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Attac erkämpft mehr Transparenz
Bundesfinanzministerium muss im Streit um Gemeinnützigkeit mehr Dokumente herausgeben
Im Streit um die aberkannte Gemeinnützigkeit des globalisierungskritischen Netzwerks Attac muss das Bundesfinanzministerium weitere Dokumente herausgeben. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin am Dienstagabend entschieden und entsprach damit teilweise einer Klage der Organisation. Laut Urteil stehen Attac nun sieben weitere Unterlagen zu. Das Netzwerk hatte insgesamt 19 Dokumente gefordert. Es handelt sich um Teile der Kommunikation zwischen Ministerium und Bundesfinanzhof im Rahmen des Verfahrens zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Die Behörde hat dazu insgesamt mehr als 110 Dokumente aufgelistet. Ein Großteil davon lag Attac bereits vor.
Geschäftsführerin Frauke Distelrath sprach gegenüber »nd« von einem Erfolg. Attac werde die gesamten Dokumente nun weiter auswerten. Diese könnten Aufschluss über die Kommunikation des Bundesfinanzministeriums über den Fall Attac geben – sowohl gegenüber dem verfahrensführenden Bundesfinanzhof (BFH) als auch gegenüber Bundestagsabgeordneten. Maria Wahle vom Vorstand des Attac-Trägervereins hatte den Verdacht geäußert, dass es sich bei dem im Jahr 2019 ergangenen Urteil des Bundesfinanzhofs gegen die Wiederanerkennung der Gemeinnützigkeit von Attac um eine politisch beeinflusste Entscheidung handelt. Attac wies diesbezüglich auf personelle Verflechtungen hin. Der damalige BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff und der für den Fall zuständige Abteilungsleiter im Bundesfinanzministerium, Rolf Möhlenbrock, waren nicht nur zentrale Akteure bei der Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac. Sie sitzen außerdem seit langem gemeinsam im Vorstand des wirtschaftsnahen Lobbyvereins »Institut für Steuern und Finanzen«. Dieser von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden gegründete Verein macht Lobbyarbeit für die Senkung von Unternehmenssteuern. In dem Verein dürfte es also ein Interesse an der Schwächung von Attac geben. Denn das Netzwerk tritt für mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland ein und fordert höhere Abgaben von Vermögenden und Konzernen.
Frauke Distelrath sagte dem »nd«, dass das Netzwerk mehr Informationen haben wolle, was genau gelaufen ist. Es geht also um mögliche Absprachen und weitere Hinweise darauf, dass die Aberkennung der Gemeinnützigkeit eine politische Entscheidung war. Die Kommunikation zwischen Mellinghoff und Möhlenbrock sei zwar vermutlich nicht justiziabel, so Distelrath. Aber es gehe um eine politische Erkenntnis.
Attac geht davon aus, dass es sich bei den zurückgehaltenen Dokumenten um zentrale Teile der Kommunikation zwischen dem Ministerium und dem Bundesfinanzhof im Rahmen des Verfahrens zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit handelt. Dabei geht es etwa um E-Mails zwischen Finanzbehörden auf Bundes- und Landesebene oder Sprechzettel für parlamentarische Ausschüsse. Das Ministerium hatte die Unterlagen als vertraulich eingestuft. Deshalb verwehrte die Behörde die Herausgabe. Attac beruft sich hingegen auf das Informationsfreiheitsgesetz, das einen voraussetzungslosen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen bei Behörden des Bundes schaffen soll.
Nach einer Klage von Attac hatte das Bundesfinanzministerium im November 2021 einen Teil seiner Akten zum Thema »Gemeinnützigkeit von Attac« freigegeben. Allerdings wurde ein Sechstel der Unterlagen geschwärzt. Laut Distelrath geht aus den zugänglichen Dokumenten hervor, dass das Finanzministerium, anders als es behauptet, aktiv Partei bei der Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac gewesen ist. Sie zeigen auch die Nähe zwischen Mellinghoff und Möhlenbrock. Der damalige BFH-Präsident Mellinghoff ließ seinem Vereinsfreund im Ministerium, Möhlenbrock, das gegen Attac gerichtete Urteil bereits am Vortag der Veröffentlichung zukommen. Es finden sich die handschriftlichen Vermerke »vertraulich« und »persönlich«.
Das Finanzamt Frankfurt am Main hatte Attac im Jahr 2014 die Gemeinnützigkeit aberkannt. Mitglieder und Unterstützer können dadurch ihre Beiträge und Spenden nicht mehr von der Steuer absetzen. Das Netzwerk muss Steuern zahlen, die für gemeinnützige Vereine nicht anfallen. Attac war bei einer ersten Klage dagegen vor dem Finanzgericht Kassel erfolgreich. Doch in der Revision, die das Finanzamt Frankfurt am Main auf Weisung des Bundesfinanzministeriums einlegte, hob der Bundesfinanzhof das Urteil auf und steckte dabei den Rahmen für politisches Engagement von gemeinnützigen Organisationen sehr eng. Distelrath betonte, dass dieser Fall »die gesamte Zivilgesellschaft betroffen« habe.
Das Netzwerk argumentiert, dass der Begriff der Gemeinnützigkeit zu eng ausgelegt worden sei und so die Arbeit vieler Vereine für das Gemeinwohl behindere. Weiteren Gruppierungen, die sich für eine sozialere und ökologischere Gesellschaft einsetzen, wie etwa die Kampagnenorganisation Campact, wurde in der Folgezeit ebenfalls die Gemeinnützigkeit entzogen. Nach einem Sturm der Entrüstung erkannte das Finanzamt im vergangenen Jahr immerhin die Gemeinnützigkeit der antifaschistischen NS-Opferorganisation VVN-BdA wieder an. Andere Organisationen müssen weiter vor Gericht kämpfen. Im Frühjahr 2021 hat Attac Verfassungsbeschwerde gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Derzeit ist es allerdings noch fraglich, wann sich die Karlsruher Richter mit dem Fall befassen werden.
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