie für eine ernst gemeinte Transformation steht. Eine Minderheitsregierung zwar, die sich für alle Themen Mehrheiten suchen muss, aber das kriegt sie schon hin. Ihr ist klar, dass die Sache mit der Klimakatastrophe längst passiert ist, es aber Möglichkeiten gibt, auf den richtigen Pfad einzuschwenken.
In der Weihnachtsausgabe fragen wir uns, was wäre, wenn die Politik zur Vernunft käme, die Gesellschaft sich einen Ruck gäbe, die internationalen Institutionen wirklich die Welt retten wollten und so ausgestattet wären, dass sie es können. Die Ausgabe kommt am 9. Dezember 2022 zu den Abonnent*innen, liegt am 10. Dezember für alle, die ein »nd.DieWoche«-Abo haben, exklusiv bei.
Vor Kurzem kündigte Mark Zuckerberg das neueste Feature für sein Metaverse an: Beine. In einem Werbeclip springt ein Zuckerberg-Avatar in die Höhe, während gegenüber eine andere Figur in die Luft tritt und auf computergenerierten Rängen (beinlose) Avatare jubeln. Später kam heraus: Bei dem Clip handelt es sich gar nicht um Aufnahmen aus dem Metaverse, sondern um mittels Bewegungssensoren generierte Animationen. Meta erntete viel Spott.
Das Metaverse wird in Kommentarspalten und tech-kritischen Blogs nicht sonderlich ernst genommen – oft zu Recht, angesichts Zuckerbergs verkrampfter Versuche, die riesigen Summen, die in dem Projekt verschwinden, mit halb ausgegorenen Fortschritten zu rechtfertigen. Trotzdem kann aus dem Metaverse noch etwas werden. Und wenn es nach Tech-Giganten wie Meta geht, soll die neueste Version digitaler Kommunikation den Siegeszug der Kommerzialisierung fortsetzen.
Seinen Advokat*innen zufolge handelt es sich beim Metaverse um die Zukunft des Internets. Es ist eine virtuelle Welt, in der sich Nutzer*innen als Avatare bewegen, mit anderen austauschen und gemeinsam gestalten können. Meist, indem sie ein Headset aufsetzen, das die Illusion einer begehbaren Welt erzeugt. Das World Wide Web soll so nicht mehr über zweidimensionale Oberflächen in Browsern und Tabs navigiert, sondern als dreidimensionaler Raum betreten werden. Diese immersive Nutzung soll neue Möglichkeiten der Kommunikation, des Arbeitens und Zusammenlebens schaffen und dabei neue Produktlinien und Werbemöglichkeiten für seine Betreiber eröffnen.
An vorderster Front ist es Meta, der Facebook-Dachkonzern, der sich der Realisierung verschrieben hat. Aber auch andere große Tech-Unternehmen wollen einen Platz am virtuellen Tisch. Microsoft gab bekannt, mit Meta zu kooperieren und hat den Kauf der Videospielplattform Activision Blizzard als Schritt Richtung Metaverse kommuniziert. Auch die chinesischen Tech-Giganten Bytedance und Tencent sind im Rennen und daneben gibt es dezentrale Projekte wie Decentraland und Sandbox. Sie alle versprechen sich neue Profitmöglichkeiten und Macht. Das Interesse der Tech-Konzerne lässt sich mit der Krise von Social Media erklären: Besonders Facebook und Instagram kommen durch weniger Wachstum und sinkende Werbeeinnahmen zunehmend in Bedrängnis. Da Meta kaum mehr einfällt, als den gewinnenden Konkurrenten Tiktok und seine Videoformate (mäßig erfolgreich) zu kopieren, bleibt Zuckerberg nur die Flucht nach vorn. Das Ziel von Meta ist es daher, die Infrastruktur zu einer neuen Version des Internets frühzeitig unter Kontrolle zu bringen und eine Hegemonie zu schaffen, in der sich wieder leichter Geld machen lässt.
Bisher mag das Metaverse vor allem ein Loch sein, in dem Zuckerberg Geld versenkt, aber Headsets und Technologien verbessern sich, sie werden günstiger und zugänglicher. Und schon heute sind Videospiele, die virtuell begehbare Welten anbieten, unter den erfolgreichsten, siehe Minecraft, Fortnite oder Animal Crossing.
In dem Metaverse, das einige Konzerne mit Klauen und Zähnen versuchen durchzusetzen, drohen fatale Tendenzen des heutigen Internets verstärkt zu werden. Zum einen wäre da die Überwachung. Im Plattform-orientierten Web haben sich Alphabet, Meta und Co umfassende Möglichkeiten geschaffen, Nutzer*innen auszuforschen und Werbung gewinnbringend auf sie zuzuschneiden. Mit der Verbreitung von Headsets und der Aufnahme von Augenbewegung und Mimik, die Schlüsse auf Emotionen zulassen, werden sich Möglichkeiten der Erforschung von Kund*innenverhalten vervielfachen. Damit einher gehen überzeugende Verkaufsstrategien, die über intime Ansprache zwischen Avataren funktionieren. Ähnliches gilt für finanziellen Betrug und Catfishing.
Schon jetzt gibt es Berichte von Horizon Worlds, Metas erstem Metaverse-Gehversuch, dass Frauen von anderen Avataren begrabscht wurden. Meta hat technische Lösungen vorgestellt. Trotzdem sind Belästigung, Rassismus und andere Diskriminierung dort ein großes Problem – durch das realere Erleben können Übergriffe besonders traumatisch empfunden werden.
Zu guter Letzt sieht es im Moment aus, als könne es im Metaverse zu einer Verstärkung von Ungleichheit durch Monetarisierung und Privatisierung des digitalen Raums kommen. Abgesehen davon, dass sich nicht alle ein Headset leisten können, können »Immobilien«-Preise zum Problem werden. In der virtuellen Welt Sandbox wurde zuletzt ein Stück »Land« für eine Rekordsumme von 3,7 Millionen Euro verkauft. Der Fantasie ist bei gesellschaftlich negativen Auswirkungen des Metaverse also kaum Grenzen gesetzt.
Um nicht zu einer Geldmaschine aus der Hölle zu werden, muss das Metaverse in erster Linie reguliert werden. Monopolisierung ist auch im konventionellen Internet ein Problem, gegen das unter anderem die EU schon vorzugehen versucht. Hier müssen die bestehenden Regeln, zum Beispiel gegen feindliche Übernahmen, die Konkurrenz im Keim ersticken sollen, strenger eingesetzt werden. Dazu sollte es mehrere Metaverse-Hosts geben, die interoperabel sind, um Machtkonzentration zu vermeiden. Der Schutz von Privatsphäre und Transparenz ist ein ähnlich großer Bereich, in dem Regulierung nötig ist. Hier muss das Anlegen von Profilen mit Nutzer*innendaten verboten werden, denn diese Profile bieten ein hohes Risiko für extrem zielgenaues Beeinflussen durch Werbung oder mit politischen Motiven. Daten sollten, wo möglich, nur in Echtzeit gespeichert werden dürfen, um Missbrauch zu vermeiden.
Die Frage lautet: Wie wird Nutzer*innenverhalten im Metaverse kontrolliert? Die Social-Media-Plattformen haben bisher noch keine überzeugenden Lösungen vorbringen können, wie Diskriminierung und Hassrede vermieden werden können. Zumindest muss im Metaverse der Digital Services Act gelten, der EU-weit 2023 in Kraft tritt, und es muss die Wirksamkeit solcher Gesetze verbessert werden. Zuletzt: Virtuelle »Grundstücke« oder die Möglichkeit, kreativ tätig zu werden, sollten im Metaverse nicht an Eigentum oder Mieten geknüpft sein. Jede*r sollte im Metaverse bauen und basteln können, wie sie oder er möchte.
Wenn ein solides regulatorisches Fundament gegeben wäre, das neben den genannten Aspekten auch Schutz vor Betrug und Finanzkriminalität enthalten müsste, könnten sich im Metaverse Freiräume und emanzipatorische Möglichkeiten bieten. Politische Aktivitäten und internationale Organisierung wie Gewerkschaftsvernetzung könnten dort stattfinden. Linke Kongresse und Workshops ließen sich veranstalten und Menschen abseits der Großstädte die Teilnahme ermöglichen. Internationale Proteste könnten größere Sichtbarkeit und Gestaltungsfreiraum erlangen. Das Metaverse kann auch ein Werkzeug für Deradikalisierung oder Politisierung werden – durch persönliche, aber anonyme Ansprache lassen sich ernste Gespräche einfacher führen als anderswo. Die Krönung wäre natürlich eine Vergesellschaftung des Metaverse, aber solange die ausbleibt, gilt es, Freiräume, soweit möglich, zu schaffen und zu nutzen.
Vielleicht wird das Metaverse nie ein Massenphänomen. Aber so, wie das Internet ist, wird es nicht bleiben. Es muss sich besonders mit Blick auf die Krise des Plattforminternets weiterentwickeln. Darum müssen wir uns damit auseinandersetzen, wie die Zukunft des Internets auch innerhalb der Schranken kapitalistischer Verwertungslogik eine soziale und nachhaltige werden kann. Technologie ist nicht, wie oft verbreitet, neutral. Bei ihrer politischen und gesellschaftlichen Wirkung kommt es nicht allein auf die Nutzer*innen an, sondern darauf, wie sie gebaut und welchen Regeln sie unterworfen ist. Darum reicht es bei aller Technologiekritik nicht aus, zu hoffen, dass das Metaverse keine Verbreitung finden wird. Wir müssen es aktiv mitgestalten, um das Schlimmste zu verhindern.
Columba Krieg hat Global Political Economy studiert und zeitweise im Arbeitsbereich Internationale Politische Ökonomie an der FU Berlin gearbeitet.
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