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Weg mit dem alten Krempel
Der Abriss von Bestandsbauten geht fast immer mit Aufwertung und Verdrängung einher
»Hier – meine Verwertungskündigung«: Stolz präsentiert Daniel Diekmann ein dickes Buch mit den gesammelten Unterlagen zu seinem nun schon mehr als 15 Jahre andauernden Kampf als Mieter in einem der von Abriss bedrohten Häuser in der Habersaathstraße in Mitte. Er habe bisher 17 Abmahnungen und sechs Kündigungen erhalten, berichtet er am Mittwochabend auf einer Veranstaltung des »Initiativenforums Stadtpolitik« im Abgeordnetenhaus.
In der Habersaathstraße hatten vor einem Jahr 50 Obdachlose gemeinsam mit Aktivist*innen intakte Wohnungen besetzt, um sie vor dem Abriss zugunsten eines Luxusneubaus zu schützen. Diekmann selbst gehört zu den Altmietern. Und noch steht der in den 1980er Jahren als Schwesternwohnheim errichtete Komplex. Die Pläne des Investors Arcadia sind freilich nicht vom Tisch. Im September hatte das Bezirksamt Mitte die umstrittene Abrissgenehmigung erteilt. Damit wird auch hier wahrscheinlich, was in zentralen Bezirken wie Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf gang und gäbe ist: Abriss und Verdrängung.
Unter diesem Motto – Abriss und Verdrängung – steht dann auch die Veranstaltung des »Initiativenforums Stadtpolitik«, auf der verschiedene Mieter*inneninitiativen ihre Erfahrungen ausgetauscht und mit Politiker*innen der rot-grün-roten Koalition diskutiert haben.
Klar ist, dass die Abrissbegehrlichkeiten von Investoren in den vergangenen Jahren massiv gewachsen sind. »Von 2018 bis 2020/2021 haben sich die Abrisszahlen fast verdoppelt«, sagt Katalin Gennburg, die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. »Das ist alarmierend. Denn wir sehen hier, dass Abrisspolitik ganz klar Aufwertungspolitik ist und Teil der Immobilienverwertung, die wir im Zuge von steigenden Mieten erleben.« Denn klar ist auch: Nach einem erfolgreichen Abriss entsteht in der Regel kein leistbarer Wohnraum, stattdessen werden Eigentumswohnungen hochgezogen, hochpreisige Mietwohnungen oder Mikroapartments, um maximale Profite zu erzielen.
»Wir reden hier von lebendigen Kiezen, die zerstört werden«, sagt Sebastian Bartels, der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Das Vorgehen der Eigentümer*innen sei in vielen Fällen gleich: Erst würde versucht, Mieter*innen mit der Ankündigung von umfangreichen Sanierungen oder des geplanten Abrisses zum Ausziehen zu bewegen. Falls das keine Wirkung erziele, würden ein paar Tausend Euro zum Verlassen der Wohnung angeboten, später mehrere Zehntausend. Oftmals mit Erfolg, sagt Bartels.
Problematisch, heißt es wiederholt am Mittwochabend, sei der Umstand, dass Eigentümer*innen die entsprechenden Abrissgutachten häufig bei Gutachter*innen einholen, die einschlägig für die Devise »Weg mit dem alten Krempel« bekannt sind. Auch deshalb verlangen etwa die Vertreter*innen der »Mieterwerkstadt Charlottenburg«, dass die Wohnungs- und Bauämter in den Bezirken personell gestärkt und deren Mitarbeiter*innen geschult werden.
Immerhin, dieses Thema verspricht Mieterschutz-Staatssekretärin Ülker Radziwill (SPD) im Blick behalten zu wollen. Zugleich betont sie aber, dass ein »Nicht-Bauen« angesichts des Zuzugs nach Berlin für sie keine Option sei.
Doch, das muss die Option sein, sagt dagegen Katalin Gennburg. »Bauen, bauen, bauen«, das Credo von Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey und ihres angezählten Stadtentwicklungssenators Andreas Geisel (beide SPD) sei schlichtweg gescheitert. Die Linke-Politikerin fordert in diesem Zusammenhang dann auch, Abriss zu verbieten: »Es müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um endlich die kapitalistische Stadtverwertung zu stoppen«, sagt sie. Abriss laufe schließlich immer auf teureren Wohnraum in der Zukunft hinaus.
Zudem sei eine sofortige Verschärfung des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes und eine Novellierung »der Bauordnung zu einer Umbauordnung« nötig: »Geisel muss hier endlich den Weg frei machen.« Und Gennburg geht noch weiter. Ob in der Habersaathstraße oder anderswo: »Der wirkungsvollste Schutz gegen Leerstand und darauf folgenden Abriss ist immer noch die Legalisierung von Hausbesetzungen«, sagt die Stadtentwicklungsexpertin.
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