- Kultur
- Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde
Abgesang mit Chor
Die GBM hat sich in Berlin offiziell verabschiedet
Als die Rednerin am Pult beginnen wollte, klingelten alle Handys im Münzenbergsaal. Das waren nicht wenige, und die Uhr zeigte 11. »Probewarnung für Deutschland – es besteht keine Gefahr«, beruhigte auf dem Display das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn. Das konnten die Anwesenden bestätigen. Sie waren in diesem Kreis wirklich zum letzten Mal zusammengekommen: Nach 31 Jahren stellte die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e. V. (GBM) ihre Tätigkeit ein – Deutschland muss nicht mehr zittern.
Der Verein war ein halbes Jahr nach dem Ende der DDR von zumeist arbeitslosen Staatsdienern und Intellektuellen gegründet worden, um sich gegen ihre rücksichtslose Abschiebung aufs Abstellgleis zu wehren. Die vom Westen abschätzig als »Funktionseliten« Diffamierten nahmen es nicht hin, in ihren Rechten als nunmehrige Bundesbürger beschnitten zu werden.
Die Gesellschaft vereinte in ihren besten Tagen einige Tausend Mitglieder, die sich in mindestens drei Dutzend Ortsverbänden zusammenfanden. Es existierten diverse Arbeitskreise unter ihrem Dach, die sich mit Menschenrechten, Kunst und Kultur, der Geschichte und deren Verdrehung durch die Aufarbeitungsindustrie beschäftigten. Und natürlich zog man gegen das Rentenstrafrecht juristisch und politisch zu Felde. Die GBM publizierte ein halbes Dutzend Weißbücher zum »Unfrieden in Deutschland«, gab eine Vierteljahresschrift namens »Icarus« heraus, eine »Zeitschrift für soziale Theorie, Menschenrechte und Kultur« und edierte eine Monatszeitschrift »Akzente«. Sie veranstaltete sogenannte Tribunale, in denen die sozialen und politischen Verwerfungen des kapitalistischen Staates angeprangert wurden, unterstützte das Erscheinen von systemkritischen Schriften und verlieh jährlich einen Menschenrechtspreis. Alles hinlänglich Gründe, weshalb das Establishment dieser Republik die GBM wahlweise als Zentrum des Geschichtsrevisionismus, als Nostalgieverband, als Rentnerverein oder Interessenvertretung ehemaliger Stasimitarbeiter denunzierte. Dagegen setzten sich die Vereinsmitglieder erfolgreich zur Wehr, und auch beim Streit um ihre Altersbezüge konnte mancher Sieg errungen werden. Die gemeinschaftliche Solidarität machte sich im Wortsinne bezahlt.
Das alles ließ Siegfried Prokop Revue passieren. Der Geschichtsprofessor hatte vor 31 Jahren gemeinsam mit seinem Kollegen von der Humboldt-Universität, dem Friedens- und Konfliktforscher Wolfgang Richter, die Idee entwickelt und schließlich den Verein gegründet. Richter – der vor vier Jahren starb – sollte ihn auch 20 Jahre lang leiten. Prägend war hier auch Wolfgang Harich, der eine »Alternative Enquete-Kommission« initiierte, nachdem der Bundestag im März 1992 in Bonn die Bildung einer Enquete-Kommission »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland« beschlossen hatte. Der einstige DDR-Dissident Harich war 1957 in der DDR wegen »Bildung einer konspirativen staatsfeindlichen Gruppe« zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden, von denen er sieben Jahre absaß. 1990 rehabilitierte ihn das Oberste Gericht der DDR.
Prokop erinnerte ebenso an die GBM-Galerie in der Lichtenberger Weitlingstraße, in der geschmähte »Staatskünstler« eine Heimat fanden oder/und mit solidarischer Hilfe Ausstellungen im Ausland bekamen. Willi Sitte zum Beispiel, den das Germanische Nationalmuseum Nürnberg 2001 mit einer Exposition zu seinem Achtzigsten ehren wollte, dann aber kurzfristig die Ehrung mit der Begründung verschob, man müsse erst Sittes Rolle als DDR-Kulturfunktionär untersuchen, stellte stattdessen in Mailand aus. Er hatte schließlich als italienischer Partisan gegen die deutschen Faschisten gekämpft.
Nach Siegfried Prokop erinnerten sich weitere Zeitzeugen und -genossen, unter ihnen auch die Friedensaktivistin Laura Freifrau von Wimmersperg und der Dok-Filmer Winfried Junge (»Die Kinder von Golzow«), und der Ernst-Busch-Chor, der im kommenden Jahr auch schon Fünfzig wird, gab dem Abschied einen musikalischen Rahmen.
Nun also ist Schluss. Das Alter fordert Tribut, die Reihen haben sich in den drei Jahrzehnten merklich gelichtet. Insofern war der Schritt nur zu logisch. Es bleiben aber viele zeitgeschichtliche Zeugnisse, die es ohne die GBM nicht gegeben hätte. Der Verein hat sich, wie es immer am Grabe heißt, verdient gemacht. Wie sehr, werden nachfolgende Generationen zu würdigen wissen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.