Typus fragiler Staatsträger

Leo Fischer über die festgenommenen »Reichsbürger« und diejenigen, die sie verharmlosen

Schon werden die Razzien, die jetzt zur Aushebung einer rechtsterroristischen Zelle im Milieu der »Reichsbürger« geführt haben, verharmlost – und zwar weit in den bürgerlichen Mainstream hinein. Das seien ja nur ein paar Rentner, heißt es, praktisch nicht bewaffnet, und überhaupt, es ist ja niemand deswegen zu spät zur Arbeit oder zum Einkauf gekommen – ist das dann überhaupt noch Terror? Bei Springer ärgert man sich sichtlich, dass die Razzia der eigenen großangelegten rassistischen Kampagne zur Einwanderung in die Quere kam; im konservativen Lager fühlt man die eigene schnappatmende Kritik an der »Letzten Generation« der Lächerlichkeit preisgegeben. Alle Extremisten sind schlimm, und sie sind immer genau gleich schlimm! Heiligt die Mitte! Und nehmt uns bloß nicht unsere Feindbilder weg!

Dabei lässt sich am Personal der Festgenommenen wie auch derjenigen, die sie verharmlosen, ein eigener Phänotyp ausmachen, der jenseits des Reichsbürger-Milieus breite Teile der konservativen Mehrheit erfasst hat. Es ist der Typus des fragilen Staatsträgers, der, nach vollkommen widerstandslosen Karrieren in Verwaltung, Hochschule, Militär, Medien- oder Immobilienwirtschaft an der Spitze angekommen, das System, das ihn doch nach oben gespült hat, mit seinem jederzeit möglichen faschistischen Ausscheren erpresst. Wenn ihr nicht so wollt wie ich, gehe ich zu den Rechten! Verfolgt von diffusen, meist feminin-amorphen und nie konkretisierten Bedrohungsszenarien – Genderwahn, Cancel Culture, großer Austausch, was immer des Raunens auch sei –, fallen diese wehleidigen Spitzen der Gesellschaft bei der kleinsten Kritik auseinander. Je höher sie gestiegen sind, desto bedrohter fühlen sie sich, und behalten sich vor, ihre Bedrohtheit jederzeit zur Drohung werden zu lassen. Ihre Karriere ist mit dem Abendland identisch, wackelt diese, schwankt jenes! Sie wollen zu allem gehört werden, auch wenn sie nichts zu sagen haben; hören wollen sie selbst nur diejenigen, die ihnen schon von vornherein beste Absichten unterstellen. So entstehen Konservative, die im eigentlichen nichts konservieren, sondern bereit sind, das zu tun, was sie anderen unterstellen: das Staatswesen jederzeit willkürlich in Gefahr zu bringen, wenn es den eigenen Bedürfnissen nicht mehr genügt.

Leo Fischer

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge und entsorgt den liegengelassenen Politikmüll. Alle Texte auf dasnd.de/vernunft.

Der bestens bezahlte und von der Gesellschaft mit Blankovollmachten ausgestattete Kommissar, der nach Dienstschluss in Telegram-Gruppen rassistische Witze mit Kollegen teilt; der Immobilienerbe, der sich von Mietern mehr Demut wünscht und sich mit Büchern über Preußen und Alter Musik in die Rolle eines ostelbischen Junkers träumt; der ehemals sozialdemokratische Professor, dem das Finanzamt einen Strich durch die Finanzierung des zweiten Ferienhauses gemacht hat und der sich nun für die Konservative Revolution und Carl Schmitt begeistert – sie alle bilden ein weitläufiges ideologisches Myzel, auf dem Reichsbürger-Gruppen, Querdenker-Demos und terroristische Gewalt nur scheinbar disparat erblühen. Zu kurz gekommene Spitzenverdiener, unkündbare Akademiker mit Abstiegsangst, rechtsanarchistische Beamte und konspirativ klüngelnde Generaldirektoren – sie sägen an den Strukturen, denen sie alles verdanken; sie treten die Leitern weg, die sie selbst in die Höhe gebracht haben.

Die, die da verhaftet werden, haben das selbstmitleidige Rollenspiel nur auf die Spitze getrieben, sind wohl teilweise verblüfft, überhaupt zum Gegenstand von Ermittlungen, gar Verhaftungen geworden zu sein, so sicher fühlte man sich – in einer bürgerlichen Schicht, in der die Koketterie mit dem rechten Umsturz keineswegs belächelte Ausnahme, sondern selbstverständlicher Habitus ist.

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