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Ein Subkontinent auf dem Vormarsch
Indien will Motor des Wachstums im globalen Süden sein
Der indische Subkontinent zählt zu den besonders notleidenden Regionen der Erde. Etwa 800 Millionen Menschen leben in Armut. Zur Wirklichkeit gehört aber auch Air India. Die Fluggesellschaft steht kurz vor einer Bestellung »historischen Ausmaßes«, 500 Jets von Airbus und Boeing, berichteten Fachmedien am Dienstag. Dies wäre der größte Auftrag, der jemals vergeben wurde.
Air India gehört dem riesigen Mischkonzern Tata, der in mehr als 80 Ländern aktiv ist. Die Megaorder zeigt, warum Indien die eigentliche Zielgröße der europäischen Strategen darstellt, wenn es um den indopazifischen Raum geht. Dort werden laut der EU-Kommission 60 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung produziert, und 2030 werden in dem Wirtschaftsraum rund 90 Prozent der neuen kaufkräftigen »Mittelklasse« leben. Dort sind zudem drei der vier größten Volkswirtschaften außerhalb Europas Zuhause. Eine davon ist Indien.
Drei Aspekte machen den Subkontinent für die deutsche und europäische Wirtschaft besonders interessant: Im Unterschied zu China und mehreren Asean-Staaten ist Indien erstens nach seiner Verfassung eine parlamentarische Demokratie; zweitens könnte es China bereits im Jaahr 2023 als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen; und drittens Indien schreibt aktuell die spannendste Wachstumsgeschichte. Laut der Prognose des Industriestaatenclubs OECD wird die Wirtschaft 2023 mit 5,7 Prozent deutlich schneller zulegen als jede andere große Volkswirtschaft.
Bei Gesprächen in Neu Delhi hat Außenministerin Annalena Baerbock Anfang Dezember um eine enge Kooperation geworben. Ihr Besuch in der indischen Hauptstadt erfolgte wenige Tage, nachdem Indien die G20-Präsidentschaft übernommen hatte. »Diese will es nutzen, um den globalen Süden zu stärken und gegen einige Elemente und Folgen der westlichen Sanktionspolitik vorzugehen«, schreibt der Nachrichtendienst »Informationen zur Deutschen Außenpolitik«.
Indien hat seinen G20-Vorsitz mit der Ankündigung angetreten, geopolitische Veränderungen einzuleiten. Einen hervorgehobenen Platz räumt es »unseren Weggefährten im globalen Süden« ein, »deren Stimme oft ungehört bleibt«, wie es in einem Namensbeitrag von Premierminister Narendra Modi heißt, den kürzlich international mehrere Zeitungen veröffentlichten. Indien verbindet das Streben nach Eigenständigkeit mit klaren Abgrenzungen von bestimmten Politiken des Westens, punktuell auch Russlands. So kündigte Modi an, in der G20 die globale Versorgung mit Nahrungsmitteln, Düngemitteln und medizinischen Produkten »zu entpolitisieren«. Das richtet sich auch gegen westliche Sanktionen, etwa gegen Russland (Düngemittel) oder Iran (Medikamente).
Wie Außenminister Subrahmanyam Jaishankar bei einer Pressekonferenz mit Baerbock bekräftigte, baut Indien außerdem seinen Handel mit Russland aus. Baerbock vereinbarte derweil mit Jaishankar eine »Mobilitätspartnerschaft«, die »hochqualifizierte Fachkräfte und junge Leute aus Indien nach Deutschland« holen soll. Zudem thematisierte sie Indiens traditionell problematische Beziehungen zu China. Neu Delhi und Peking haben sich zuletzt im Streben nach einem »asiatischen Jahrhundert« angenähert.
Wie andere Schwellenländer empfindet Indien die gegenwärtige Weltordnung als zutiefst unfair und vom Westen dominiert. Und wie andere Schwellenländer stellt Indien seine Außenpolitik zunehmend in den Dienst seiner eigenen wirtschaftlichen Interessen – zum Verdruss westlicher Politiker.
Nach wie vor verhandeln Indien und die EU über ein Freihandelsabkommen. »Neu Delhi ist stark daran interessiert, dass mehr Arbeitsplätze im Land geschaffen werden«, schreibt die deutsche Außenhandelsorganisation GTAI. Dazu sollen mehr Güter für den heimischen Markt direkt vor Ort hergestellt werden. Gleichzeitig möchte sich Indien als Produktionsstandort für den Export präsentieren. Unterdessen wirft Modis Zentralregierung den Bundesstaaten vor, zögerlich zu investieren. Und große Konzerne wie Tata besitzen zwar die notwendigen Mittel, laut GTAI investieren sie meist aber »nicht im vollen Umfang ihrer Möglichkeiten«.
Wenige Monate nach dem Ende seiner G20-Präsidentschaft wird sich Ministerpräsident Modi zur Wahl stellen. Außenpolitische Erfolge könnten ihm angesichts der Probleme im Land helfen. Alte Kohlekraftwerke verschmutzen die Luft in den Städten, der Hindu-Nationalismus von Modis Regierungspartei spaltet das von sozialen Kasten geprägte Land weiter und die Infrastruktur ist lückenhaft. Die Armen kämpfen derweil mit der Teuerung sowie fehlenden Jobs auf dem weitgehend informellen Arbeitsmarkt. Und für die schnell wachsende Bevölkerung müsste Indien mehr als eine Million Arbeitsplätze schaffen – Monat für Monat.
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