Wer profitiert von der Artenvielfalt?

Biopiraterie und Digitalisierung: Warum der freie Zugang zu Gendatenbanken umstritten ist

  • Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 4 Min.
Vom Zuckerrohr über die Kartoffel bis zum Kautschukbaum: Jahrhundertelang haben sich Kolonialmächte, Unternehmen und Forschende der Artenvielfalt und des indigenen Wissens aus anderen Erdteilen bedient und die daraus erzielten Einnahmen eingestrichen.
Vom Zuckerrohr über die Kartoffel bis zum Kautschukbaum: Jahrhundertelang haben sich Kolonialmächte, Unternehmen und Forschende der Artenvielfalt und des indigenen Wissens aus anderen Erdteilen bedient und die daraus erzielten Einnahmen eingestrichen.

Die Weltkonferenz über die biologische Vielfalt in Montréal befasst sich nicht nur damit, wie man dem Verlust an Tier- und Pflanzenarten Einhalt gebieten kann. Umstritten ist auch, wer den Artenreichtum – insbesondere im Globalen Süden – kontrolliert und von ihrer Nutzung profitiert. Konkret geht es um den bislang freien Zugang zu internationalen Datenbanken mit genetischen Informationen über Pflanzen, Tiere und Mikroben. Genforscher*innen fürchten, dass die rund 200 Staaten in Montreal beschließen, diesen Zugang zu beschränken. Dies könnte die Forschung erschweren, beispielsweise die Entwicklung neuer Impfstoffe, argumentieren sie. Andere kritisieren, dass durch die bisherige Regelung indigene Gemeinschaften und Länder des Globalen Südens das Nachsehen haben.

Vom Zuckerrohr über die Kartoffel bis zum Kautschukbaum: Jahrhundertelang haben sich Kolonialmächte, Unternehmen und Forschende der Artenvielfalt und des indigenen Wissens aus anderen Erdteilen bedient und die daraus erzielten Einnahmen eingestrichen. Die Länder und indigenen Völker, aus deren Gebieten die geraubte Biodiversität stammte, wurden weder gefragt noch an den Gewinnen beteiligt.

Das Nagoya-Protokoll fordert, Herkunftsländer an Einnahmen zu beteiligen

Spätestens seit 2014 sollte diese auch Biopiraterie genannte Praxis nicht mehr möglich sein. Nach jahrelangen zähen Verhandlungen verabschiedete die zehnte Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (COP 10) im Jahr 2010 das sogenannte Protokoll von Nagoya, das vier Jahre später in Kraft trat. Es regelt, dass Herkunftsländer und indigene Völker konsultiert und an den Vorteilen und Einnahmen angemessen beteiligt werden, die aus Forschung und Nutzung der Artenvielfalt ihrer Gebiete sowie des damit verbundenen traditionellen Wissens erwachsen.

Dabei berücksichtigt das Nagoya-Protokoll ausschließlich den physischen, grenzüberschreitenden Transfer von Pflanzen- oder Tiermaterial, Mikroorganismen oder Erbgut (DNA). Doch aufgrund der gentechnischen Entwicklungen und der Digitalisierung von DNA sind biologische Proben heute oft gar nicht mehr notwendig. Es genügen die Digitale Sequenz-Informationen (DSI) von Erbgut, die in Gendatenbanken gespeichert und per Internet bislang weltweit frei zugänglich sind.

Dies erleichtert zwar die Arbeit der Wissenschaftler*innen, setzt aber auch das Regelwerk des Nagoya-Protokolls faktisch außer Kraft. Forschungsinstitute und Unternehmen können mit Hilfe der DSI somit weiterhin, wie vor 2014, ohne Genehmigung und Gewinnbeteiligung der Herkunftsländer oder indigener Gemeinschaften neue Medikamente oder Pflanzensorten entwickeln und vermarkten.

Genetisch veränderte Kartoffel: Wer profitiert davon?

Umstrittenes Beispiel für die kommerzielle Nutzung digitalisierter genetischer Ressourcen ist eine mit DSI genetisch veränderte Kartoffel, die resistent gegen Krautfäule sein soll und in Ostafrika vermarktet werden soll. Entwickelt hat sie das von US-Forscher Richard L. Sawyer gegründete internationale Kartoffelzentrum (CIP), das zur Globalen Forschungspartnerschaft für eine ernährungssichere Zukunft gehört. Diese wiederum wird unter anderem von Regierungen, internationalen Banken und Stiftungen wie der Bill & Melinda Gates Foundation finanziert.

Obwohl die von CPI genetisch manipulierte Kartoffel auf dem Erbgut einer südamerikanischen, vom Volk der Quechua seit Jahrtausenden genutzten und weiterentwickelten Sorte basiere, seien die Ureinwohner nicht an den möglichen Gewinnen beteiligt, kritisiert Alejandro Argumedo von der Biodiversitätsstiftung Swift Foundation. Für den von einer Quechua-Familie abstammenden peruanischen Agrarwissenschaftler steht fest, dass die Digitalisierung von Erbgut das Nagoya-Protokoll und eine gerechte Gewinnverteilung unterläuft. Traditionelles Wissen werde weiterhin gestohlen, indigene Völker verlören dadurch die Kontrolle über die biologische Vielfalt in ihren Regionen.

Weltweit halten Gen- und Pflanzenforschende dagegen. Sie sehen in einer Ausweitung des Nagoya-Protokolls auf digitalisierte Gendatenbanken die Zukunft ihrer Arbeit in Gefahr. Der uneingeschränkte Zugang zu genetischen Daten sei für ihre Forschung essenziell, argumentieren Forscher wie Jörg Overmann, der wissenschaftliche Direktor des Leibniz-Instituts Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen.

»Digitale Sequenzinformationen sind unabdingbare Voraussetzung der modernen lebenswissenschaftlichen Forschung und Entwicklung«, so Overmann. »Wären digitale Sequenzinformationen nicht mehr frei verfügbar, sondern erst nach Erteilung von Einzelgenehmigungen durch jedes einzelne Herkunftsland zugänglich, würde die Verarbeitung biologischer Daten wie bisher praktisch unmöglich. Denn vom Einzelfall abhängige Genehmigungsverfahren sind absolut unvereinbar mit dem existierenden System tausender weltweit verlinkter Sequenzdatenbanken, in denen Milliarden frei zugänglicher Sequenzen permanent ausgetauscht werden. Jedes andere System mit auch nur teilweise bilateraler Zugangskontrolle würde dieses effiziente und jahrzehntelang bewährte Fundament der weltweiten lebenswissenschaftlichen Forschung grundlegend in Frage stellen.«

Harald Meimberg vom Institut für Integrative Naturschutzforschung der Universität für Bodenkultur indes sieht das Problem im verwendeten Begriff »genetische Ressource«, der sehr weit gefasst werde und somit auch biologisches Material einbeziehe, selbst wenn die Entwicklung einer Anwendung daraus sehr unwahrscheinlich sei. »Daher würden streng genommen alle digitale Sequenzinformationen kontrolliert und das derzeitige produktive System der biologischen Forschung unmöglich gemacht«, sagt Meimberg.

Nach Meinung des Leiters der Geschäftsstelle des Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, Jens Freitag, könnte die Lösung in einem Kompromiss bestehen. Er plädiert dafür, den Zugang zu DSI-Datenbanken für Ausbildung, Forschung und Wissenschaft weiterhin frei zu ermöglichen. Die kommerzielle Nutzung der Gendaten durch Unternehmen könne dagegen abgabepflichtig werden.

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